Union wartet auf den Erlöser

Gefärhliche Orte VI: Die Wuhlheide im Berliner Bezirk Köpenick. Der dortige Fußballverein FC Union ist ständig pleite, der Senat gerät bei seinen Rettungsversuchen in den Verdacht der Veruntreuung

"Dieses Angebot müssen wir annehmen", wischt Mayk Hajek alle Bedenken vom Tisch, "sonst wären wir nicht glaubhaft." Edda Blancke-Kurtzer, eine Unternehmerin in Sachen Sex, habe beim Manager des Fußballvereins Union Berlin angefragt, ob sie nicht mit den strammen Mannsbildern aus Köpenick werben dürfe.

Durfte sie. Dafür berappte die Sex-Shop-Betreiberin aus Schöneberg die Busfahrtkosten zum Auswärtsspiel in Stendal (ca. 1 300 Mark) und gab der Mannschaft anschließend noch ein Essen aus. Im Gegenzug wurde ihr eine kostenlose Anzeige im Stadionheft eingeräumt, außerdem führte die füllige Dame beim nächsten Heimspiel im Stadion Alte Försterei den Anstoß aus. "Im Moment bleibt uns gar nichts anderes übrig", erklärt Hajek achselzuckend.

Tief ist "Eisern Union" gesunken, vom einstigen DDR-Pokalsieger 1968 und aufmüpfigen "Widerstandsnest" gegen das SED-Regime zum Kostgänger des Rotlicht-Business. Seit Monaten befinden die Wuhlheider sich nun schon am Rande des Bankrotts. Doch nun spitzt sich die Lage dramatisch zu. Eine Aufsichtsratssitzung jagt die andere, da aber dessen Mitglieder weder Brot noch Wein vermehren können, um sie als Halbzeitbeköstigung gewinnbringend an die Fans zu verkaufen, bleibt das Resultat immer dasselbe. "Im Moment wissen wir nicht, wie es weitergehen soll", gesteht Union-Aufsichtsrat Fritz Niedergesäß.

Dabei schien der im Osten der Hauptstadt überaus beliebte Verein die ärgste Durststrecke endlich hinter sich zu haben. In einem aufwendigen Werbefeldzug, dessen Höhepunkt im März ein Marsch durch das Brandenburger Tor war, nötigten die vielen Union-Sympathisanten den US-Konzern Nike, als Ausrüster einzusteigen. Nach einem nervenaufreibenden Diskussionsprozeß unterschrieben beide Seiten Ende März im rustikalen "Ratskeller" des Köpenicker Rathauses ein Kooperationsabkommen über fünf Jahre.

Alles wird gut, versprachen die Vertragspartner bei Sekt und Häppchen, die Probleme, die sich nun häuften, wurden zur Seite geschoben. "Wir wollen mit Union bis zum Jahre 2000 in die 2. Bundesliga." Das vage Versprechen von Jürgen Schlebrowski, Deutschland-Chef von Nike, genügte, um den Optimismus der Unioner in Euphorie zu verwandeln. Kritische Nachfragen störten die rot-weiße Glückseligkeit nur, denn sieben Jahre nach dem Mauerfall und nach ebenso vielen vergeblichen Anläufen schien der Sprung ins Profilager möglich. "Danke, Nike!" hieß es auf Transparenten in der Union-Arena in Köpenick, und die glücklichen Fans verglichen das Köpenicker Abkommen sogar mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dieser Höhenflug ist längst beendet, die Transparente sind wieder eingerollt. Heute herrscht wieder Verzweiflung in Köpenick. Vom einstigen Aufstiegs-Fieber ist nichts übriggeblieben, die Heimspiele gleichen mittlerweile Geisterstunden - kaum Fans, noch weniger Stimmung. Der einzige Stammgast, der sich die Hände reibt, ist der Gerichtsvollzieher, der mit schöner Regelmäßigkeit die Tageseinnahmen pfändet, um die zahlreichen Gläubiger von Union zu bedienen.

Zu allem Überfluß kündigte Ende September Trainer Karsten Heine, eine Symbolfigur für den Durchhaltewillen in der Wuhlheide, von sich aus seinen Vertrag. "Wir sind unserem Anspruch nicht gerecht geworden", umschrieb der integere Coach die katastrophale Lage noch sehr wohlwollend. Auch ihn hatte die Führung mit vollmundigen Versprechnungen und vagen Andeutungen vertrösten wollen, bis ihm schließlich der Kragen platzte. "Einen neuen Verein habe ich noch nicht", gesteht Heine, der nun auf dem Arbeitsamt befürchten muß, eine Sperre aufgedrückt zu bekommen, weil er aus "freien Stücken" kündigte.

