Bomben gegen Gottlose

Nach dem Anschlag auf einen Touristenbus attackieren ägyptische Islamisten nun den Polizeiapparat

Jeden Herbst das gleiche: Bewaffnete Islamisten attackieren in Ägypten Touristen, deren Reisemittel und -ziele. "Seit 1992 werfen sie ihre Bomben immer im September, um die Wintersaison, die Hauptreisezeit, kaputtzumachen", kommentierte Mohammed Said el-Aschmawi, hochrangiger ägyptischer Richter, das alljährliche Ritual der islamischen Gotteskrieger bereits im September in einem Interview mit dem Spiegel. Doch da wußte er noch nicht, daß es in diesem Jahr nicht bei Anschlägen auf Touristen bleibt.

Am 13. Oktober erschossen im Süden Ägyptens mehrere bewaffnete Islamisten insgesamt elf Menschen. Nach Informationen des Innenministeriums in Kairo sind auf verschiedenen Landstraßen Fahrzeuge, darunter einige Taxis, von bewaffneten Trupps angehalten worden. Die Insassen seien jeweils gezwungen worden, ihre Papiere vorzuzeigen. Elf Personen, die Polizeiausweise bei sich trugen, seien umgehend erschossen worden. Die Täter vermutet die ägyptische Polizei in den Reihen der islamistischen Organisation "Gamaa islamija" (Islamische Vereinigung), einer radikal-islamistischen Gruppe, die nach Angaben von Innenminister Hassan el-Alfi eigentlich nicht mehr bestehen dürfte. Hatte dieser doch bereits im September verkündet, "der staatliche Feldzug gegen Gamaa" sei erfolgreich abgeschlossen.

Nur einen Tag nach dieser Aussage waren bei einem Anschlag auf einen Reisebus in Kairo neun deutsche Touristen und deren Fahrer von zwei mit Gewehren und Brandbomben ausgerüsteten Islamisten getötet worden. Unmittelbar nach der Tat konnten die Attentäter von Sicherheitsbeamten gestellt werden, der Prozeß gegen sie wurde in der vergangenen Woche eröffnet. Angeklagt - wegen zehnfachen Mordes und versuchtem Mord in 23 Fällen - sind Saber Abu al-Ulla und dessen Bruder Mahmud sowie weitere sieben Ägypter, die beschuldigt werden, Waffen und Munition geliefert zu haben. Bei einer Verurteilung droht allen die Todesstrafe.

Vor dem Militärgericht in Kairo packte Saber Abu al-Ulla auch gleich aus: Mit dieser Tat habe er vorgehabt, den ungläubigen Staat an seiner wichtigsten Einkommensquelle zu treffen, dem Tourismus. Weder er noch sein Bruder seien psychisch krank. Verschiedene staatliche Behörden hatten zuvor versucht, Saber Abu al-Ulla als psychisch gestörten Einzeltäter darzustellen, da dieser - wegen eines 1992 verübten Anschlags auf Touristen in Kairo, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen - gerade erst aus einer psychatrischen Anstalt entlassen worden war.

Entgegen der offiziellen Version gab Saber an, Anhänger der islamistischen Gruppe "Dschihad islami" (Islamischer Heiliger Krieg) zu sein, aber keine organisatorischen Verbindungen zu Dschihad zu unterhalten. Daß sich bislang keine Organisation zu dem Anschlag bekannt hat, stützt seine Aussage. Widersprüchlich erscheinen jedoch Berichte von Augenzeugen, die mehr als zwei Täter bei dem Anschlag gesehen haben wollen. Zudem sei das Gewehrfeuer auf den

Reisebus mit dem Ruf "Allahu akbar" ("Allah ist groß") eröffnet worden.Auch paßt Saber Abu al-Ulla antisemitisches Bekenntnis vor Gericht in diesen Zusammenhang. Stolz verkündete er dort am 14. Oktober: "Ich wünschte, in dem Bus wären Juden gewesen, aber Christen sind auch Ungläubige."

