Die Logik der Linse

Der Fußball wird immer schlechter, die Übertragungen immer besser, und zahlen soll man auch noch

Peter Struck, Pfeifenraucher der SPD-Bundestagsfraktion und deren Ge-schäftsführer, wurde in Bild am Sonntag richtig kämpferisch. Damit bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea wenigstens die Spiele der deutschen Mannschaft nicht bloß im Pay-TV zu sehen sind, "sollten die Ministerpräsidenten das zur Chefsache machen, sich noch in diesem Monat an einen Tisch setzen".

Die Rechte der Fußball-WM 2002 und 2006 liegen bei der Agentur ISPR, die Leo Kirch gehört. Kirch und sein redaktionell an das DSF angekoppelte digitale Fernsehen DF-1 wiederum sind erst kürzlich mit dem Versuch, die ganze Republik mit Decodern zu überziehen, gescheitert.

So gibt es zur Zeit in Deutschland nur ein Pay-TV-Programm, das für die von Kirch geplanten Fußball-Übertragungen in Frage kommt: der Hamburger Sender Premiere, der Kirch und dem Bertelsmann-Konzern gemeinsam gehört. Premiere ist, anders als das Kirchsche DF-1, mit etwa 1,5 Millionen Abonnenten recht erfolgreich und soll bald durch den Zusammenschluß mit DF-1 zu einem digitalen Sender ausgebaut werden. Dann können Decoder-Besitzer und Abonnenten Pay-TV gucken (kostet bei Premiere zur Zeit rund 50 Mark im Monat) oder Pay-per-view-TV bei dem man für eine bestimmte Sendung bzw. Zuschaudauer zahlen muß).

Die Fußball-WM-Rechte haben Leo Kirch 3,4 Milliarden Mark gekostet, die Installierung seines DF-1 etwa fünf Milliarden Mark, und Erlöse sind noch nicht in Sicht.

Mit dem Welt-Medienereignis Fußball-WM - lediglich die Olympischen Spiele und Dianas Trauerfeier verzeichnen ähnlich hohe Einschaltquoten - erhoffen sich die Kirch-Gruppe und der Bertelsmann-Konzern den Durchbruch auf dem deutschen TV-Markt.

Dies - da sind sich von Peter Struck über WDR-Intendant Fritz Pleitgen ("Schröpf-TV", für das "der Zuschauer bluten" müsse) und NDR-Intendant Jobst Plog ("künstliche Nachfrage für Pay-TV") bis hin zum IG-Medien-Vorstand Gerd Nies ("Angriff auf das Portemonnaie der Bürger") alle einig - muß verhindert werden.

Pragmatische Lösungen der besonderen Art schlägt Kurt Beck, Chef der Länder-Rundfunkkommission und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, vor. Damit die Öffentlich-Rechtlichen, deren Gebührensystem nicht mit Pay-TV zu vergleichen sei, weiter mitbieten können, sollten die Werberegeln gelockert werden: Einfach nach 20 Uhr auch noch Reklame senden, und schon sei die Chancengleichheit "erheblich" verbessert.

Daß ein Großteil der Spiele der Fußball-WM 2002 nur per Pay-TV zu sehen sein wird, ist allerdings schon längst beschlossene Sache. Die Aufregung in Deutschland wurde erst durch ein Interview mit dem Generalsekretär des internationalen Fußballverbandes (Fifa), Sepp Blatter, ausgelöst: Blatter hatte erklärt, es reiche, wenn nur die wichtigen Spiele im Free-TV zu sehen seien, also nicht unbedingt jedes Spiel mit deutscher Beteiligung.

Vertraglich hat die Fifa mit Kirch festgelegt, daß zumindest das Eröffnungsspiel, beide Halbfinal-Begegnungen und das Endspiel live im Free-TV ausgestrahlt werden.Ausgeschlossen hat die Fifa das Pay-per-view-TV.

