Unser Dorf bleibt judenfrei

Sechs Jahre nach Hoyerswerda: Das sächsische Gollwitz will keine jüdischen Aussiedler aufnehmen

Genau sechs Jahre nach den pogromartigen Angriffen auf eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Hoyerswerda macht eine brandenburgische Gemeinde gegen jüdische Aussiedler aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mobil. Der Gemeinderat des 400-Einwohner-Dorfes Gollwitz im Landkreis Potsdam-Mittelmark hat sich in der vergangenen Woche einstimmig gegen die Aufnahme von 50 jüdischen Aussiedlern in Gollwitz ausgesprochen. Bürgermeister Andreas Heldt erklärte die Weigerung des Gemeinderats damit, daß "wir einfach Probleme sehen", wenn die Aussiedler in der Gemeinde untergebracht würden. Heldt beschwerte sich außerdem darüber, daß das zuständige Sozialministerium auf "die Sorgen und Ängste" der Dorfbevölkerung nicht eingegangen sei. Die Aussiedler sollten in einem ehemaligen Gutshaus in der Gemeinde untergebracht werden.

Bei der Gemeinderatssitzung vor zwei Wochen kam es zu einer emotionsgeladenen Debatte. "Die hunzen das Schloß endgültig hin" und "die kosten unser Geld" waren noch nicht die ärgsten Äußerungen von Gemeindevertretern. Einer äußerte, er werde im Falle einer Unterbringung einen hohen Zaun um sein Grundstück ziehen. Andere monierten, daß die Juden dann rund 15 Prozent der Dorfbevölkerung ausmachen würden. Bürgermeister Heldt brachte schließlich eine Beschlußvorlage ein, in der das Übergangsheim abgelehnt wird, weil es "erheblich in das dörfliche Gemeinschaftsleben eingreifen" würde. Die Abgeordneten stimmten ohne Ausnahme für diesen Antrag, die rund 20 Einwohner im Versammlungsraum klatschten Beifall.

Helga Nutzmann, Mitglied im Gemeindekirchenrat, machte in einem Gespräch mit der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) aus ihrem Herzen keine Mördergrube: "Alle Leute aus dem Ostblock haben einen überdimensionalen Hang zur Kriminalität. Wir haben Angst vor Einbrüchen", wird sie von der Zeitung zitiert. Mit Ausländerfeindlichkeit habe das nichts zu tun. "Es ist doch allgemein bekannt, daß Ausländer nicht gerade Friedensbringer sind", pflichtet der Kommunalabgeordnete Horst Wegerer der Kirchenfrau bei.

Der Bürgermeister gab gegenüber der Lokalpresse sogar zu, daß er "vielleicht ausländerfeindlich" sei, aber "nicht braun", so Heldt. Gegen Juden habe er "persönlich" nichts. Er sei selbst drei Wochen in Israel gewesen und habe die Gedenkstätten angeschaut. "Aber dort sind sie auch nicht gut auf die Deutschen zu sprechen, das muß ich auch mal sagen", erklärte der Bürgermeister.

Protest hat die AG Junge GenossInnen der PDS eingelegt. Ihr Sprecher Matthias Osterburg aus der Stadt Brandenburg sagte gegenüber Jungle World, die fremdenfeindlichen Äußerungen der Dorfbevölkerung seien absolut nicht hinnehmbar: "Die Gollwitzer Bürger sollten mal ernsthaft darüber nachdenken, woher sie diese Vorurteile haben und was die Konsequenzen aus solch einem Denken sind." Auch der Amtsdirektor Udo Müller hält die Argumente der Gollwitzer für "vorgeschoben". Dahinter stecke Fremdenfeindlichkeit. Valeri Tschechowski, der Ausländerbeauftragte des Landkreises, zeigte sich "traurig, aber nicht überrascht" von den Reaktionen der Gollwitzer Dorfgemeinschaft. "Ich fordere die Öffentlichkeit jetzt zu einer Diskussion auf", sagte er der MAZ. Gleichzeitig warnte er davor, die Gollwitzer als Rassisten oder Antisemiten abzustempeln. "Wir müssen mit den Leuten im Gespräch bleiben", ist sein hilfloses Argument dafür.

Ob die Gollwitzer Bürgerfront mit ihrem ausländerfeindlichen Begehren durchkommt, ist allerdings fraglich. Die denkmalgeschützte Immobilie gehört nicht der Kommune, sondern dem Landkreis. Amtsdirektor Müller sieht daher keine Chance, daß rechtlich gegen die Pläne vorgegangen werden kann. Blieben höchstens brachiale Lösungen. Die Lokalpresse titelte bereits: "Ein zweites Dolgenbrodt?" Das Potsdamer Sozialministerium hat jetzt zu-gesichert, einen "Dialog" mit den Gollwitzer Bürgerinnen und Bürgern aufzunehmen, um eine "einvernehmliche Lösung" zu finden. Gedacht sei unter anderem an einen Runden Tisch, an dem auch Vertreter Jüdischer Gemeinden teilnehmen könnten, erklärte ein Sprecher des Sozialministeriums. Seit 1994 seien rund 2 000 jüdische Emigranten aus den GUS-Staaten nach Brandenburg gekommen, die nach einem Quotenschlüssel auf verschiedene Gemeinden Brandenburgs verteilt wurden. Insgesamt sind seit 1990 etwa 38 000 jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion aufgrund von wachsendem Antisemitismus und Diskriminierung nach Deutschland ausgewandert.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wird auch in der mecklenburgischen Kleinstadt Friedland seit einigen Wochen gegen Emigranten und Asylbewerber mobilisiert. Rund 600 Einwohner unterzeichneten in den letzten Wochen eine Resolution gegen die Erweiterung des dortigen Flüchtlingsheims. In Friedland wird mit einer "Überbelegung" des Heimes und Angst vor einer Zunahme von "rechten Übergriffen" argumentiert. Auch hier stellt sich der Gemeinderat hinter die "Ängste" der Bevölkerung. Eine Lösung des Konflikts in der Gemeinde ist vorerst nicht in Sicht. Beobachter befürchten eine Eskalation der ohnehin schon vorhandenen rassistischen Übergriffe auf die momentan nach Friedland zwangsverteilten Asylbewerber sowie vermehrte Aktivitäten und Propagandaaktionen von organisierten Neonazis.