Die Videos dokumentieren nur den Alltag

Ein Gespräch mit Klaus Theweleit

Seit vergangene Woche erneut Videos aus dem Innenleben der Bundeswehr an die Öffentlichkeit gerieten, ist man auf der Bonner Hardthöhe bemüht, von Einzelfällen zu sprechen. Handelt es sich um Ausnahmen?

Im Prinzip nicht. Von Einzelfällen wird immer geredet, wenn aus Institutionen etwas herauskommt, was angeblich nicht ihrer Norm entspricht, egal, ob es sich dabei nun um Kirchen, Chemiefabriken, AKWs oder um die Bundeswehr handelt. Das ist die Sprache der Verwaltungsherrschaft und hat keine Bedeutung. Schon die Reaktionen auf die Videos, die im Sommer veröffentlicht wurden, waren albern. Schließlich wird in ihnen dokumentiert, was in allen Armeen, nicht nur der deutschen, Alltag ist. Die Bundeswehr ist eben eine Armee, und Armeen sind zumindest in einer ihrer Zielrichtungen potentielle Tötungsinstrumente. Das wird dort geübt. Wer das nicht wissen will, der interessiert sich nicht für die Armee. Dort werden Leute zu Killern ausgebildet, und natürlich stellen sich ihre "Übungen" entsprechend dar. Das ist doch selbstverständlich.

Dennoch sorgen die Videos für Aufregung ...

Wer sich jetzt aufregt, schaut sonst nicht hin. In der Öffentlichkeit, auch bei den Parteien, tut man einfach so, als wäre die Bundeswehr ein humanitärer Verein, ein Sportclub oder ein Kaffeekränzchen. Selbst bei maßgebenden Teilen der Grünen hat sich die Ignoranz gegenüber den Gefahren des Militärs durchgesetzt - sogar noch ausgeprägter als bei anderen, gerade weil sie früher mal Pazifisten waren und einige von ihnen das gerne aufgeben wollen.

Prügeleien nachzustellen oder Vergewaltigungen zu imitieren, sind eine Sache. Warum werden die Szenen auch noch gefilmt?

Die Videobediener spielen bei der ganzen Angelegenheit noch die beste Rolle. Durch sie wird der Alltag wenigstens bekannt. Auch wenn jemand diese Filme aus den dümmsten Gründen dreht, ist er mir lieber als jener, der vor der Kamera mit dem Gewehr herumläuft. Und warum sollte die Gewalt in der Bundeswehr "ohne Medien" stattfinden?

Die Aufnahmen wurden sicher nicht gemacht, damit sie der Öffentlichkeit zugespielt werden, sondern um sich damit zu amüsieren.

Selbst wenn, kann man nicht so tun, als würden diese Szenarios durch die Video-Aufnahmen erst entstehen. Sie existieren auch ohne Kamera, nur will sie dann niemand wahrhaben. Da greift eine merkwürdige Übereinkunft der Gesellschaft, wie man sie ja auch von anderen Bereichen, beispielsweise der Kinderpornographie, kennt.

Verteidigungsminister Volker Rühe will jetzt schärfere Kontrollen, um Rechtsradikale aus der deutschen Armee fernzuhalten. Zieht es denn derzeit speziell Rechtsextreme zum Militär?

Eine Armee ist immer dann besonders attraktiv als Institution, wenn große gesellschaftliche Krisen anstehen. So auch jetzt. Unter den arbeitslosen Jugendlichen sind natürlich auch Rechtsradikale, die teils bei der Bundeswehr landen. Allerdings müssen Personen, die gerne mit Waffen umgehen wollen, nicht politisch geschulte Rechtsradikale sein. Das verhält sich eher andersherum: Wer keine andere Perspektive sieht, als sich auf Militär und Waffen einzulassen - dabei kann der Feind beliebig sein -, bei dem wächst rechtsradikales Gedankengut sozusagen hinterher.

Selbst das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr stellt einen "klaren Zusammenhang zwischen Rechtsorientierung und Affinität von Heranwachsenden zur Bundeswehr" fest. Ist diese Verbindung zwingend?

Sie ist zumindest wenig verwunderlich. Leute, die mit der Waffe umgehen wollen, und das auch noch in einer solchen hierarchischen Organisation, sind immer rechter als der Durchschnitt. Die Bundeswehr ist kein Abbild der Gesellschaft, sondern immer eine rechtere Auswahl. Und wenn, wie jetzt, Linke als "Zecken" bezeichnet werden, hat das in Armeezusammenhängen in Deutschland gewissermaßen von 1871 bis jetzt seine Tradition.

Der innere Feind scheint derzeit genauso abhanden zu kommen wie der äußere. Tritt da nicht die disziplinierende Bedeutung des Militärs - die patriarchale und autoritäre Zurichtung des jungen Mannes - in den Vordergrund?

Der äußere ist in der Tat kaum zu sehen, der innere schon. Jede Gruppe von Fremden oder Oppositionellen kann in diese Position gerückt werden. Man vergißt - siehe Bundeswehr als "humanitärer Verein" -, daß die Armeen immer zuerst als Instrument gegen die eigene Bevölkerung da sind, für den Fall des Aufstands. Der "innere Feind" verschwindet nie. Daß in diesem Zusammenhang speziell in Deutschland antisemitische Äußerungen auftauchen, ist eine Art historischer Selbstläufer, ein Idiotenautomatismus. Den Zeitpunkt seines Verschwindens wird unsere Generation nicht erleben, und auch die nächste nicht.