Im Strudel des Kapitals

V. Parteitag der KP Kubas: Der Dollar fordert seinen Preis, doch die Partei ist ohne Konzepte

"Auf dem Parteitag wird Klartext gesprochen, und einiges wird sich ändern", konnte man regelmäßig vernehmen, wenn man mit Parteimitgliedern über die gesellschaftlichen Probleme auf Kuba redete. Nun ist der Parteitag, der vom 8. bis 10. Oktober im Pal‡cio de las Convenciones, Havannas Kongreßzentrum, stattfand, vorbei. Da der Parteitag hinter verschlossenen Türen stattfand, ist man allerdings nicht viel schlauer geworden. Hat es nun die erhellenden Diskussion über die gesellschaftlichen Probleme auf der Zuckerinsel gegeben, oder nicht?

Nach sechs Jahren des Reagierens und Improvisierens braucht das Land ein Konzept für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung dringender denn je, das gibt auch Omar Everleny Pérez, Vizedirektor des Studienzentrums der Kubanischen Wirtschaft, unumwunden zu. Gesellschaftliche Probleme wie die ansteigende Korruption führt er zwar vorrangig auf die Wirtschaftskrise zurück, die das Land in den vergangenen Jahren an den Rand des Staatsbankrotts brachte. Gleichzeitig konstatiert er aber, daß es auch an einer breiten öffentlichen Diskussion sowohl über die Ziele als auch über die Probleme der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung fehlt.

Jüngstes Beispiel für diese fehlende Diskussion ist die Darstellung der Krise in der kubanischen Zuckerindustrie in Presse und Fernsehen. Ein neuerliches Minus von fast 300 000 Tonnen in der Zuckerproduktion, das unerwartete Einkommenslücken schafft, wird recht pauschal auf "vielfältige Versäumnisse und die schwierige Kreditsituation" zurückgeführt, doch eine tiefergehende Analyse der negativen Entwicklung in der Agrarwirtschaft innerhalb des letzten Jahres blieb aus. Nur 76 der 1 210 Agrarkooperativen, die den Großteil der Anbaufläche beackern, schreiben schwarze Zahlen. Die Ursachen für die mangelhafte Produktivität, sagt Everleny, liegen auf der Hand: Verantwortlich für den fehlenden Arbeitsanreiz ist das staatliche Ankaufsystem. "Der Staat", so der Sozialwissenschaftler, "legt die Preise, zu denen er ankaufen wird, vorher fest. Das sind keine Preise von Angebot und Nachfrage, sondern es sind Niedrigpreise, die nicht unbedingt geeignet sind, die Produktivität der Kollektive zu steigern."

In der offiziellen Presse findet sich dazu nichts. Einer kritischen Diskussion ist dieser Umgang mit der Misere auf keinen Fall förderlich, der offiziell verkündeten Bekämpfung von Doppelmoral schon gar nicht. Der politischen Führung fällt es nach wie vor schwer, sich öffentlich zu den Widersprüchen innerhalb der kubanischen Gesellschaft zu bekennen und Alternativen zu diskutieren. Doch genau das erwarteten sowohl die ergrauten Revolutionäre als auch der kommunistische Nachwuchs vom V. Parteitag: Sprechen müsse man über die Folgeprobleme der doppelten Währung, über die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die fehlenden Perspektiven bei der Jobsuche, die steigende Korruption, die Entsolidarisierung der Gesellschaft und den Verlust der gesellschaftlichen Werte.

Wie viele Parteimitglieder denkt auch dem Universitätsprofessor Ivan: Man müsse die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in neue Klassen mit bisher nicht gekannten Einkommensunterschieden stoppen, um das sozialistische Gesamtmodell Kubas nicht zu unterminieren. "Gerade für die Jugendlichen müssen wir neue Perspektiven schaffen, sonst werden wir der Prostitution, dem moralischen Verfall, dem zunehmenden Diebstahl nicht Herr. Wenn es so weitergeht, wächst da eine verlorene Generation für unser sozialistisches Gesellschaftsmodell heran."

