Der Kolporteur

Hartwig Schulte-Loh, Geschäftsführer und Suizidattentäter: "Wir sind die Initialzündung für die Friedrichstraße." Aber was soll denn dort, inmitten der Hauptstadt, in die Luft fliegen? Fürs Tacheles bedarf es keiner Bomben, das bricht eh zusammen, wenn demnächst das Rollkomando kommt. Ach, der Herr Manager meint das gar nicht so, Initialzündung, ich verstehe, im übertragenen Sinne: Umsatz, Profit, Gewinn, heissa. Friedrichstraße 90, da steht ein neuer Klotz, genauso grau und häßlich wie der Kasten nebenan, wo die Berliner Focus-Redaktion untergebracht ist. Der neue Klotz ist das "Kulturkaufhaus". Die "Zentrale für käuflichen Kulturgenuß", sagt Schulte-Loh, soll die "Kunden animieren". Zum Seiltanz, zum Ficken? Nein, der "Zweihundertzwanzig-Millionen-Bau" der Firma Dussmann, vollgestopft mit hunderttausend Tonträgern und hundertzwanzigtausend Büchern auf einer Ladenfläche von sage und schreibe viertausendsiebenhundert Quadratmetern, soll beweisen - ja, was denn? Da fragen wir besser den Inhaber höchstpersönlich: "Ich werde mit meinem Kaufhaus beweisen", erklärt Peter Dussmann, "daß auch in Deutschland serviceorientiert verkauft werden kann." Was soll das nun wieder heißen? Ich weiß nur, daß in Berlin zwei Riesendinger mit ähnlichem Anspruch, nämlich das "Fnac" und der "Virgin Megastore", geschlossen worden sind. Und deren Mitarbeiter sind einem schon in den Arsch gekrochen, sobald man einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hat.

Nun ist es dem Schwaben Dussmann scheißegal, ob der Laden funktioniert oder nicht, es geht um die Reklame, denn bei einem Umsatzvolumen von voraussichtlich einskommasieben Milliarden Mark in diesem Jahr, ist die "Dussmann-Gruppe" auf die angepeilten dreißig Millionen Mäuse, die im "Kulturkaufhaus" erwirtschaftet werden sollen, nicht angewiesen. Dussmann ist ein "multifunktionaler Dienstleister": Seine Leute bekochen das Virchow-Klinikum, bewachen das Europacenter, putzen den Greisen in Spandau und anderswo die Zähne, kümmern sich auf Flughäfen um die Abfertigung, spielen sich als Sicherheitsbeamte auf. Der übliche Schweinekram also. Angefangen hat der Kerl mit vierundzwanzig. Er gründete 1963 eine Firma zur Reinigung von Junggesellenwohnungen. Das waren damals wirklich komische Singles, bei mir käme kein Dussel in die Bude. Des Dussmanns Schlüssel zum Erfolg: "Mit Kompetenz und Charme halt' ich mir die Kunden warm."

Auf der Eröffnungsveranstaltung des "Kulturkaufhauses" spielten Studenten der Musikhochschule Hanns Eisler ein paar "Chansons und Lieder aus der Stummfilmzeit"; ich habe mit beiden Ohren weggehört. Das lag nicht nur an dem Gedudel, sondern vor allem an Ute Bauer, Verkäuferin in der Sachbuchabteilung, mit der ich mich angeregt über Mihaly Csikszentmihalyi unterhalten habe. Der Autor mit dem schlechten Pseudonym hat jüngst einen albernen Wälzer veröffentlicht: "Eine überraschende und ungemein erhellende Darstellung der Welt der Kreativen und zugleich eine Anleitung für uns alle, selbst kreativ zu werden." Ich frage Frau Bauer, was sie von Csikszentmihalyis "Kreativitäts"-Schwarte hält. Antwort: "Kenn ich nicht, aber mit Kreativität kann ihnen dienen. Und zwar nach Dienstschluß." Ergebnis meiner kleinen "Kulturkaufhaus"-Umfrage: Kompetenz hundert Punkte, Charme zweihundert Punkte. Ich betrete das Geschäft nie wieder.