Demontage eines Präsidenten

Die kolumbianische Guerilla sabotiert die für den 26. Oktober geplanten Wahlen, die Staatsangestellten wollen streiken, und die Liberalen initiieren Friedensverhandlungen an der Regierung vorbei

Schon bevor die Nachricht bekannt wurde, hatte Innenminister Horacio Serpa Uribe, möglicherweise der zukünftige Präsident Kolumbiens, von der Sache Wind bekommen. Es gebe, sagte Serpa, gegenüber der Presse, Gerüchte eines Komplotts gegen die Regierung.

Was dann am vorletzten Wochenende an die Öffentlichkeit gelangte, war denn auch tatsächlich ein mittleres politisches Erdbeben für die sowieso nicht gerade stabile Samper-Regierung. Der liberale Vorkandidat und Konkurrent Serpas, der aus einer einflußreichen Oligarchenfamilie stammende Juan Manuel Santos, hatte mit anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eine eigene Friedensinitiative gestartet. Brisant war dabei nicht nur, daß diese Initiative an Sampers Administration und der Armee vorbei den Guerillaorganisationen ELN und FARC-EP vorgelegt wurde, sondern auch, daß der Vorschlag auf einige zentrale Forderungen der Guerilla eingeht.

So sieht die Initiative den Rückzug der Armee aus mehreren Konfliktgebieten, einen sofortigen Waffenstillstand und die Abhaltung einer "Verfassunggebenden Versammlung" vor. Letzteres war erst vor vier Wochen von der ELN ins Gespräch gebracht worden. In einem Kommuniqué hatte die guevaristische Guerillaorganisation die Abhaltung eines "Nationalkonvents für die Demokratie" gefordert, um den Krieg der Paramilitärs gegen Landbevölkerung und Oppositionelle endlich zu stoppen. Der Terror der von Viehzüchtern, Ölmultis und der Armee finanzierten Todesschwadrone kostet jedes Jahr 20 000 Menschen das Leben.

Die nun vorgelegte Friedensinitiative hat bereits die Zustimmung der FARC gefunden und kann auf breite gesellschaftliche Unterstützung zählen. Immerhin wird sie unter anderem von Literaturnobelpreisträger Garc'a M‡rquez, dem Ex-Präsidenten Alfonso L-pez, dem katholischen Prälaten Rubiano sowie Gewerkschaftschef Eduardo Garz-n getragen. Am bittersten für Samper muß jedoch sein, daß die Führungsgremien der eigenen Liberalen Partei von der unabhängigen Initiative wußten und sie unterstützten.

Offensichtlich sollte der von Krise zu Krise stolpernde Samper kurz vor den Regional- und Gemeinderatswahlen am 26. Oktober erneut gedemütigt werden. Auch wenn die Initiatoren des Vorschlags leugneten, sie hätten Sampers Position destabilisieren wollen, wiesen diverse Politiker aus den Reihen der Regierungspartei darauf hin, die Initiative sei berechtigt, weil "der Präsident angesichts der Guerillaoffensive nicht mehr Herr der Lage" sei.

Seit Anfang August führen FARC und ELN eine ausgedehnte Wahlboykottkampagne durch. Sie begründen dies damit, daß oppositionelle Meinungsäußerungen angesichts des Paramilitarismus nicht mehr möglich seien. "Besser gar keine Demokratie als eine Demokratie für wenige", so die Aufständischen.

Seitdem in den von der Guerilla beeinflußten Gebieten - immerhin zwei Drittel des Landes - faktisch ein Wahlkampfverbot besteht, sind mehr als 1 000 PolitikerInnen entführt und zum Rücktritt von ihren Kandidaturen gezwungen worden. In vielen mittelgroßen Städten wie Ipiales, Barrancabermeja oder Aguachica sind Sprengstoffanschläge auf Partei- und Wahllokale verübt worden. Selbst in Großstädten wie Medell'n häufen sich Guerillaangriffe auf Polizeiposten.

Aber auch die soziale Proteste weiten sich aus. Obwohl seit Monaten praktisch alle Streiks für illegal erklärt und Gewerkschafter mit "Terrorismus"-Paragraphen verfolgt werden, bahnt sich der zweite große Streik im öffentlichen Dienst in diesem Jahr an. Schon im Februar hatten die Staatsangestellten (Telekom, Erdöl, Justiz und Verwaltung) das Land für eine Woche lahmgelegt und Samper zum Einlenken gezwungen. Am 8. Oktober kündigten die Gewerkschaftszentralen nach einem erfolgreich verlaufenen Protesttag für November einen unbefristeten Streik an, falls die Regierung die Privatisierungen nicht stoppe.

Die innenpolitische Lage wird der neue Verhandlungsvorschlag von Santos und Garc'a M‡rquez voraussichtlich nicht entschärfen können. Dafür herrscht auf der Seite der Linken zu viel Mißtrauen. Die kolumbianische Oligarchie hat nach ihrer Ansicht bei den letzten drei "Friedensprozessen" 1955-58, 1984/85 und 1990-92 bewiesen, daß sie an sozialen Veränderungen kein Interesse hat. Zudem wurden auch legalisierte Oppositionsführer - wie zuletzt M-19-Kommandant Carlos Pizarro - erschossen.

Wenn FARC und ELN bereits ihr Ja zum "Dialog mit der Zivilgesellschaft" signalisiert haben, hat dies wenig mit Illusionen über den anstehenden Prozeß zu tun. Zu Demobilisierungen wie in Zentralamerika wird es in Kolumbien auf absehbare Zeit kaum mehr kommen. Für die Guerilla geht es viel eher darum, den paramilitärischen Terror zu stoppen und eine gesellschaftliche Debatte über die neoliberalen Reformen in Gang zu bringen. Die aktuelle Verhandlungsinitiative, die offensichtlich an der Armee vorbei zustande kam, ist hierfür eine Chance. Sie könnte dazu beitragen, daß sich die kolumbianische Gesellschaft repolitisiert und neue Bewegungen entstehen.

Weil die Armee dies auch weiß, ist es allerdings wahrscheinlich, daß die nächste große Militäroperation unmittelbar bevorsteht. Bleibt also eher die Frage: Was kommt nach Samper?