Wenn Betriebswirte TV machen

... ist die Grundversorgung in Gefahr. Der Mitteldeutsche Rundfunk lagert seine Produktion aus. Medienrechtler protestieren dagegen

Was herauskommt, wenn Betriebswirte Fernsehen machen, haben die Privatsender vorgeführt: Quark und Quote. Beeindruckt hat dies vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, so auch den Mitteldeutschen Rundfunk. Zur Neustrukturierung der Produktionskapazitäten regte jüngst die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) an, Produktionsbereiche in selbständige, am Markt agierende Unternehmen auszulagern.

Von MDR-Intendant Udo Reiter, der zugleich amtierender ARD-Vorsitzender ist, wird dies auch bereits in die Tat umgesetzt: Die Fernsehproduktion im MDR-Studio - hier hat der Kinderkanal von ARD und ZDF seinen Sitz - ist bereits ausgelagert; ab Anfang 1999 soll das Modell auf den gesamten MDR übertragen werden. Dabei befürchtet die IG Medien den Verlust von rund 600 Arbeitsplätzen. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, daß die betriebswirtschaftliche Dominanz und die fehlende Orientierung auf den Programmauftrag.

Reiter, der der Arbeitsgruppe "Struktur und Rationalisierung" der Landesrundfunkanstalten vorsitzt, schreibt denn auch in einem Diskussionspapier, Fernseh- und Hörfunkprogramme hätten in den letzten Jahren zunehmend einen Wandel vom "Kultur- zum Wirtschaftsgut" erfahren. Demnach seien die Aufgabenfelder der Anstalten nach "hoheitlichen" und "wirtschaftlichen" Kriterien zu bewerten. Hoheitliche Aufgaben seien Programm, Programmplanung und -inhalt. Eine "nicht hoheitliche Aufgabe" sei dagegen "ohne jeden Vorbehalt" nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu bewerten. Alles, was dem Geschäftsfeld Programmherstellung zuzuordnen ist, soll demnach in eine Dienstleistungsholding ausgelagert werden.

Die Medienrechtler Hans Albert Stechel und Bernd Bievert halten dagegen: Sinnliche Qualität und ästhetische Gestaltung eines Fernseh- oder Rundfunkproduktes stehen nach Einschätzung der Freiburger Medienrechtler in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Erfüllung dieses Auftrages könne nicht beliebig von den Risiken des freien Produktions-Marktes abhängig gemacht werden. Zu diesem Schluß kommen die beiden Medienanwälte in einer von der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und der IG Medien in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Abschaffung und Auslagerung der Eigenproduktionen.

Gegen die Outsourcing-Politik, wie sie nicht nur vom Intendanten des Mitteldeutschen Rundfunks, Udo Reiter betrieben wird, machen die Gutachter daher verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Zu der von Reiter getroffenen Differenzierung zwischen "hoheitlichen" und "nicht hoheitlichen" Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks merkt Stechel und Bievert an, diese Auffassung suggeriere, daß die Sender quasi in "staatliche" und "nicht staatliche" Bereiche zerfallen. Eine solche Unterscheidung sei unsinnig und mit der Pressefreiheit nicht vereinbar, da Grundrechten primär die Funktion der "Abwehr gegenüber staatlichen Eingriffen" zukomme. Und da sich der Grundrechteschutz auf die "notwendigen Bedingungen des Funktionierens der Medien" erstrecken muß, folgern die Rechtswissenschaftler, müsse sich der Schutz genauso auf die "vor- und nachgelagerten Tätigkeiten" erstrecken: von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Inhalte.

Die wesentliche öffentliche Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehe in der Grundversorgung der Bevölkerung mit Information und Unterhaltung. Da eine genaue inhaltliche Präzisierung des Begriffs nicht möglich ist, müsse davon ausgegangen werden, daß zur Grundvorsorgung - wie vom Bundesverfassungsgericht 1973 aufgezählt - einige essentielle Elemente wie die Bereitstellung der Übertragungstechnik und ein "hoher inhaltlicher Standard" der Programme, der sich durch eine gleichgewichtige Vielfalt der Meinungen auszeichnet, die in einer Gesellschaft bestehen." Die Kernsätze in dem Rechtsgutachten lauteten dann: "Ohne geeignete Produktionsstätten kann keine adäquate Programmgestaltung erfolgen. Zwischen dem Programmauftrag der Rundfunkanstalten und der Produktion als vorgelagerte Tätigkeit besteht daher ein untrennbarer inhaltlicher Zusammenhang." Die Eigenproduktionsfähigkeit sei deshalb ein Garant sowohl für die ökonomische wie die publizistische Unabhängigkeit der Sender.

Der für Rundfunkfragen zuständige IG-Medien-Funktionär Peter Völker erklärte gegenüber Jungle World, mit der Auslagerung der Produktion würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der politische Einfluß von Parteien und Verbänden auf den verbleibenden Rumpfapparat bleibe erhalten, gleichzeitig würden der Privatwirtschaft durch die Auslagerung der Produktion Einflußsphären und neue Marktchancen eröffnet. Völker: "Eine aufwendige Recherche wird dann nicht mehr an ihrem publizistischen Wert gemessen, sondern an der Einschaltquote; Programmverantwortung geht so mehr und mehr in die Hände von Betriebswirtschaftlern über."