Mit dieser Regelung waren die Parteien und der Deutsche Fußballbund bislang auch zufrieden. "Ich erwarte einen Mix aus Free-TV und Pay-TV", sagt DFB-Pressesprecher Wolfgang Niersbach, "bei 32 Mannschaften und 64 Endrundenspielen können wegen zeitlicher Überschneidungen ohnehin nicht alle Treffen live gezeigt werden." DFB-Präsident Egidius Braun erklärte: "Die großen Spiele müssen für alle zugänglich im Fernsehen übertragen werden", und sein Pressesprecher erläuterte, was denn große Spiele seien: "Wir bleiben bei unserer Politik, daß Spiele der deutschen Nationalmannschaft jeder live sehen soll."

Was in der deutschen Aufregung darüber, daß man demnächst womöglich für die Kunst der Vogts-Truppe Geld zahlen muß, untergeht, ist jedoch die Frage, welche technischen und ästhetischen Veränderungen der von Kirch forcierte Kapitalisierungsschub auf dem Mediensektor brächte.

Die Übertragung eines Fußballspiels stellten sich Verfechter des status quo (nur mit mehr Werbung) so vor, daß es eine Eins-zu-Eins-Abbildung des Ereignisses gibt, die man bislang kostenlos zu sehen bekam und für die man jetzt zahlen muß. Die Tatsache, daß schon mit der Art der Übertragung - ob mit einer oder mit zwanzig Kameras gearbeitet wird, ob eine ruhige Totale oder eine schnelle Schnittabfolge mit verschiedenen Nahaufnahmen gewählt wird - Inhalte vermittelt werden, ist Vertretern dieser Art mechanistischer Ästhetikvorstellung fremd.

Ein kurzer Rückblick: Als der erste deutsche Pay-TV-Sender Premiere 1991 auf Sendung ging, wurde sofort das "Spiel der Woche" eingeführt, d.h., jeden Samstag wurde die interessanteste Bundesliga-Begegnung live gesendet, gleichzeitig gab es eine Reihe technologischer Neuerungen. Die Krankamera hinter dem Tor z.B. erlaubte jetzt den Blick auf die Postierung der Abwehr beim Eckball. Man experimentierte mit der "Spiegelzeitlupe", die es ermöglichte, einen Zweikampf von der gegenüberliegenden Stadionseite einzufangen.

Bei Premiere wurde die Attraktivitätder Übertragung auch dadurch gesteigert, daß man mit zwölf Kameras (mittlerweile sind es bis zu zwanzig) in die Stadien ging, und so neue Perspektiven eröffnen konnte: eine Abseitskamera, die auf Höhe der 16-Meter-Linie steht - zwei Kameras sind auf jeweils einen Spieler der zwei Teams gerichtet, um ihn genau zu analysieren, eine Kamera wird manchmal in einem Zeppelin über dem Stadion angebracht, um mit Vogelperspektive das taktische Konzept der Mannschaften besser zu zeigen usw.

Mit seinem Kapital- und Technologieschub fegte Premiere die alte Sportschau-Seligkeit hinweg; der Kommerzsender machte aus einem Fußballspiel ein Medienspektakel, das mal besser, mal schlechter war als das Live-Event im Stadion, aber in jedem Fall anders.

Die Standards der Premiere-Macher - seit zwei Jahren senden sie zwei "Topspiele der Woche" - haben sich durchgesetzt, sowohl Sat.1 als auch die Öffentlich-Rechtlichen mußten nachziehen. Die Krankamera hat sich inzwischen so bewährt, daß auch ARD und ZDF sie bei ihren Übertragungen einsetzen. Die "Spiegelzeitlupe" dagegen ist kaum noch zu sehen, sie verwirrte mehr.

