Weiß der Himmel

Während Johannes Paul II. sich bei den Juden "entschuldigt", rückt das ZDF seine kollaborierenden Vorgänger ins rechte Licht.

Je aufgeregter die angekündigte "Entschuldigung" Johannes Pauls II. gegenüber den Juden diskutiert wird, umso mehr richtet sich das öffentliche Interesse auf jene Päpste, die mit den Nazis kollaborierten. Ein Fall für ZDF-Historiker Guido Knopp. "Der Film differenziert das schwarzweißgefärbte Bild und zeichnet das Porträt eines hochsensiblen Menschen, dessen Schweigen Gründe hatte", teilt seine Pressestelle über den Dokumentarfilm "Pius XII. und der Holocaust" mit. Hitler, so der Filmtext, war "ein Teufel im Gewande des Erlösers"; "unterschätzte" also der Papst "den Verführer?".

"Nichts ist verloren mit dem Frieden, alles mit dem Krieg", so eine "beschwörende Friedensbotschaft" des Papstes vor Kriegsbeginn 1939, aber machtlos waren seine "Worte gegen Waffen". Als der Papst 1942 von den Vernichtungslagern der Nazis erfährt, hält er den Mund, er "sorgt sich, daß der Zorn der Täter noch mehr Opfer findet". Als die deutschen Besatzer 1943 vor der päpstlichen Haustür in Rom Juden zusammentreiben, ist der Papst "außer sich", auf seine Intervention hin brechen die Deutschen die Razzien ab, die Deportation von 1 000 der 8 000 in Rom lebenden Juden allerdings will er nicht verhindern. In Budapest protestiert die päpstliche Nuntiatur 1944 energisch gegen die Deportation der ungarischen Juden, "20 0000 überleben, auch dank Pius". "Habe ich genug getan?" fragt sich der Papst nach Kriegsende - und gibt auch eine Antwort: "Ob ich genug getan habe, weiß nur der Himmel."

Ein Satz, der zugleich die Philosophie des ZDF-Historikerteams um Guido Knopp auf den Punkt bringt. Fakten werden aufgetischt, bisher geheime Schriftstücke, Augenzeugenberichte, historischer Hintergrund aus dem Filmarchiv, Experten mit konträren Wertungen werden zitiert und im Ergebnis entsteht: Ausgewogenheit. Das stetige Sowohl-als-auch-Grundmotiv aller jüngeren Knopp-TV-Collagen - bedient bei Produzenten und Konsumenten ein Harmoniebedürfnis, dem "Information" nicht Zweck, sondern Mittel ist: Material zur Aussöhnung mit der Geschichte. Die Wirklichkeit ist komplex, es gibt immer verschiedene Sichtweisen, Wahrheit ist immer subjektiv, Menschen sind immer verstrickt - wie hättest du wohl entschieden, als Wehrmachtsoffizier vor Stalingrad, als Bischof in München? Darf man über solche Leuten heute den Stab brechen?

Die Politik, die die Kurie, der Vatikan und sein Chef gegenüber beziehungsweise in Kooperation mit Nazis betrieben, folgte einer unzweideutigen Systematik. Bereits Mussolinis "Marsch auf Rom" wurde von der eng mit dem Vatikan verbundenen Banco di Roma finanziert, der Vatikan schaltete die katholische Partei Italiens aus, im Gegenzug sicherte der Duce der Kirche die Beseitigung des Sozialismus und die Wahrung ihrer Rechte zu. Pius XI. 1926: "Mussolini wurde uns von der Vorsehung gesandt." Francos Feldzug gegen die spanische Republik erfolgte nicht nur mit Rückendeckung, sondern mit unmittelbarer Unterstützung der Kirche; Knopps Hauptperson, damals noch Kardinalstaatssekretär Pacelli, sorgte persönlich dafür, daß die deutschen Bischöfe im August 1936 einen Hirtenbrief schrieben, in dem es mit Blick auf Spanien heißt: "Möge es unserem Führer mit Gottes Hilfe gelingen, dieses ungeheuer schwere Werk der Abwehr in unerschütterlicher Festigkeit und treuester Mitwirkung aller Volksgenossen zu vollbringen."