In Zeiten gesellschaftlicher Transformationen treffen sich im Antisemitismus die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen Ägyptens: "Die Ablehnung der 'Normalisierung der kulturellen Beziehungen' zu Israel ist das einzige Thema, bei dem sich Islamisten, Liberale, Nasser-Anhänger und andere Marxisten einig sind", beschrieb Le Monde diplomatique im Juli diesen Jahres treffend die Stimmung im Land.

Die ägyptische Regierung, die sich als regionale Vermittlermacht sieht, betreibt schon seit geraumer Zeit eine Doppelstrategie: Offiziell unterstützt sie die Bemühungen um ein Friedensabkommen in der Region. Gleichzeitig wird jedoch seit Jahrzehnten die ideologische Arabisierung der ägyptischen Gesellschaft gefördert. Schon Mubaraks Amtsvorgänger Anwar el-Sadat ließ in die Landesverfassung einfügen, daß "die Prinzipien des islamischen Rechts die Grundlage der ägyptischen Rechtsordnung" sind. Die panarabisch-nationalistisch-sozialistische Ausrichtung Gamal Abdel Nassers, Staatspräsident von 1954 bis 1970, wurde dadurch korrigiert, daß die sozialistische Komponente einer religiösen weichen mußte. Die in der nordägyptischen Provinz Minja Anfang der siebziger Jahre gegründete "Gamaa islamija" wurde seit ihrer Entstehung vom Gouverneur von Asjut, einem Freunde Sadats, nach Kräften mit Geld und Waffen unterstützt. Anwar el-Sadat amnestierte zudem einige Hundert radikaler Islamisten - bis er im Oktober 1981 von islamistischen Aktivisten erschossen wurde. Sein Nachfolger Mubarak suchte den Islam stärker einzubinden, um so den Fanatikern zumindest ideologisch entgegenzuwirken.

Doch die Eigendynamik der Islamisierung wurde unterschätzt: War eine gemäßigte Islamisierung der Gesellschaft durchaus beabsichtigt, um so die in den Siebzigern noch recht starke Linke in allen Bereichen, vor allem aber in den Universitäten und Städten zurückzudrängen, entwickelten sich zunehmend militant-islamistische Organisationen, die den Sturz der "gottlosen Regierung" propagierten. "Gamaa islamija", "Dschihad islami" und "el-Takfir wa-l-Higra" ("Sühne und Abkehr von der verdorbenen Welt") sind seitdem nicht nur an Universitäten und in einzelnen Dörfern und Stadtteilen dominant. Durch Säureattacken auf unverschleierte Frauen, Angriffe auf Linke in Universitäten und Gewerkschaften sowie mit Todeskommandos gegen christliche Kopten versuchen sie den Islamisierungsprozeß der Gesellschaft zu beschleunigen.

Der ägyptische Staat ließ die Gotteskrieger weitgehend gewähren, zumindest bis Oktober 1992, als erstmals Touristen Opfer eines Terroranschlags wurden. "Der religiöse Terror wird nicht überleben", verkündete Präsident Husni Mubarak umgehend und ließ Taten folgen: Mehr als fünfzig Hinrichtungen und Hunderte Verhaftungen folgten. Nicht zuletzt, weil der Tourismus mit zweistelligen Zuwachsraten seit Anfang der neunziger Jahre zur größten finanziellen Einnahmequelle Ägyptens geworden war und damit noch vor den Einnahmen aus dem seit 1956 verstaatlichten Suez-Kanal und den Gewinnen aus der Erdölförderung lag. Im Jahr 1996 buchten mehr als vier Millionen Touristen Ägypten als Reiseziel.

Trotz Repression ist die Verankerung der Islamisten an Schulen und Universitäten, in Gewerkschaften und Berufsverbänden ungebrochen. Ihr militanter Flügel hat landesweit eine teils verborgene, teils offene Kriegsökonomie durch Wegezoll, Erpressung und eigene Steuereintreiber errichtet. Die legalen Organisationen dürfen sich großzügiger Spenden aus Saudi-Arabien und dem Iran sicher sein.