Sollte es zu dem von Kirch und Premiere gewünschten Schub durch die Fußball-WM 2002 kommen, ist mit weiteren Verbesserungen der Aufnahme- und Übertragungsqualität zu rechnen. Technologisch wird die Lösung durch digitales Fernsehen bereitgestellt: Das bedeutet zunächst nur die Datenkomprimierung. Sie hat zur Folge, daß auf den zur Verfügung stehenden Sendekanälen mehr Übertragungswege verfügbar sind. Kirchs DF-1 überträgt beispielsweise seit etwa einem Jahr Formel-1-Rennen. Dort wird die Fernbedienung zum Ü-Wagen, der Zuschauer kann über sechs aufgestellte Kameras verfügen, sich mal in die Boxengasse zappen, mal die Cockpit-Kamera des führenden Piloten aufrufen. Hat sich das digitale Fernsehen erst einmal durchgesetzt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Empfangsgeräte digital sind. Erst das gewährt die bessere Bildqualität.

Aus technischer und ästhetischer Sicht sind die Neuerungen, die Pay-TV mit sich bringen wird, nicht rundweg abzulehnen. Und unter politischen Gesichtspunkten fällt auf, daß die mutig-kämpferische Ablehnungsfront der Strucks, Becks und Pleitgens vor allem für das Recht kämpft, die Spiele der deutschen Mannschaft in gewohnt schlechter Qualität präsentieren zu dürfen, und zu diesem Zweck sogar bereit ist, die nervigen Werbeblöcke auszudehnen.

Dem Kirch-Bertelsmannschen Ziel, einen neuen Markt zu schaffen und dabei gleichzeitig als Trust zu fungieren (der erste Anlauf von Kirch, mittels eigener Decoder-Technik den Markt als Monopolist zu eröffnen, ist bekanntlich gescheitert), steht allerdings - ganz banal - die Kapitallogik entgegen. Denn zum einen ist der angestrebte Technologieschub erst durch eine Krise ausgelöst worden, wie fast jede Innovation eine krisenvermittelte ist: Erst durch beginnende Sättigungstendenzen auf dem Medienmarkt - die Quantität der TV-Sender ist profitabel nicht mehr zu steigern - wurde der Zwang zur technologischen, also qualitativen Markterweiterung evident. Eine Monopolstellung des Kirch-Bertelsmann-Trusts würde eine solche Innovation jedoch verhindern und andere Anbieter auf den Plan rufen.

Zum anderen trägt jede Technologie die Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft in sich. Den gegenwärtigen Stand der Technik - wie es jetzt durch SPD und Gewerkschaften geschieht - als einen demokratischen Standard zu verherrlichen, die Frage seiner gesellschaftlichen Beherrschbarkeit als bloßes Verteilungsproblem zu verstehen und folglich die Öffentlich-Rechtlichen sowie die kommerziellen Free-TV-Anbieter RTL und Sat 1 zu loben, ihnen gar, damit sie gegen die vermeintlich intrigante Konkurrenz noch eine Chance haben, mehr Werbemöglichkeiten anzubieten, offenbart ein zutiefst inhaltsloses Verständnis von bürgerlicher Gesellschaft und ihrem Fernsehen.

Es gibt aber auch noch eine andere Art der Kritik, fernab von den Strucks, Becks und Pleitgens. "Die lautesten Protestierer gegen die Ausstrahlung von Fußball-WM-Spielen in Kirchs Pay-TV", schreibt René Martens in der taz, "sind gar keine echten Fußballfans." Die stünden nämlich im Stadion. "Wer jetzt schon weiß, daß er die Sommer 2002 und 2006 im Krankenhaus oder Gefängnis verbringen muß, der hat vielleicht ein Recht, etwas sauer zu sein auf Leo Kirch." Das ist natürlich keine Alternative: Schnell mal vier Wochen in Japan und Südkorea Urlaub machen, weil dort gerade die brasilianische Nationalmannschaft spielt, die man eben lieber sehen möchte als den Dorf- oder Kiezfußball.