Jospin - die Rechte profitiert

Ohne echte Reformen führt eine Linksregierung zur Frustration ihrer gesellschaftlichen Basis.

Frankreich wird seit dem Sommer 1997 von einer Koalition aus Sozialisten, Kommunisten und Ökologen regiert. Bereits nach vier Monaten jedoch sind einige der schönsten Träume dahin, die mit dem rosa-rot-grünen Regenbogen verbunden waren.

Die Teilprivatisierung von France Télécom, die Jospins Vorgänger Juppé beschlossen und die Linkskoalition zu stoppen versprochen hatte, läuft jetzt mit nur drei Monaten Verzögerung gegenüber den Plänen der Rechtsregierung an. Die Sozialisten hatten versprochen, die Télécom-Mitarbeiter zu konsultieren; diese sind aber immer noch mehrheitlich gegen den Verkauf von einem Drittel des Télécom-Kapitals, ohne daß dies Einfluß auf die Entscheidung gehabt hätte.

Alle Linksparteien hatten vor der Wahl die 35-Stunden-Woche ohne Lohnverlust versprochen. Am 17. September erklärt Lionel Jospin in Le Monde: "35 Stunden bezahlt wie 39, das ist nicht unser Slogan. Das wäre antiéconomique". Manchmal steckt der Teufel auch nur im Detail. So will die Regierung den "allgemeinen Sozialbeitrag" CSG von derzeit 3,4 auf 7,4 Prozent erhöhen und dafür die auf den Lohn berechneten Krankenkassenbeiträge senken. Die dahinterstehende Idee: Werden die Krankenkassenbeiträge nur von den Lohn- und Gehaltsempfängern bezahlt, werden alle Einkommen durch die CSG zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems herangezogen. So sollen auch die Finanzeinkünfte von Privatpersonen (Unternehmen sind nicht zahlungspflichtig) - von kleinen Sparguthaben über Aktiendividenden bis zu Grundbesitzrenten - im Namen der gesamtgesellschaftlichen Solidarität herangezogen werden - aber auch die Einkünfte von Rentnern und Arbeitslosen, deren Kaufkraft dadurch um 1,2 Prozent sinken.

Man hätte die 500 Milliarden Francs Finanzeinkünfte pro Jahr auch gezielt besteuern können, das hätte jedoch nach Umverteilung und Klassenkampf gerochen. "Ein Projekt in der Nachfolgelinie des Juppé-Plans", urteilt Libération, da auch der rechte Premier sich einer Erhöhung der CSG als Hebel zur Sanierung der Sozialversicherung bedient hatte. Juppés Ex-Sozialminister Jacques Barrot (UDF) war dann auch befriedigt: "Die Juppé-Reform geht weiter, das ist positiv."

Es kann nützlich sein, aus der Erfahrung vorangegangener "Experimente" zu lernen. Ab 1981 wurde Frankreich als einziges großes westeuropäisches Land von einer Linkskoalition unter Einschluß der KP regiert. Im Januar 1996, Fran ç ois Mitterrand, der Patron der rosaroten Ära war gerade gestorben, zog das bürgerliche Wochenmagazin L'ƒvénement du Jeudi eine durchaus zutreffende Bilanz seiner Regierungszeit: "1981 dominierte auf der Rechten jene dunkle Gewißheit: Frankreich würde sich geradewegs auf das Regime einer Volksdemokratie zubewegen. Stellen wir uns vor, wie die Reaktion dieser Propheten des Unglücks ausgesehen hätte, wenn ihnen damals vorausgesagt worden wäre, daß zehn Jahre später die Bourgeoisie ihr prächtigstes Jahrzehnt erlebt hätte und ihr Anteil am Reichtum der Nation - zu Lasten der Lohnarbeiterschaft - immens gestiegen wäre. Daß über die Börse und die Immobilienspekulation die am wenigsten produktiven Kapitalien ein unverschämtes Wohlergehen ausstrahlen würden. Daß die Löhne nicht mehr (wie zuvor) automatisch an den Preisanstieg angeglichen würden." Bleibt noch hinzuzufügen, daß die französische KP diese Politik drei Jahre lang mitgetragen und ihre Kritik zurückgehalten hat, um nicht dem durch die Links-Regierung verkörperten Lauf des Fortschritts im Wege zu stehen.

