Lauscher und Sammler

Die SPD macht's möglich: Schnelle Verabschiedung von Großem Lauschangriff und Europol

Noch 50 Wochen bis zur Bundestagswahl - und die Regierungskoalition ist mit eifriger Unterstützung der SPD bemüht, sich einer aufgestachelten Bevölkerung als Bündnis für Sicherheit und Verläßlichkeit zu präsentieren. Während längst klar ist, daß der traditionell rechtzeitig zu den Wahlen eintretende Wirtschaftsaufschwung im nächsten Jahr nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit führen wird, demonstrierten CDU, CSU, FDP und SPD auf einem anderen Politikfeld Entschlossenheit: Sie sägen weiter am Bestand der Grundrechte, nachdem sie in einer minutiös geplanten Kampagne in der Bevölkerung Kriminalitätsangst erzeugt und geschürt haben.

Am vergangenen Donnerstag beriet der Bundestag in erster Lesung über die Einführung des "Großen Lauschangriffs", die Erlaubnis für die Strafverfolgungsbehörden, private Räume von Straftatverdächtigen und Kontaktpersonen abzuhören. Dazu wird das Grundgesetz geändert. Artikel 13, der den Schutz der Privatsphäre vorschreibt und die eigene Wohnung vor staatlichem Zugriff schützt, wird eingeschränkt.

Diese Verfassungsänderung könnte im Bundesrat allerdings noch scheitern, denn es deutet sich an, daß das sozialliberal regierte Rheinland-Pfalz oder die große Koalition in Bremen sich der Stimme enthalten werden. Wenn dann auch die zukünftige rot-grüne Koalition in Hamburg nicht zustimmt, kommt die notwendige Zweidrittel-Mehrheit nicht zustande. Deshalb wird die Koalition wohl versuchen, den großen Lauschangriff zu verabschieden, solange Hamburg noch von der SPD allein regiert wird.

Auch bei einem zweiten Law-and-Order-Projekt legen die Regierungsparteien Eile an den Tag. Am letzten Freitag, dem Tag nach der Abstimmung über den Großen Lauschangriff, verabschiedete der Bundestag die Konvention zur Errichtung des europäischen Polizeiamts Europol. Dieses ist nach Ansicht von KritikerInnen so aufgebaut, daß es mit dem Schutz wichtiger Grundrechte, wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung - dem Recht über die Erhebung und Verwendung der eigenen Daten zu bestimmen - nicht vereinbar ist. "Eine schwarze Woche für die Grundrechte in der Bundesrepublik", kommentierte die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsgruppe, Ulla Jelpke. Diese Konvention stellt nur das Rohgerüst von Europol dar, dessen Vorläuferin, die Europäische Drogen-Einheit (EDU), in Den Haag längst ihre Arbeit aufgenommen hat. Zur Konvention gehören neun Durchführungsverordnungen, die dem Parlament nur zum Teil und nicht einmal in der aktuellen Fassung vorliegen. Der Bundestag hat in einer getrennten Beratung nur über eine dieser Verordnungen, das Immunitätsprotokoll, zu befinden. Dieses legt fest, daß Europol-Beamte in ihrer dienstlichen Tätigkeit wie Parlamentsabgeordnete nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Lediglich der Direktor von Europol ist befugt, ihre Immunität aufzuheben. "Wenn wir die Europol-Konvention so beschließen, kaufen wir die Katze im Sack", schimpfte der Grünen-Vertreter im Innenausschuß, Manfred Such, im Vorfeld der Europol-Entscheidung - vergeblich.

Der Bundestag beschloß überdies eine Konvention, die nicht einmal mehr aktuell ist. Denn noch bevor die Konvention von den Parlamenten aller Mitgliedsstaaten beschlossen wurde, haben die Regierungen auf ihrem letzten Gipfel in Amsterdam vereinbart, die Aufgaben und Befugnisse von Europol auszuweiten und dies im Amsterdamer Vertrag festgehalten. So sollen die Eurocops unter anderem operative Befugnisse bekommen, das heißt selbständig Ermittlungstätigkeiten aufnehmen können. "Die Konvention ist längst kalter Kaffee", kommentierte Ulla Jelpke im Bundestag.

