Robert Wyatt

»Ich habe mich nie für England interessiert«

Sechs Jahre sind vergangen, seit Robert Wyatt seine letzte Platte, "Dondestan", veröffentlicht hat. Mit "Shleep" (Hannibal/Rykodisc/RTD) legt Wyatt nun elf neue Songs vor. Waren die Texte auf den bisherigen Platten häufig geprägt von offenen Bekenntnissen zum Kommunismus, dreht sich "Shleep" um das Thema Schlaf. Mit dabei waren seine Frau Alfie Benge, Brian Eno, Phil Manzanera, Philip Catherine, Evan Parker, Annie Whitehead und Paul Weller.

Bist Du noch in der britischen KP?

Ich wäre es noch, wenn die Kommunistische Partei nicht Harakiri begangen hätte, unglücklicherweise. Sie verfügt aber immer noch über eine sehr gute Zeitung, den Morning Star. In der Partei hat der rechte Flügel das Geld an sich gerissen und andere unerfreuliche Dinge getan. Ich habe mich aber nicht grundlegend verändert. Jetzt, wo es den globalen kapitalistischen Monopolismus gibt, sind die Herausforderungen an den einzelnen größer denn je. Ich sehe zur Zeit nicht, wie jemand die ernsthaften Probleme bewältigen soll, denn jede Regierung übt sich momentan in Rückschrittlichkeit. Wir erleben eine Periode irrationaler Unruhe. Menschen wenden sich fundamentalen Religionen zu, um damit ihre Entfremdung auszudrücken. Aber das ist wohl nicht das, was Du mich gefragt hast, sorry. Meine Weltanschauung ist noch dieselbe, in gewissem Sinn sogar stärker und deutlicher als zuvor. Und niemand kann bestreiten, daß die Kapitalisten, die unser Leben kontrollieren von niemandem gewählt sind.

Was hat sich seit Tony Blair geändert - für Linke und für Künstler?

Um ehrlich zu sein, ich habe mich nie besonders für England interessiert. Mein größtes Problem sind diese ganzen Wiederveröffentlichungen alter Platten auf CDs, die die alten Verträge wieder ans Tageslicht brachten. In den meisten Fällen bin ich beschissen worden. Natürlich hätte ich früher merken müssen, daß ich von Betrügern gemanagt wurde. Die großen Plattenfirmen, bei denen ich unter Vertrag war, wie z.B. CBS, handeln sehr undurchsichtig, sie behandeln ihre Künstler und Musiker wie Scheiße. Das demoralisiert, denn wenn man eine Platte macht, fragt man sich: "Für wen mache ich das eigentlich?" Ich mache hier die kreative Arbeit, und das ganze Geld geht an irgendwelche arschgesichtigen Angestellten, in irgendwelchen Londoner Büros - damit sie irgendwelchen sinnlosen Vergnügungen nachgehen können. Die letzte Plattenfirma, Rough Trade, war aber sehr nett, nette Leute.

Was hältst Du von der Theorie, daß Krisenzeiten für Künstler besonders produktiv sind, wie z.B. die Zeiten der Torie-Regierung unter Thatcher?

Das ist eine Theorie aus der Gärtnerei: Wenn man sich viel um die Pflanzen kümmert, mit ihnen spricht, produzieren sie mehr Blüten - in einer Art Panik! Nein, es hängt selbstverständlich ganz von der Person des Künstlers ab. Die enormen Anstrengungen, die man in den letzten Jahren unternommen hat, um Leute wie mich zu demoralisieren, hatte eine große Wirkung. In einer weniger bösartigen, rassistischen und entfremdeten Umgebung hätte ich wesentlich besser arbeiten können.

Fühlst Du dich wohl in der Rolle einer lebenden Legende?

Wenn man schon so lange Musik macht wie ich, hören all die Leute, die einen nicht mögen, sowieso nicht mehr zu. Also werden sie sich auch nicht mehr äußern. Und diese Leute sind bis heute immer noch in der großen Überzahl. Deshalb bin bin dankbar, daß es wenigstens ein paar gibt, die mir immer noch zuhören.

Aber die Leute, die Deine Musik mögen, sind sehr, sehr unterschiedlich.

All die unterschiedlichen Leute scheinen auch an unterschiedlichen Perioden meiner Arbeit Interesse zu haben, und das ist gut so. Aber ich kann nicht genau sagen, wer meine Musik hört, denn ich gehe nicht viel nach draußen und spiele selten live, daher treffe ich auch kaum jemanden.

Du scheinst genau in dem Grenzbereich zwischen Pop und Jazz zu arbeiten.

Ich mußte mir meine Nische suchen, denn obwohl ich Popmusik sehr mag, arbeite ich nicht gerne in der kommerziellen Musikindustrie. Aber ich liebe Popmusik, sie ist die moderne Variante des Folk. Allerdings bin ich zu sehr Fan von Jazz und diversen Avantgardestilen in Musik und Malerei dieses Jahrhunderts, so daß ich meine eigene Version von Popmusik erfinden mußte. Ich mag die nichteindeutigen Effekte in meinen Songs, sowohl rhythmischer als auch harmonischer Art.

Glaubst Du, daß die politische Kraft der Avantgarde größer ist als die der Popmusik?

Viele Leute unternehmen enorme Anstrengungen, um zu zeigen, in welcher Form die Kunst rebellisch ist. Aber mir hat noch niemand schlüssig erklären können, wie das funktionieren soll. Man macht eine Platte mit sehr vielen schrägen Klängen darauf, und diese lösen dann bei mir den Wunsch nach Demokratie aus?