Auch heute übt der Chef der französischen KP sich in derselben Steinzeitdialektik, die der "alten" KP vor dem Bruch mit dem sowjetischen Modell wohlbekannt war und wonach der Fortschritt sich immer in einzige Richtung bewegt. Robert Hue erklärt unablässig, daß die Politik der Regierung Jospin "in die richtige Richtung" gehe, daß man nur "mehr und schnellere Schritte" zurücklegen müsse. Was aber, wenn der Fortschritt keineswegs zielstrebig durch diese Regierung vorangebracht würde, sondern eine Beteiligung daran gar den sozialen Widerstände schwächte?

Im Jahr 1981 hatte der rechtsextreme Volkstribun Le Pen die notwendige Anzahl von Unterschriften nicht aufbringen können, um zur Präsidentenwahl antreten zu können. 1983/84 kam seine Partei, der Front National, aus dem Stand auf ein zweistelliges Wahlergebnis. In den zwei Jahren dazwischen sind einige der Faktoren zu suchen, die zu diesem neofaschistischen Durchbruch geführt hatten: die Desorientierung breiter Wählerschichten der Linken und die Lähmung widerständiger gesellschaftlicher Kräfte in Gewerkschaften und Betrieben bespielsweise, denn: "Ihr werdet doch nicht gegen Eure Genossen in der Regierung streiken wollen?"

Es gibt Perioden, wo eine regierende Linke als wirklich "kleineres Übel" zu einer reaktionären Bedrohung erscheinen mag. Nehmen wir die die Volksfront-Regierung 1936/37 unter Léon Blum, an der die Kommunisten zwar nicht beteiligt waren, die sie aber bedingt unterstützten. Die Regierung des Front Populaire scheiterte bereits nach einem Jahr an den strukurellen Machthebeln der Bourgeoisie (Kapitalflucht, Zwang zur Abwertung der Währung usw.). Die Arbeiterschaft hatte, um die Volksfront zu retten, auf die Revolution jedenfalls vorübergehend verzichtet. Bis heute hält die Debatte darüber an, ob aus dem Generalstreik 1936 nicht mehr hätte folgen können, wäre er nicht durch KP und die ihr nahestehende Gewerkschaft CGT abgewürgt worden. Dennoch hat dieses Bündnis unter Blum eine seit 1934 unmittelbar drohende faschistische Gefahr effektiv abgewendet und die rechtsextremen Organisationen verboten. Sie hat zugleich, ohne eine grundsätzliche Umwälzung der Gesellschaftsordnung zu bewirken, sozialpolitische Veränderungen gebracht: die für damalige Verhältnisse radikale Verkürzung der Arbeitszeit von 48 auf 40 Stunden, die Einführung von bezahltem Urlaub usw.

Heute hingegen drohen die Linksparteien eine eher latent existierende, denn kurz vor

der Machtübernahme stehende faschistische Gefahr erst in den Zustand der "Regierungsfähigkeit" zu katapultieren. Da die Idee einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaftsordnung aufgegeben worden ist und sie keinen anderen Weg als den der Beteiligung an den Institutionen des bestehenden Systems zu kennen scheinen, sind sie auch nicht in der Lage, für ihre Beteiligung an

einer Regierung handfeste Zugeständnisse herauszuholen.

Die strukturellen Hindernisse für echte gesellschaftliche Reformen sind in Zeiten, da alle Welt von der Globalisierung und dem Verlust nationaler Regulierungsspielräume schwadroniert, jedenfalls nicht geringer geworden als 1936. Die derzeitige Praxis der Regierung Jospin beweist das anschaulich.

Bernhard Schmid ist Frankreich-Korrespondent der Jungle World