Wer hat unsere Chips?

Bertelsmann/Kirch gegen den öffentlich-rechtlichen Rest oder Wem gehört das Fernsehen?

Manchmal bringen es gewagte Vergleiche auf den Punkt: Legte man den medizinischen Gesundheitsdienst mit dem zusammen, was auf der Reeperbahn in Massagesalons angeboten wird, hätte man dann das perfekte duale Gesundheitssystem? IG-Medien Chef Detlef Hensche zumindest bemühte auf einer Veranstaltung seiner Gewerkschaft Anfang Oktober in Hamburg diesen, nach eigener Einschätzung "windigen Vergleich", um Klarheit über einen Begriff zu bekommen, "der uns seit zehn Jahren so munter von den Lippen geht: duales Rundfunksystem". Er suggeriere, daß eine "prästabilierte Harmonie zwischen öffentlich-rechtlichem und Kommerzfunk" existiere, so der Mediengewerkschaftler. Den Unterschied beider Systeme brachte er auf die griffige Formel: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekommt Geld, um Programm zu machen, der Kommerzfunk macht Programm, um Geld zu verdienen."

Seit es in der Bundesrepublik neben den Öffentlich-Rechtlichen auch kommerzielle Fernseh-und Rundfunkanbieter gibt, wird - die Idee von Gleichberechtigung schwingt hier mit - vom "dualen" System gesprochen, wo es sich doch eigentlich um einen Verdrängungskampf handelt. "Privater Rundfunk" ist auch so ein euphemistischer Begriff. Wenn auch im Wortsinn bei den "Privaten" das Private öffentlich gemacht wird - von Montag bis Freitag zwischen 11 und 17 Uhr in sechs Talkshows -, ist der Begriff dennoch irreführend. Sprechen wir also in Zukunft richtiger vom Kommerzfunk. Ebenso vage ist der Neologismus "Free-TV", der sich jetzt in der Diskussion um die Verwertungsrechte an der Fußballweltmeisterschaft und die Einführung des digitalen Fernsehens durchzusetzen scheint. Mit Free-TV sind ARD und ZDF ebenso wie RTL und SAT.1 gemeint.

Für ARD und ZDF aber bezahlen wir in der Regel Gebühren; und die beiden ältesten Kommerzsender, RTL und SAT.1, die in großen Teilen der Republik per Antenne zu empfangen sind, also keine Kabelgebühr kosten, dürfen nur diejenigen empfangen, die ihre Gebühren bezahlt haben. Nichts da, mit Free-TV, weder bei den Öffentlich-Rechtlichen noch bei den Kommerziellen. Und genau genommen bezahlt man sogar doppelt: Einmal über die Gebühren und dann als Verbraucherin oder Verbraucher, schließlich haben Firmen und Konzerne, die ihre Produkte bewerben, nichts zu verschenken und schlagen die Werbekosten auf den Verkaufspreis auf.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist der Sammelbegriff für die rechtsfähigen Landes-Rundfunkanstalten (ARD) und das ZDF; sie sind selbstverwaltet und unterliegen Aufsichts- und Kontrollgremien. Diese Form des Rundfunksystems resultierte unmittelbar aus den Erfahrungen des deutschen Faschismus und wurde 1948/49 von den Westalliierten durchgesetzt. Die Gründeridee: Im Nachkriegsdeutschland sollte ein staatsfreies Rundfunksystem entstehen, das von keiner gesellschaftlichen Gruppe dominiert werden kann. Vor allem sollte der Rundfunk nicht dem Einfluß von Medienkonzernen ausgeliefert sein, Konzentrationsbestrebungen sollten ausgeschaltet werden. Adenauer hatte Ende der fünfziger Jahre den Plan, einen Regierungssender namens "Deutschlandfernsehen GmbH" durchzusetzen, und scheiterte damit vor dem Bundesverfassungsgericht - das erste Fernsehurteil in der Geschichte der jungen Republik war gesprochen.