Gleichzeitig ist die Regierung gezwungen, eine rigide Sparpolitik durchzusetzen. Ägypten unterliegt seit Anfang der achtziger Jahre den Strukturanpassungsprogrammen des IWF. Ein 1992 gewährter Schuldenerlaß von 12,3 Milliarden Dollar - quasi ein Geschenk der USA für die Bündnistreue im zweiten Golfkrieg - war allerdings verbunden mit einem neuen Strukturanpassungsprogramm, dessen dritter Teil seit 1996 umgesetzt wird: Privatisierungen, Einsparungen bei Verwaltung, Bildung und Gesundheit, Verlängerung der Arbeitszeit, Freigabe der Wohnungsmieten und ein neues Agrargesetz haben seitdem die politische und gesellschaftliche Situation in Ägypten verändert.

Im landwirtschaftlichen Bereich, in dem etwa ein Zehntel der 61 Millionen Ägypter beschäftigt ist, galt seit der Präsidentschaft Nassers die Regel, daß Pachten, die dazu noch relativ niedrig festgelegt wurden, unkündbar seien. Einer graduellen Erhöhung dieser Pachten seit 1992 um das Dreifache folgte im Oktober diesen Jahres ein Gesetz, daß künftig die freie Aushandlung zwischen Pächtern und Landbesitzern vorschreibt.

Das an dieser Stelle freigesetzte Konfliktpotential entlud sich während der Gesetzesvorbereitungen in pogromähnlichen Ausschreitungen. Im Juli 1996 fielen islamische Pächter in dem Dorf Kafr Demian über christliche Kopten her, in denen die Landbesitzer vermutet wurden. Häuser und Ställe wurden niedergebrannt, das Vieh getötet.

Die islamistischen Organisationen erhalten aber nicht nur Zulauf von den Bauern: Die Verkleinerung der staatlichen Administration und die Privatisierung ehemals staatlicher Betriebe hat zu einer sozialen Differenzierung der Mittelklassen geführt. Techniker, Lehrer, ehemalige Staatsangestellte und viele Universitätsabgänger, vormals die soziale Basis des Systems, suchen und erfahren Unterstützung durch die Islamisten. Sie haben seit Ende der achtziger Jahre Verbände und Gewerkschaften erfolgreich unterwandert: Von 61 Mitgliedern des nationalen Gewerkschaftsrates waren 1996 45 Islamisten.

Staatspräsident Mubarak und Regierungschef Kamal al-Gansuri versuchen schon seit einiger Zeit, die Lage mit geschicktem Taktieren wieder in den Griff zu bekommen: Gewaltsame Bekämpfung des militanten Flügels auf der einen Seite, auf der anderen ideologische Zugeständnisse und Freiraum für islamische Intellektuelle und gemäßigte Religiöse. Man überläßt ihrem Einfluß einen Teil der sozialen und kulturellen Institutionen, zumal eine staatliche Finanzierung damit entfällt. Die gemäßigten Islamisten, z.B. der Großscheich des sunnitischen Islam, Mohammed Sajjid Tantawi, segnen im Gegenzug die politische Macht des Staates als Autoritäten des Islam ab und grenzen sich strikt von "der Gehirnwäsche der Ultras" (Koranforscher Nasr Hamed Abu Zaid) ab.

Selbst ein Teil von "Gamaa islamija" setzt inzwischen auf Integration: Im Sommer wurde - in der Hoffnung auf milde Urteile in einem laufenden Prozeß - ein Waffenstillstand angeboten. Amin Abd el-Halim, hochrangiges Mitglied der Terrororganistion, legte vor Gericht nach und verkündete, daß Blutvergießen ohnehin nicht "im Interesse des Islam und der Moslems" sei. Man möchte mit von der Partie sein, sollte die Macht in den nächsten Jahren neu verteilt werden.

Und danach sieht es zur Zeit aus: Die ökonomische Öffnung hat aus Teilen der alten technischen und administrativen Eliten sowie einigen Freiberuflern (Ärzte, Anwälte, Kaufleute) eine neue Bourgeoisie entstehen lassen. Handelsverbände wie der Verband Ägyptischer Geschäftsleute (EBA) haben schon jetzt die Schaltstellen zwischen Staat und Privatwirtschaft besetzt, sie beeinflussen die noch anstehenden Privatisierungen, koordinieren ausländische Hilfsprogramme und beraten staatliche Stellen bei Investitionen.