Der vielleicht radikalste Komponist der modernen Klassik, Schoenberg, hat sich selbst Zeit seines Lebens als vollkommen bourgeois empfunden und keinen Gedanken daran verschwendet, die Welt zu verändern.

Du spielst in keiner Band mehr. Hältst nicht viel von der Arbeit innerhalb eines Kollektivs?

Diese Frage spielt wohl darauf an, ob das Private politisch ist. Mich erinnert das immer an alte Diskussionen, als sich die Leute darüber stritten, ob ein Orchester faschistisch ist. Ich schätze es, wenn einige glauben, daß sie, wenn sie in einer Gruppe ohne Anführer spielen, Anarchismus leben. Das ist großartig, klingt nach einer Menge Spaß. Zumindest, solange man die anderen Leute in der Gruppe mag.

Es geht aber doch vielmehr darum, sich über Ideen auszutauschen.

Vielleicht sollte ich zurücknehmen, was ich gerade behauptet habe, das klingt ein bißchen zu einfach. Tatsache ist, daß im Musikmachen bereits eine soziale Aktivität angelegt ist, günstigstenfalls. Meine Lieblingsmusik ist immer durch die Zusammenarbeit verschiedener Leute entstanden. Aber das wurde nicht irgendwie herbeigeführt, sondern das muß einfach so sein, sonst funktioniert es nicht. Die stärkste Motivation bekam ich in der Zusammenarbeit mit anderen Leuten. Kein Individualist könnte in einer Gesellschaft aus lauter Individualisten existieren.

Aber die Illusion des Individualismus wird hartnäckig verteidigt.

Ich verstehe nie, wovon die Leute eigentlich reden, wenn sie sich selbst Individualisten nennen. Es scheint eins von diesen unvorsichtig benutzten Wörtern zu sein, das allmählich bedeutungslos geworden ist. Das geschah in den achtziger Jahren, als uns erzählt wurde, wir müßten eine Nation von identischen Individualisten werden. Das war so dämlich, daß es gar nicht wert war, darüber nachzudenken.

Um noch mal auf die Sache mit dem Kollektiv zurückzukommen. Bei mir funktioniert es nicht so, wie bei Musikern normalerweise, aufgrund meines Rollstuhls. Dieses Herumreisen, Touren und Proben an unterschiedlichen Plätzen ist für mich sehr schwierig. Ich kenne ieigentlich nur eine Person in London, die ich besuchen kann, bei der es mir möglich ist, auch das Bad zu benutzen. Konzerthallen und Bühnen sind absolut unmöglich für jemanden in einem Rollstuhl.

Ist das der Hauptgrund, warum Du nicht mehr live spielst?

Ja, das ist einer der Hauptgründe. Es ist ein Alptraum, all die Sachen zu organisieren. Meine Frau hat bereits ihren Rücken ruiniert, weil sie mich und den Rollstuhl seit 20 Jahren ständig herumträgt. Ich müßte ein ganzes Team dafür beschäftigen, und das kann ich mir einfach nicht leisten.

Du sagtest einmal, daß Du einen Weg jenseits der Popmusik suchst; hast Du ihn gefunden?

Lenin beschrieb einmal etwas, was er die "Zweite Kultur" nannte. Es klingt vielleicht utopisch, aber ich hoffe einfach, daß ich die Platten machen kann, von denen ich glaube, daß sie richtig sind. Ungeachtet der Tatsache, wie ähnlich oder unähnlich sie dem sind, was mit den Kategorien des Mainstreams verbunden wird.

Meinst Du, das Deine Suche nach dem, was Du gerade als "Zweite Kultur" beschrieben hast, bereits abgeschlossen ist?

Wenn ich versuchen würde, das jetzt zu beantworten, wäre das zu schnell. Ich muß wirklich darüber nachdenken, und das wird wohl einige Tage dauern.

Wie war Deine persönliche Situation zu der Zeit, als Du "Shleep" aufgenommen hast?

Ich habe mich sehr bemüht, so weit wie möglich von einer Art Treibsand-Depression wegzukommen, in die ich früher mal hineingesteuert war. Ich war fest entschlossen, das nicht noch mal geschieht. Als es das letzte Mal passiert ist, war ich so niedergeschlagen, daß ich nichts mehr machen konnte. Ich fühlte mich lächerlich und sinnlos. Diesmal war ich sehr bemüht - Achtung, hier kommt ein Klischee -, to look on the bright side.

Bist Du so auf das Thema der Platte, Schlaf, gekommen?

Ja, ich glaube schon. Auf den Titel - letztlich bedeutet "Shleep" wohl "gestörter Schlaf" - kamen wir, weil viele der Songs, die meine Frau, Alfie, und ich geschrieben haben, sich irgendwie um Schlaf oder um den Versuch zu schlafen, oder um das, was passiert, wenn man schläft, drehten.

Warum enthält die neue Platte keine direkten Verweise auf eine linke Politik, wie Du es in mit "Little Red Record", "Stalin Wasn't Stallin" oder auch "Amber & The Amberines" noch gemacht hast?

Die Krise der Entfremdung findet heute auf abstrakteren Leveln statt. Der Kampf und die Anstrengungen momentan sind wesentlich persönlicher und betreffen eher die Mikropolitik um uns herum. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber wir hatten hier enorme Schwierigkeiten, uns gegen den lokalen Druck, alles zu privatisieren, zur Wehr zu setzen. Das hat unser Leben extrem erschwert. Das führt aber nicht immer zwangsläufig zu irgendwelchen Songs. Solche Sachverhalte sind für mich besonders bedeutend, aber machen für andere keinen Sinn. Niemand wüßte, wovon ich überhaupt spreche.