Von Mädchen und Medien

Mainstream oder Underground - wo ist es für Frauen komfortabler? Die Antwort der Quarks: "Zuhause"

Im Wohnzimmer meiner Kindheit war es so: Vater lag auf der Couch und ließ sich das Essen bringen, wir Kinder alberten herum, Mama räumte auf. Der Fernseher lief und wir mußten stündlich Nachrichten sehen, weil Vater glaubte, die Wettervorhersage könnte sich innerhalb von 60 Minuten wesentlich geändert haben. Nun gut, als Bauer hatte er ein legitimes Interesse daran. Vater hatte auch sonst die Programmhoheit im Hause, die immer wieder geschickt durch meine Mutter unterlaufen wurde. Des weiteren galt: Das Wort hatte, wer am lautesten sprach. Das war etwas zu oft der Fernseher.

Unser heutiges Wohnzimmer steht momentan leer. Kein Geld für einen Fernseher, keine Zeit, um Möbel zu beschaffen, außerdem gibt es nebenan sowieso die nette kleine Studentenkneipe. Leider sind die Spielregeln hier ähnlich wie damals im Wohnzimmer: Die Programmhoheit über Musik haben zu 80 Prozent die Männer, weil "Frauen nichts von Musik verstehen, sonst sind sie keine richtigen Frauen" (ein Kneipengast). Ich vermute, daß diese Einstellung auch darauf beruht, daß Männer ihre Geschmäcker tendenziell innerhalb von Cliquen und unter Anleitung von Presseorganen wie z.B. Spex bilden.

Aber in der Tat haben Frauen meistens andere Sorgen: Studieren gehen, von Profs belächelt, von Mitstudenten übertönt, von Arbeitgebern herumkommandiert, und wenn's darum geht, den Haushalt zu schmeißen, von der Menschheit im Stich gelassen. Wenn sie nicht mehr weiter wissen, heulen sie sich lieber bei einer Freundin aus, die die gleichen Sorgen hat, oder bei der unterbezahlten Kellnerin. Männer finden diese weiblichen Lebenskrisen "hysterisch", "ungenießbar" oder "schwierig" und wollen sich durch Tränen (die Waffen einer Frau) nicht vom "Ernst des Lebens" (Sport und Musik) abhalten lassen. Arme Mädchen, da hilft nur Dickfelligkeit, Kummerspeck oder "Sichgehenlassen".

In dieser Kneipe sind Mädchen, die sich gehen lassen, allerdings nicht gern gesehen. Ebensowenig wie Ausländer, Verrückte, alte Trinker und Trinkerinnen, alle die, die Szenegewohnheiten noch nicht angenommen haben. Belästige mich bloß nicht mit deinen Problemen, ich habe selbst genug, ist das Fazit; wer da noch Muße hat, über Revolution nachzudenken, wird vom direkten Umfeld zum Spinner erklärt, die Sehnsucht nach einem besseren Leben über Kulturgüter ausgelebt.

Inzwischen aber wird im Mainstream fast mehr Partei für Frauen und Mädchen ergriffen als im sogenannten Underground. Der Film "Bandits" zeigt, wie eine Mädchenbande die Polizei an der Nase herumführt, in Märchenform. Die Spice Girls erobern gegen den Willen der Traditionalisten die spanische Alhambra und rufen der Jugend zu: Was kümmert dich die Suche nach einem Ausbildungsplatz? Schnorr dich durch! Entwickele deine Talente selbständig! Gründe eine Band oder eine Zeitschrift!

Und dazu nutzen die Spice Girls nicht etwa die einsame Gitarre und biedere englische Folklore, sondern amerikanische Musikelemente: Soul oder inzwischen auch Samba. Raus aus dem Wohnzimmer, rein in den Klub! Macht verrückt, was euch verrückt macht, z.B. Männer. Auch in Deutschland gibt es Bands, die sich mit der Mädchenseele beschäftigen: Tic Tac Toe (die grobschlächtige Variante), Die Braut Haut Ins Auge (smarte Variante), Die Lassie Singers (mangels Response aufgelöst) und, ganz neu, Quarks aus Berlin.

Quarks nutzen als musikalische Mittel leise flirrende und zirpende Minimalelektronik und teils elektrische, teils akustische Gitarren. Ihre Texte handeln so ausschließlich vom Zauber des Augenblicks, daß ihnen Spötter (oder schlicht robustere Naturen) Naivität unterstellen werden. Da ist Vorsicht angebracht: In ihrem Umgang mit Medien sind Jovanka von Willsdorf und Niels Lorenz, live ergänzt durch Christoph Hein (weder verwandt noch verschwägert mit dem gleichnamigen Schriftsteller), ziemlich clever: Ein Interview bekommt, wer sich ernsthaft interessiert zeigt, die "Wichtigkeit" der Gesprächspartner spielt anscheinend keine so große Rolle. Sie verlassen sich auf Netzwerke und die dazugehörige Mund-zu-Mund-Propaganda. Gerade, weil sie das Musikbusiness kennen, nutzen sie es für sich, aus der gebührenden Distanz. Wer will schon Blitzlichtgewitter?

Auch im Konzert (am 15. Oktober im Golden Pudels Club in Hamburg) sind ihre Methoden unorthodox: Da werden Kekse verteilt, trotz Geplapper im Publikum unbeirrt leise weitermusiziert, eine Pause eingelegt, um den Geburtstag einer alten Freundin zu zelebrieren, und bei zu großer Lautstärke im Saal leise gemahnt: "Es ist aber schwierig zu sprechen, wenn alle anderen auch reden" oder - vieldeutiger: "Die Unruhe legt sich."

Bei der Keksweitergabe kann man oder frau den Nachbarn oder die Nachbarin fragen, falls jemand keinen Keks will, warum denn nicht? Und was das Gegenüber unter einem "gesunden Leben" versteht. Alkoholfreies Bier? Regelmäßiger Schlaf? Nicht zu viel ausgehen? Oder sind es eher der Streß und die Verschlossenheit tagsüber, die uns kränken und krankmachen?

Im Interview mit Quarks am Morgen nach dem Konzert ergab sich nicht viel Neues über Inhalt und Intention der Musik. Es war sowieso eher ein Tischgespräch, wo wir frisch aufgeschnappte Informationen weiterreichten, über den neuen Radiosender in Brandenburg zum Beispiel. Auf meine Frage, gegen welche Art von Kälte ihre vielzitierte Wohnzimmer-"Gemütlichkeit" denn schützen solle, gaben sie keine Antwort. Es liegt wohl in den Ohren und der Phantasie der Zuhörenden, das herauszufinden. In diesem Sinne ist "zuhause" (Monika/Indigo) auch eine CD für Kinder, denn Zeilen wie "Wenn der Tag nach Graubrot schmeckt" sind wie für Kinder gemacht.

Und auch den vielen Einsamen, Sensiblen und Verzweifelten draußen in diesem kalten Herbst könnte diese CD ein vorübergehendes Zuhause bieten. Miefig wird es in diesem Wohnzimmer erst dann, wenn man die Außenwelt, das Andere, das Fremde nicht an sich heranläßt.