Hamburger Verhältnisse

"Wir sind bei den Grünen in Bringschuld", sprach Hamburgs designierter Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) für seine Partei. "Mit 14 Prozent kann man nicht mehr durchsetzen", jammerte sein Gegenüber am Verhandlungstisch, Willfried Maier von der Grün-Alternativen Liste (GAL). Die Aussprüche der beiden Spitzenpolitiker kennzeichnen den Zwischenstand der rot-grünen Koalitionsverhandlungen an der Elbe: Die Sozialdemokraten können sich nur wundern, welche Kröten der zukünftige Koalitionspartner ohne Zögern bereit ist zu schlucken, und die Grünen agieren nicht selbstbewußt, sondern reden sich selber schwach.

Dementsprechend sehen die Ergebnisse zur Halbzeit der rot-grünen Verhandlungen aus. Ob Hafenerweiterung, Elbvertiefung oder Flughafenausbau: All die umweltschädlichen Großprojekte, die längst auch zu Symbolen grünen Widerstands geworden sind, nickte die GAL um der Machtbeteiligung willen im Eilverfahren ab. Solche Projekte zu kippen "haben wir nicht die Kraft", räumte Maier nach einigen Verhandlungsrunden die grüne Wirkungslosigkeit ein. Nicht einmal zwei elbnahe Stadtteile konnten aus dem Hafenentwicklungsplan herausgelöst werden, sie stehen den Planierraupen weiter als Reserveflächen für einen wachsenden Container-Schiffsverkehr zur Verfügung.

Die Bonbons, die den Grünen die Zustimmung zur wirtschaftsfreundlichen Standortpolitik versüßen sollen, schmecken vergleichsweise schal. Der Bestandsschutz für den von der Hafenerweiterung bedrohten, mittelfristig aber dafür gar nicht benötigten Stadtteil Moorburg-Mitte wird um 20 Jahre bis 2035 verlängert, am Airport gibt es etwas mehr Lärmschutz und dazu den unverbindlichen Einstieg in die Planung für eine Stadtbahn, deren Finanzierung in den Sternen steht.

Während die Naturschutzverbände auf die Umfaller von der GAL einprügeln, fühlen sich die Mitglieder der grünen Verhandlungskommission "einfach nur schlecht". Dafür verspürt Hamburgs Handelskammer-Chef Nikolaus Schües plötzlich "keine Berührungsängste" mehr mit den gewandelten Grünen. Kurz nach der Wahl hatte der Lobbyist noch gewettert, eine GAL auf Hamburgs Regierungsbank würde "weltweit ausstrahlende negative Atmosphäre verbreiten. Die grüne Basis, vergangene Woche auf einer Mitgliederversammlung von den dürren "Verhandlungserfolgen" ihrer Mandatsträger informiert, muckte kurz auf, um dann resigniert die Schultern zu zucken. Denn daß die Koalition - um welchen Preis auch immer - innerparteilich eine Mehrheit findet, gilt als sicher. Zu groß ist nach langen Jahren der Wille, an die Regierungströge zu kommen. Erst in den kommenden Tagen, wenn es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Absicherung sozialer Projekte und diverse andere Einzelthemen geht, wird sich endgültig zeigen, ob die Grünen die beginnende Legislaturperiode noch mit der einen oder anderen Duftmarke bereichern können. Spannend bleibt vor allem, ob die GAL die baldige Stillegung des schrottreifen Atomreaktors Brunsbüttel und ein Hamburger Bundesratsvotum gegen den Großen Lauschangriff wird durchsetzen können. Sollte sie auch hier scheitern, geht Ortwin Rundes großer Traum in Erfüllung: Sozialdemokratie pur in Hamburg, versteckt unter grüner Tarnfarbe.