The End of Violence

Nachruf auf Samuel Fuller, den größten unbekannten Regisseur der Welt.

Er war jedenfalls kein eleganter Regisseur. "Straße ohne Wiederkehr" beginnt mit der Großaufnahme eines schwitzenden Gesichts, in das ein Vorschlaghammer klatscht; in "The Big Red One" greift sich Col. Lee Marvin die abgeschossenen Eier eines G.I.s und schmeißt sie ins Gelände mit den tröstlichen Worten: "Hör auf zu schreien, die brauchst du eh nicht mehr"; und in "Verboten!" untermalen die ersten Takte von Beethovens Fünfter ein Feuergefecht.

Samuel Fuller war ein außerordentlich stilloser Regisseur - wenn man unter Stil versteht, daß die Elemente eines Spielfilms kommensurabel, daß die Traditionen, in denen das Stück sich bewegt, identifizierbar, und daß die Bilder, die der Filmemacher in sich hat, auf der Leinwand codiert sein sollen. Gewohnt, Filme zu sehen, die hinter einer Monstranz von Allegorik, Konvention und Querverweisen verbergen, was sie eigentlich motiviert, steht der durchschnittliche Cineast ziemlich fassungslos vor den Werken Fullers. Hier ist immer vom ersten Bild an klar, worum es geht, nichts kryptisch, und wer etwas anderes sucht als das, was er gerade sieht, der sitzt im falschen Film. Die erste Szene von "Straße ohne Wiederkehr" enthält Fullers Ästhetik in nuce: Ein Hammer ins Gesicht. Andrew Sarris - von dem die Welt kaum noch etwas wüßte, wäre es ihm nicht einst eingefallen, Samuel Fuller einen "authentischen amerikanischen Primitiven" zu nennen - hatte mehr recht, als er ahnte.

Die Vitalität, die von Fullers Filmen ausgeht, beeindruckte zumal die filigraner gebauten Vertreter des europäischen Autorenkinos. Fran ç ois Truffaut schrieb über Fuller: "Er ist kein Halbgebildeter, sondern ein Bildungsloser, er denkt nicht rudimentär, sondern rüde, seine Filme sind nicht einfältig, sondern einfach, und diese Einfachheit bewundere ich vor allem. Er nimmt sich nicht die Zeit zu überlegen, man sieht, daß er mit Freuden filmt." Godard verplichtete den angebeteten Haudegen als Schauspieler für "Pierrot le fou"; und Wim Wenders, dieser Prototyp eines blutarmen Bübchens, hat Fuller, diesem Musterexemplar eines hartgesottenen Burschen, mit "The End of Violence" den letzten Auftritt vor der Kamera verschafft.

Bernardo Bertolucci nennt Fuller den "größten unbekannten Regisseur der Welt". Der größte bekannte Regisseur der Welt, Martin Scorsese, erklärt: "Seine Filme haben mich intellektuell und emotional zutiefst berührt." Tatsächlich fehlen in keinem Scorsese-Film Topoi oder formale Anleihen aus Fullers Werk. Joe ("The Howling") Dante sagt: "Seine Filme mögen nicht die glattesten gewesen sein, aber sie sind von unglaublicher Dynamik." Damit trifft Dante den Punkt.

Es ist ja für einen Film nicht das Wichtigste, ob er eine interessante Geschichte erzählt (das könnte eine Novelle genausogut), ob er sauber ausgeleuchte Bilder hat (dafür gibt es Geo), oder ob die Figuren realistisch sind (die Frage wirkt schon im Theater peinlich). Wirklich aufregend wird ein Film erst dort, wo er er das bewegte Bild als bewegtes Bild präsentiert. Und über Mangel an Bewegung muß man sich in Sam Fullers Filmen nicht beklagen. Die Kamera ist immer genau an dem Ort, an dem der Erzähler sein möchte, d.h. sie fährt und schwenkt nervös durch die Gegend, liegt wie seekrank auf dem Bauch, hängt wie gedopt unter der Decke; die Montage ignoriert sämtliche Gebote der unauffälligen Montage, und darum gibt es in Fullers Filmen Schnitte, die es eigentlich nicht geben dürfte: Dieses Werk besteht aus lauter Einstellungen, die gegen den guten Geschmack verstoßen.

Weil Fuller ein großer Autodidakt war und weil die großen Autodidakten zutiefst verliebt sind in Märchen resp. in die Moral von der Geschicht, ist jeder Fuller-Film im Kern ein Moralstück und eine Fibel-Fabel. "The White Dog", sein bestes und entsetzlichstes Stück (so entsetzlich, daß er danach keinen Film für eine amerikanische Produktionsfirma mehr drehen durfte) - "The White Dog" beweist lückenlos, daß es keinen Sinn hat, mit Rassisten und anderen Nazis vernünftig zu reden, ja überhaupt: zu reden. Es geht darin um einen Schäferhund, der gedrillt ist, dunkelhäutige Menschen totzubeißen, und um einen dunkelhäutigen Tiertrainer, der versucht, den Killer handzahm zu machen. Wir erleben einige schöne Anfangserfolge; doch zuletzt geschieht die Katastrophe: Der "weiße Hund" greift den Dompteur hinterrücks an, wird aber, bevor er töten kann, erschossen. Die Botschaft ist eindeutig: Rassismus ist Erziehungssache; aber aberziehen kann man dem Rassisten seinen Rassismus nie mehr. Nicht ganz zu Unrecht haben einige Filmkritiker "The White Dog" zu den zehn besten Filmen aller Zeiten gezählt.

Fuller, 1911 in Worcester/Massachusetts, geboren, ist ein echter Kriegsheld gewesen, ausgezeichnet mit drei der wichtigsten Orden, die die US-Army an ihr Kanonenfutter verteilt. "The Big Red One" erzählt Fullers Abenteuer ohne jede Spur von Heroismus und mit jener Drastik, die der Schmock gern als Zynismus beschimpft. Fuller hat die Entsetzung Siziliens ebenso mitgemacht wie die Befreiung des KZ Dachau. Als Angehörigem der "Großen Roten Eins", der Avantgarde der U.S. Marines, ist ihm auch die Invasion der Normandie nicht erspart geblieben. Die außerordentliche Roheit und Violenz seines Werks ist zweifellos ein Reflex seiner Kriegstraumata - ebenso wie Fullers Vorliebe für egoistische Anti-Helden, denen die eigene Haut immer am nächsten und die ganze Welt Feindesland ist.

Samuel Michael Fuller, der auch ein begnadeter Reporter und Zigarrenraucher war, ist am vergangenen Donnerstag im Alter von 86 Jahren in Hollywood Hills gestorben.