Italien: Verführung nach Links

Die Mitte-Links-Regierungen brauchen den Druck der Linken.

Kaum hatte der italienische Ministerpräsident des Olivenbaumes - ein Mitte-Links-Bündnis - die parlamentarische Mehrheit verloren und seinen Rücktritt erklärt, tönte es bereits aus allen Ecken, nun sei der Beweis erbracht, daß die "Postkommunisten" nicht regierungsfähig seien . Thierse und Trittin, Frontkämpfer der rot-grünen PDS-Ausgrenzungslinie, dürften sich bereits des argumentativen Zugewinns gegen die PDS gefreut haben. Ein solcher argumentativer Zugewinn war auch dringend nötig, erwies sich doch ihr bisheriger Vorrat an Argumenten, "Wer PDS wählt, stützt Kohl", als allzu dürftig.

Was war geschehen? Die Parlamentsfraktion der Kommunistischen Neugründung Rifondazione Comunista verweigerte dem Kabinett Prodi die Zustimmung zu einem "Euro-diktierten" Sparhaushalt. Die von Prodi geplanten weiteren Verschlechterungen in den Rentenversicherungen und Pensionskassen, der Verzicht auf staatliche Initiativen gegen Massenarbeitslosigkeit, fortgesetzte Privatisierung und andere Einschränkungen in der staatlichen Sozialpolitik, hätte für die italienische Linke bei Zustimmung zu diesem Haushalt ein Stück Selbstaufgabe bedeutet.

Von Links kam für Prodi ein entschlossenes Nein zu einem solchen Kurs. Sich die fehlenden Parlamentsstimmen bei der extremen politischen Rechten, den Rechtspopulisten und Neofaschisten, zu holen, war offensichtlich politisch nicht opportun und inhaltlich nicht machbar. Ein Kompromiß nach Links hingegen schien nicht ausgeschlossen. Diesem Kompromiß stand jedoch entgegen, daß für Prodi das Erreichen der "Euro-Kriterien" höher angesiedelt war, als eine ausgewogene Sozialpolitik. Eine durchschnittliche europäische Erscheinung. Kaum eine soziale Schuftigkeit in Europa, die heute nicht mit dem Hinweis auf den Euro begründet wird.

Die Erpressung - wenn die Linke nicht zustimmt, wird nach rechts geöffnet - zog nicht mehr. Umgekehrt waren auch die Druckfaktoren, wenn sich die Mitte nicht nach Links bewegt wird "Mitte-Links" gestürzt, außerordentlich bescheiden. In der Tat drohte doch statt Prodi ein rechteres Kabinett. Allenfalls diese Situation ist im weitesten Sinne als Gedankenspiel - und nur als ein solches - auf die Bundesrepublik übertragbar. Alles andere sind italienische Besonderheiten.

Das Parteiensystem in Italien ist nicht vergleichbar mit dem in Deutschland. Undenkbar, daß in wenigen Monaten ein ganzes Parteiensystem zusammenbricht, bzw. sich umgruppiert, und ebenso undenkbar, daß in kürzester Zeit ein neues System entsteht. Die italienischen Christdemokraten sind kaum mehr identisch mit den deutschen. Die italienische PDS hat außer ihrer Abkürzung politisch kaum etwas gemein mit der deutschen PDS. Diese wiederum weist schon mehr Gemeinsamkeiten mit der Rifondazione Comunista, aber auch viele Unterschiede zu ihr auf. In Italien ist die politische Rechte, einschließlich der Neofaschisten, zwar in verschiedene Lager getrennt, aber parlamentarisch wie außerparlamentarisch stärker als in Deutschland.

Stärker aber ist auch parlamentarisch wie außerparlamentarisch die Linke. Auch sie ist in verschiedenen Lagern zu finden. Und sie ist in der Lage, anders als in Deutschland, Massen auf die Straße zu bringen. Unterschiedlich sind die Gewerkschaften, die Wahlgesetze und das Sozialsystem. Und auch anders als in Deutschland wird die Europapolitik von der Linken nicht als auswärtige Politik, sondern als Innenpolitik gedacht und verstanden.

Die grundsätzliche Frage, in welche Richtung eine Regierungskoalition von Mitte-Links - wenn sie unter Druck steht - fällt, fand in Italien eine Antwort: Wenn der Druck groß genug, ist nach Links. Zumal wenn wie in Italien die Drohung mit Neuwahlen angesichts der Meinungsumfragen, die der Kommunistischen Neugründung einen Stimmengewinn von 8,6 Prozent auf 15 Prozent prognostizierten, als Lösung verschlossen blieb.

Unter dem Druck der Linken bleiben die Rentenkassen vorerst unangetastet und wird spätestens zum Jahr 2001 die 35-Stunden-Woche gesetzlich eingeführt. Prodi bleibt Ministerpräsident.

Da die italienische Regierungskrise als Argument gegen die PDS eingeführt werden sollte, muß sie nun auch als Argument pro PDS zugelassen werden. Sollten also in der Bundesrepublik die von der IG Metall geforderte 32-Stunden-Woche von einer Rot-Grünen-Regierung unter dem Druck der PDS gesetzlich eingeführt und die Sozialversicherungskassen nicht länger ausgeplündert werden, wäre auch hier der Nachweis erbracht, daß Mitte-Links/

Rot-Grün nur unter dem Druck von Rechts, also unter CDU-Druck, wenig bringt, unter einem Druck von Links aber zu sinnvollen Lösungen fähig ist.

Aber das ist ein Gedankenspiel - zugegeben ein reizvolles -und mehr nicht. In Deutschland ist der Weg der SPD zur politischen Rechten noch immer näher als Lösungen nach Links. Die CDU tritt jetzt mit der Doppelspitze an: Kohl für CDU/FDP, Schäuble für die Große Koalition. Die SPD antwortet mit der Doppelspitze Oskar und Gerhard, und die Grünen wagen vor lauter Regierungsgelüsten noch nicht einmal den Entwurf eines Wahlprogramms für die eigene Partei zu vertreten. Da kann einem die PDS fast schon wieder sympathisch werden.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der PDS