Auch in Deutschland sorgte der Vatikan im Zuge von Hitlers Machtantritt für die Ausschaltung der katholischen Zentrumspartei. Am 5. Juli 1933 verfügte Rom deren Auflösung. Nach Protesten gab der letzte Vorsitzende, Prälat Kaas, nach einer Unterredung mit Pius XI. und Pacelli (dem er in persönlicher Freundschaft eng verbunden war), folgende Erklärung ab: "Hitler weiß das Staatsschiff gut zu lenken. Noch ehe er Kanzler wurde, traf ich ihn wiederholt und war sehr beeindruckt von seinen klaren Gedanken (...) Es kommt nicht darauf an, wer regiert, wenn nur die Ordnung gewährt bleibt. Die Geschichte der letzten Jahre in Deutschland hat den demokratischen Parlamentarismus als unfähig erwiesen."

Bereits im Juni 1933 hatten die deutschen Bischöfe verkündet: "Es fällt deswegen uns Katholiken auch keineswegs schwer, die neue starke Betonung der Autorität im deutschen Staatswesen zu würdigen, und uns ihr mit jener Bereitschaft zu unterwerfen, die sich nicht nur als eine natürliche Tugend, sondern wiederum als eine übernatürliche kennzeichnet, weil wir in jeder menschlichen Obrigkeit einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes erblicken." Staatssekretär Pacelli bestätigte 1937 den Nazis, der Heilige Stuhl billige auch die Anwendung "äußerer Machtmittel gegen die bolschewistische Gefahr". Kaum Papst geworden, protegierte er den von Hitler geschaffenen slowakischen Staat des klerikalfaschistischen Prälaten Tiso. Und nach dem Krieg verhalf er über die sogenannte Ratten-Linie hochstehenden Nazis zur Flucht.

Noch vor einigen Jahren durfte auf die Etablierung einer Geschichtswissenschaft gehofft werden, die die Taten großer Männer in Zusammenhang mit historisch hergeleiteten institutionellen, ökonomischen, ideologischen und sonstigen Verflechtungen und Interessen analysiert. Diese Hoffnung ist seit Nolte und Knopp obsolet. Nolte definiert für sich irgendwelche absoluten Werte - z.B.das Abendland - zurecht und setzt die historischen Akteure in einen positiven oder negativen Bezug zur Verteidigung derselben. Eine Skala, auf der Verbrechen hinter der Zweckmäßigkeit verschwinden.

Knopp dagegen nimmt die Psyche der historischen Akteure in den Blick und setzt die verbalisierte Absicht - bei Pius XII. zum Beispiel: den Frieden retten - ins Verhältnis zur Realität. So marschieren ständig tragische Figuren durchs Bild, die das Beste wollen und aus Versehen den Falschen zugearbeitet haben. Der Nazi-Freund Pacelli/Pius XII. figuriert im Film a priori als Gegenspieler Hitlers, der "das Reich des Bösen" verkörpert, bereits die Anmoderation spricht umstandslos und ohne den geringsten Grund vom "Papst, der Hitler gegenüberstand".

Das Herrschaftsmodell, einer offenen autoritären und im Bedarfsfalle auch gesetzlosen Obrigkeit, das die Kirchenfürsten - und ohne Zweifel im besonderen Pacelli/Pius XII. - bevorzug(t)en, korrespondiert als aktueller Anachronismus mit der historiographischen Perspektive des Knopp-Teams: Beide entstammen der vorbürgerlichen Epoche. Knopps jüngste Bemühungen, der moralischen Substanz und dem Gewissen eines Mächtigen auf die Spur zu kommen, tun so, als seien Institutionen wie Republik, Bürgerrechte und Gesetzbuch nie erkämpft worden. Hieran zum Beispiel hätte er das Papsttum messen können. Statt dessen ehrfürchtelt Knopp vor den päpstlichen Idealen, ohne deren strategische Indienstnahme auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Selbst dort, wo Knopp einen Widerspruch zwischen Absicht und Ergebnis entdeckt, bleibt nur Tragik.

Insofern könnte Knopps aktuelle Themenwahl ein Glücksfall für aufmerksame Konsumenten sein: Wie die Päpste bis heute weltweit jeden Anspruch auf soziale Teilhabe unterdücken, reaktionäre Regimes absegnen, genauso eifrig predigen sie zu Ostern das Ideal der sozialen Gerechtigkeit. Knopp wird das nicht etwa als leidlich abgefeimte politische Taktik - so einfach wäre das in diesem Falle tatsächlich - begreifen wollen, sondern als tragisches Scheitern einer wohlgemeinten Strategie der kleinen Schritte. Die nächsten Folgen werden es zeigen. Wetten?