Die SPD nutzte ihre Chance, der Regierung ein Bein zu stellen und die Europol-Entscheidung zumindest zu verschieben, nicht. Im Gegenteil, sie beteiligte sich - entgegen aller parlamentarischen Gepflogenheiten - an einem Beratungsverfahren. Die Koalition von CDU/CSU und FDP hatte die Konvention regelrecht durch die zuständigen Gremien gepeitscht. Ohne weitergehende Diskussionen und ohne ExpertInnen-Anhörung stimmte in der letzten Septemberwoche der federführende Innenausschuß der Konvention mit der Regierungsmehrheit zu. Grüne und PDS schäumten. Die SPD-VertreterInnen enthielten sich der Stimme und hüllten sich anschließend in Schweigen.

Dabei hätten sie zusammen mit den anderen Oppositionsparteien eine Anhörung und damit eine Verzögerung der Beschlußfassung erzwingen können. Kurz zuvor noch hatten die Europapolitische Sprecherin der SPD, Heidemarie Wieczorek-Zeul, und der stellvertretende Rechtspolitische Sprecher, Jürgen Meyer, erklärt, die Europol-Konvention und das Immunitätsprotokoll seien eine Einheit, die nur zusammen zu behandeln seien. Während die SPD die Konvention stützt, kritisiert auch sie das Immu-nitätsprotokoll. Die Kritik von DatenschützerInnen und JuristInnen an dem Gesamtkonstrukt Europol läßt SPD wie Koalitionäre dagegen kalt.

Europol operiert im rechtsfreien Raum, kritisierte zum Beispiel der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Dabei laufen die DatenschützerInnen Sturm gegen die geplante Sammelwut in den Analysedateien. Gespeichert werden nicht nur harte Daten von Straftatverdächtigen, sondern auch Informationen über "rassische Herkunft", Weltanschauung oder sexuelle Verhaltensweisen - und dies nicht nur von Verdächtigen, sondern auch von Kontaktpersonen, ZeugInnen, Opfern und potentiellen Opfern. Mit anderen Worten: Jede und jeder kann mit einem exakten Persönlichkeitsprofil in den Datenspeichern von Europol landen. In den Durchführungsverordnungen steckt weiterer Zunder. Der Direktor von Europol wird zum nicht kontrollierbaren Alleinherrscher über eine europäische Superpolizei. Er allein entscheidet über die Aufhebung der Immunität seiner Bediensteten , er allein entscheidet über die Einstufung von Dokumenten und Erkenntnissen als geheim. "Europol ist der Prototyp für die Entdemokratisierung mit Hilfe der Europäischen Union", kritisierte die Vorsitzende der grünen Fraktion im Europäischen Parlament, Claudia Roth. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über den Maastrichter Vertrag von 1993 verlangte Aufrechterhaltung der "demokratischen Legitimationskette" wird bei Europol nicht erfüllt, so Roth weiter. Denn weder die nationalen Parlamente noch das Europäische Parlament haben Kontrollbefugnisse über Europol. "CDU/CSU bekommen auf europäischer Ebene jetzt, was sie auf nationaler Ebene nicht hätten durchsetzen können", sagte Roth. Die SPD solle nicht wie bei der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 glauben, dies auf europäischer Ebene wieder wettmachen zu können. Tatsächlich sei das Gegenteil der Fall: Entdemokratisierungsprozesse auf nationaler Ebene werden auf europäischer Ebene eher verstärkt. Die Grünen wollen jetzt prüfen, ob sie gegen die Europol-Konvention vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Die Ratifizierung der Europol-Konvention durch den Bundestag reicht bei weitem nicht dafür aus, daß Europol seine Arbeit tatsächlich aufnehmen kann. Denn Voraussetzung dafür ist, daß die Parlamente aller Mitgliedsstaaten der Konvention zustimmen und auch die neun Durchführungsbestimmungen in Kraft treten können. Bislang haben lediglich Großbritannien, Dänemark, Spanien und Portugal die Konvention ratifiziert; in den anderen EU-Staaten laufen die Verfahren noch. Die Niederlande haben bereits angekündigt, den von den Mitgliedsstaaten anvisierten Zeitrahmen bis Ende 1997 nicht einhalten zu können. Es ist deshalb zu erwarten, daß Europol nicht wie geplant Mitte 1998 errichtet wird. Der von der Bundesregierung als Begründung für ihre Eile angeführte Druck der anderen europäischen Staaten existiert somit gar nicht.