Sein bisheriger Assistent Frank Vogel zeichnet nun für die sportlichen Belange verantwortlich, unumwunden gibt er zu, daß seine Aufgabe nichts weiter als ein "Himmelfahrtskommando" darstelle. Wer aus dem Spielerkreis weiter die Schuhe für den Klub schüren wird, weiß Vogel erst kurz vor Anpfiff, wenn er im Bus seine Schäfchen zählt. Wer soll es den Vereinsangestellten auch verübeln, wenn sie das Weite suchen: Inzwischen warten die Kicker seit mehr als drei Monaten vergeblich auf ihre Gehälter. Längst beschäftigen sich die Leistungsträger mit Abwanderungsgedanken und beauftragten ihre Berater mit der Suche nach neuen Arbeitgebern.

Das Beben, das Heines Abgang in Berlin verursachte, war bis in die Nike-Zentrale im hessischen Mörfeld zu spüren. "Union kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus", verzweifelt Marketing-Manager Rolf Dohmen, der in der Deutschland-Zentrale für den Geschäftspartner Union zuständig ist. Fast zeitgleich war ans Tageslicht gekommen, daß die Berliner Justiz u.a. gegen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Es geht dabei um eine Bürgschaft über zwölf Millionen Mark, die der Senat sowie der Bezirk Köpenick für Kredite des ehemaligen Union-Sponsors und Bauunternehmers Manfred Albrecht übernommen hatten. Albrecht, mittlerweile soll er pleite sein, wollte in der Wuhlheide einen Sportpark errichten, hatte aber offensichtlich nichts Besseres zu tun, als mit diesem Geld den damals mit über 14 Millionen Mark hoffnungslos überschuldeten Fußballverein (zumindest teilweise) zu sanieren.

Anders als in früheren Zeiten, als immer mal wieder Abenteurer Geld in den "Skandalverein Union" pumpten, scheint die aktuelle Lage in Köpenick schwieriger denn je. Schätzungsweise eine Million Mark an kurzfristigen Verbindlichkeiten machen Union handlungsunfähig, nicht einmal mehr der Spielbetrieb bis zum Saisonende im Juni ist gewährleistet. "Auf der Suche nach Sponsoren begegnet mir mancherorts der blanke Haß", zeigt sich Aufsichtsrat Niedergesäß, CDU-Abgeordneter im Berliner Landtag, schockiert. Zu allem Unglück erteilte der Kommunikationskonzern o.tel.o, der zunächst mit einem Einstieg in Köpenick geliebäugelt hatte, den Fußballern eine klare Absage.

Nun zeigt "Eisern Union" deutliche Verfallserscheinungen. Das Präsidium, das bereits im Juli zurücktrat und nun nur noch auf dem Papier amtiert, befindet sich kollektiv im Urlaub. Die Mannschaft besteht aus Spielern auf Abruf, die jeden Auftritt als Bewerbungsgespräch für neue Aufgaben betrachten. Nike, das die Brisanz seines Engagements in Berlin völlig unterschätzt hat, zieht sich - juristisch korrekt - auf den bloßen Status eines Ausrüsters zurück, der die Spielkleidung stellt. Aber von diesem Geld - im Gespräch sind 150 000 Mark pro Spieler - kann Union, bei monatlichen Fixkosten von etwa 180 000 Mark, nicht überleben. "Wir haben schon einen Vorschuß bis ins fünfte Vertragsjahr geleistet. Von uns kommt kein Geld mehr", stellt Dohmen fest.

Das war es dann wohl, es sei denn, der ominöse Mister X existiert tatsächlich. Seit Wochen geistert durch die "Alte Försterei" das Gerücht, "eine namhafte Persönlichkeit aus der Region" (Dohmen) stehe bereit, um den Posten des Union-Präsidenten zu übernehmen und neue Sponsoren an den Verein heranzuführen. Ein angetrunkenes Präsidiumsmitglied wollte Mister X bereits beim Freundschaftsspiel gegen Bayern München, Anfang September, auf der Tribüne im Köpenicker Staion gesehen haben.

"Wenn es ihn gibt, warum gibt er sich dann nicht zu erkennen?" war eine der lezten Fragen, die Trainer Heine sich und den Verantwortlichen stellte. Spieler versehen den Kandidaten stets mit dem Zusatz "ominös". Wann lüftet Mr. oder X endlich seine/ihre Tarnkappe? Erst sollte der sehnsüchtig erwartete Termin Ende August sein, dann wurde Ende September daraus. "Es gibt jemanden, und wir verhandeln mit ihm", zeigt sich Dohmen zunehmend genervt ob der immer hämischer werdenden Nachfragen. Mal wurde auf Manfred Stolpe getippt, dann machte der Name Regine Hildebrandt die Runde. Vielleicht ist es aber auch Edda Blancke-Kurtzer, die engagierte Sex-Shop-Besitzerin. Niemand weiß es. Nur eines kann Unions Aufsichtsratschef Dohmen versichern: "Wenn der Kandidat auch noch absagt, dann bin ich mit meinem Latein am Ende."