Auch Everleny ist ratlos, wenn es um Perspektiven für die Jugend geht. "Die Regierung bemüht sich, neue Arbeitsplätze zu schaffen, Frühpensionierung einzuführen, attraktivere Studienformen zu entwickeln. Nahezu alle Jugendlichen haben ein relativ hohes Ausbildungsniveau, und logischerweise wollen sie nicht unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten - weder in der Landwirtschaft, noch auf dem Bau, wo es derzeit Arbeitsplätze gibt." Der verschnupfte Direktor niest laut. "Das Problem ist, daß wir eine Bevölkerung haben, die von der Qualifikation her derjenigen einer Industrienation gleicht, während wir das Arbeitsangebot eines Entwicklungslandes haben. Um es auf den Punkt zu bringen: Keiner will die Drecksarbeit machen, aber wir können es uns nicht leisten, die Straßenreinigung zu mechanisieren."

Die Diskrepanz zwischen den Preisen auf den freien Märkten und dem, was die Kubaner allmonatlich in ihrer Lohntüte vorfinden, verschärft die Krisenstimmung im Lande noch. So gut wie jeder Kubaner ist darauf angewiesen, sich nach Nebeneinkünften umzusehen; sei es durch Schwarzarbeit, sei es durch die Aneignung von Produkten aus staatlichen Betrieben, die sich anschließend versilbern lassen.

Dieses Problem ist auch Vize-Finanzminister Ruben Toledo D'az nicht neu. Er sieht die Ursache in der Legalisierung des US-Dollars in Kuba. "Das war 1993 die einzige Möglichkeit, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Damit waren große Risiken verbunden, zum Beispiel die Auswirkungen auf die Arbeitsmoral und die unkalkulierbaren privatwirtschaftlichen Aktivitäten. Es war eine Notmaßnahme, die nichts zu tun hatte mit den Programmen zur gesellschaftlichen Entwicklung des Landes, nichts mit dem Ziel, die sozialistische Gesellschaft in Kuba zu vergessen." Der Stellvertretende Minister hält kurz inne, von der Stirnwand grüßt das Porträt Che Guevaras. "Wir brauchten damals dringend die Dollars, die in der Bevölkerung zirkulierten, um uns über Wasser zu halten. Uns war klar, daß wir mit der Legalisierung die Bevölkerung teilen würden in einen Teil mit und einen ohne Dollars. Wir wußten, daß das der Arbeitsmoral nicht guttun würde. Aber es war nichts als eine Maßnahme, um das Überleben zu sichern, der letzte Strohhalm, an den wir uns angesichts des US-amerikanischen Drucks klammern konnten."

Wie das Problem in den Griff zu kriegen ist, weiß auch Toledo nicht. Für eine Währungsreform, die den Peso wieder zur alleinigen Währung machen würde, ist es seiner Meinung nach zu früh: Der traumatisierende Effekt einer solchen Maßnahme würde den Nutzen bei weitem übersteigen, zudem fehlt es an wirtschaftlicher Produktivität. Die Steigerung der Produktivität wiederum ließe sich nur mit motivierten Arbeitern erreichen - eine Illusion, wenn diese von ihrem Lohn kaum leben können.

Ob es dem Parteikongreß gelungen ist, ein Konzept zum Durchbrechen dieses Teufelskreises zu finden, ist bislang nicht bekannt. Nach außen drang allein die Berufung von 34 Neulingen ins Zentralkomitee. Ob die jedoch den erhofften frischen Wind in die Nomenklatura bringen können, hängt davon ab, ob die Partei sich dazu durchringen konnte, die gesellschaftliche Krise als das zu begreifen, was sie ist. Die wenigen bisher bekannt gewordenen Auszüge aus dem Rechenschaftsbericht Fidel Castros sprechen allerdings dafür, daß man die Schuld abermals auf die Feinde außerhalb der Landesgrenzen abwälzt.