Inwiefern die Theorie der Gründer vom grauen Praxisalltag eingeholt wurde, ist ein andere Frage.Vom Grundsatz her bleibt festzuhalten, daß es sich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk um einen "Rundfunk der Bürger" handelt, die ihn schließlich auch finanzieren.

In seinem 4. Rundfunkurteil 1984 prägte das Bundesverfassungsgericht den Begriff "Grundversorgung". Tenor dieses Urteils ist, daß die Bevölkerung einen Anspruch auf ein umfassendes Programmangebot hat. Nicht um die "Mindestversorgung", wie von vielen Politikern gefordert, ginge es, sondern um die "Grundversorgung" mit Information und Unterhaltung aus allen gesellschaftlichen Bereichen.

Und manchmal scheint sich sogar der eine oder die andere dunkel an diese Idee zu erinnern., z. B. die Medienreferentin der deutschen Angestelltengewerkschaft: Auf der erwähnten IG Medien-Veranstaltung konvertierte Veronika Pahl dann lieber gleich zum Sozialismus: "Ab morgen werde ich fordern, daß der Chip in öffentliche Eignerschaft gehört." Mit dem Chip meinte Pahl die Software der Set-top-Box von "Bertelkirch", die für den Einstieg ins digitale TV-Zeitalter notwendig ist. Frau Pahl will uns sagen, daß es eigentlich ein Unding ist, wenn der Medienverbund Kirch/Bertelsmann allein über das Kernstück zukünftiger Fernsehtechnik verfügt. Im Prinzip hat sie recht, was sie verkennt, ist das Prinzip des Kapitalismus. Das, was zur Zeit medienpolitisch geschieht, wurde durch die Einführung des Kommerzfunks vor zehn Jahren ermöglicht und ist politisch so gewollt.

Das Ärgerliche ist nur, daß einige Politiker meinen, sie könnten tricksen, ohne, daß es jemandem auffiele. So behauptete Kurt Faltlhauser, der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, bei der Eröffnung der Münchner Medientage letzte Woche, die Vereinbarung über die Senderechte an den Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006 sei ein "tragfähiger Kompromiß", und weiter: "In der EU-Fernsehrichtlinie wird es ausdrücklich den Mitgliedsstaaten überlassen, auf welche Weise die Übertragung bedeutender Sportereignisse im Free-TV sichergestellt wird. Daß es in Deutschland auf freiwilliger Basis möglich war, halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung."

Da unterschlägt der Staatsminister allerdings ein paar wichtige Details: 15 Ministerpräsidenten und eine Ministerpräsidentin haben sich von der Fifa und der Rechteagentur ISPR (Springer/ Kirch) über den Tisch ziehen lassen. In der Bundesrepublik wurde es schlicht verpennt, eine Liste nach der besagten EU-Richtlinie zusammenzustellen, in der Sportereignisse von nationaler Bedeutung definiert werden, die frei zugänglich sein müssen. Solche Listen gibt es beispielsweise in Frankreich, Italien und Großbritannien. Faltlhauser hat recht, wenn er betont, daß es jedem EU-Land überlassen sei, "auf welche Weise die Übertragung bedeutender Sportereignisse im Free-TV sichergestellt wird".

Hierzulande haben die Politiker jedoch erst reagiert, als der Kirch/Fifa-Deal bereits perfekt war und Bertelkirch im Schulterschluß mit Fifa-Generalsekretär Sepp Blatter das Ergebnis ihrer Verhandlungen mitteilte: Lediglich das Eröffnungsspiel, das Halbfinale und das Endspiel sind frei zugänglich. Da gibt es schon mal eine vernünftige EU-Richtlinie, aber es wird kein Gebrauch davon gemacht - weil: "Wir brauchen keine Fernseh-Liste" - wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Vorsitzender der Länder-Rundfunkkommission, Kurt Beck sagte, offensichtlich, ohne zu wissen, wovon er sprach. Dumm gelaufen.