Zeter, Mordio und Entsetzen

Ein äußerst spätes Formel 1-Resümee mit Wut, bremsstreifenbreitem Trauerrand und recht optimistischem Ausblick auf die nächste Saison

So ein Scheißdreck. So ein multikausal verzwicktes Mißgeschick und Unglück. "Die besseren Nerven" hatte BamS am Tag des Rennens (26. Oktober) dem Kerpener bescheinigt, hatte Zuversicht verbreitet angesichts identischer Trainingszeiten von Villi und Schumi (und Adlatus Frentzen), hatte Hoffnungen geschürt und Wünsche geäußert: "Schumi, schenk uns den Sieg!"

Und am Ende nur Mist.

Alles war vorbereitet: Schumachers Manager Willi "The Ochs" Weber schleppte 100 000 World-Champions-T-Shirts und -Mützen durchs Fahrerlager, Villeneuve litt unter einem "brutalen", maßgeblich auf Eddie Irvines geschickte Bremsmanöver zurückgehenden "Nervenkrieg", geißelte die "Marionette" Irvine ("Du Scheiß-Idiot! Noch einmal - und dann gibt's was auf die Fresse!") und mußte der nackten Tatsache ins Auge sehen, daß er abschmieren würde: obendrein seien er und sein Rennstall Williams, wußte Schumacher rechtzeitig fallenzulassen, "schlechte Verlierer. Wenn die die Tür aufmachen, kommt so viel Dreck rein, daß sie daran ersticken können." Sport-Bild rückblickend am 29. Oktober: "Irvine machte sich anschließend lustig über Villeneuve, diesen 'Dummkopf'. Endlich zeigten die Fahrer ihr wahres Gesicht." Damon Hill zu einem Freund: "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünsche, daß mir ein Ferrari in die Quere kommt." Wir schätzen das.

"Plötzlich brennt die Luft in Jerez", bibberte hingegen Bild am 24. Oktober, mahnte per Kommentar vom 25. Oktober zum "Mega-Rennen" und "Duell des Jahres" (RTL) Fairneß an, sah "zwei neue Sieg-Geheimnisse" und ahnte in persona des Fachmanns Stuck aber doch: "Wenn der Kanadier im Rennen hinter Schumi liegt, dann kennt der keine Gnade mehr."

Maranellos Pfarrer Don Alberto Bernardoni hatte in Fiorano den F 310 B nach Vorschrift gesegnet, versprach für den (mit Gott abgemachten) WM-Titel dreitägiges Glockenläuten und sprach: "Wenn ich das sehe, dann danke ich Gott und allen, die einen Ferrari gebaut haben."

Und dann dieses Pech, dieses Unglück. Ein Fehlschlag, der keiner war. Trotz der Topleute am Kommandostand, trotz eines 4:2-Vorteils der Roten (Frontflügel, Stoßdämpfer, Kupplung, Bremsen). Im übrigen, hatte Williams-Technikdirektor Patrick Head nach Suzuka entschieden, sei Villi "ein dummer Junge", Schumacher, klar, der "bessere Fahrer". Patsch.

800 Millionen sehen zu. Bombenstart, geschickte Boxen-, astreine Führungsarbeit. Aberdann aberdann: einen schlechten Satz Reifen erwischt, die Sonne beginnt zu scheinen. Ferrari-Technikboß Ross Brawn analysiert die Telemetriedaten und sieht, "daß am Auto etwas nicht stimmt." Dry-Sack-Kurve (nicht als Crash-Stelle vorgesehen). Wir wissen, was Teuflisches geschah. Was da tückisch seinen Lauf nahm. Was da keinesfalls gottgefügt dem Roten widerfuhr: Es meldeten sich Skrupel, Skrupel zu handeln, wie alle Champions handeln - die Karre des Gegners nämlich, wenn es die "Situation" erlaubt, ohne Zögern rauszukegeln, damit endlich Ruhe ist. Und der Weltmeister auch 1997 wieder Schumacher heißt.

Aberdann, ja dann: Schmach, Zeter, Mordio und Entsetzen. Die Fernsehbilder aus Schumachers Cockpit ("Sehr schöne Bilder aus Michael Schumachers Onboard-Kamera") zeigen unmißverständlich: Erst zögert er, dem rechts heranfahrenden Blauen die Vorfahrt zu nehmen, lenkt kurz ein, zurück, überlegt, hadert, zweifelt, sinniert, reflektiert, und als Villis Seifenkiste neben ihm "steht", trifft er (Wahrscheinlichkeit 1:1364) bloß den "Luftkasten", "versucht das Letzte", "brutal" (Bild, 27. Oktober) - "und sieht die Weltmeisterschaft plötzlich vorbeifahren" (Hans Stuck). "Schock-Sekunde".

Es ist im Grunde ein Unding, das vor dem Weltgericht gesühnt werden muß. Und wird.

Dann haben sich auch gewisse Deuter und Kommentatoren zu verantworten. Wer die Verzweiflung nicht sah, wie sie Schumacher ans Herz packte und obsiegte, will ihm übel. Allen voran: die Platzpatrone und verdientermaßen nächstjährige Nummer 1 des Jordan-Teams Damon Hill: "Endlich hat dieser Schumacher bekommen, was er verdient", japste er, und das Kapitalistenschwein Bernie Ecclestone sabberte: "Es war ein dummer Zug von Schumacher."

Gut, okay, da schien, um 15.13 Uhr, Kaffee- und Stückchenzeit, der sonst recht fähige, ja triumphale Nordrhein-Westfale leicht neben der Kappe und forcierte ein Verhängnis, das ungefragt eingriff. "So spät, wie Jacques da gebremst hat, wäre er wahrscheinlich auch ohne mich ins Gras gefahren", erklärte Schumacher dem RTL-Mann Ebel zirka zwei Stunden zu spät und übersah, daß der "Kanadier" (ich sage: Kanadier!) mitnichten das Grüne aufgesucht hatte. Fehlendes "Bekenntnis zur Fehlbarkeit" (Sport-Bild)? "Schumi war doof", blökte Michael Lech ("Schauspieler"), und Fritz Wepper: "Ich hatte das Gefühl, Schumi wollte ihn beim Unfall mit herausnehmen."

Ach was!

Aus allen Ecken föhnte und dröhnte es; tönte es wie besinnungslos. "Jämmerlich" sei Schumachers "Attacke" gewesen, klagte und nervte uns die sonst so versierte Neue Zürcher Zeitung tags drauf und mummelte, als sei hier (den Revolverstil praktizierten alle, alle, Prost wie Senna und werweißich) ein Sport in Mißkredit geraten, der aus "Tingelfahrten" (Schumacher) bestehe: Es "müsste der Formel 1-Zirkus ernsthaft in Frage gestellt werden", jeijeijei. Schwachsinn ohne Grenzen. Das "rüpelhafte Manöver", das "Foul" (Blick Zürich und alle Welt) stachelte die Hill-gesteuerte Britpresse zu wahrhaft wahnhaft blödem Gequatsche an, zu regelrechtem Geplärre: "Schamlose Frechheit", "Schurkerei" (Times), "Ist Schumi ein Champion oder ein Betrüger?" (Daily Mirror). "Schumi verlor (...) das letzte bißchen Sportlerehre, das er noch in sich hatte" (Daily Mail), "Schmutzige Taktik" (Sun).

Nun, der Engländer weiß es nicht besser. Schmutz hie, totale Plan- und Ahnungslosigkeit da. Der Alles-Irgendwie-Schreiber Jan Feddersen (taz) fetzte einen schon dermaßen trüben Nullchecker-Stiefel herunter, daß es uns mehr als grausen und grauen könnte. "Das Schumi-Fieber (...) ist nicht zum Happy-End geronnen", weil und "als Michael Schumachers Rennwagen gestern (...) seinen letzten Benzintropfen ausstieß"; ja, das spricht für ihnen selber und hätte Klaus Weise (c/o jW) nicht schöner daherschmarren können.

Frankreich sprach von "Sand für Schumacher" (Libération), hm, Le Figaro sah ein "diskussionswürdiges Foul", und Eishockey-Crack Didi Hegen wußte: "Sein Adrenalin war auf 1 000."

Jody Scheckter seinerseits räsonierte im nachhinein: "Wäre er nur seinen Strich weitergefahren, hätte sich Villeneuve die Zähne ausgebissen", und Jochen Maas, der Moderator: "Er hat jetzt eine dunkle Seite von sich gesehen, die er lieber nicht gesehen hätte", den Schlund des nichtenden Nichts einer Zehntelsekunde. "Wir sind Profis, wir wissen, was wir zu tun haben", zitierte am 24. Oktober die FR den WM-Zweiten, "wenn wir etwas Unsportliches machen, ist es gut für die Presse, aber nicht für uns".

Prophetisch! "Shootout" (FAZ, 24. Oktober)! Und Saufout! Hau weg die Tassen!!! Paff!!! "Ein gemeinsames Frühstück im Morgengrauen besiegelte die feuchtfröhliche deutsch-kanadische Versöhnungsfeier", berichtet allein die FAZ hernach (28. Oktober), während Deutschlands Mob in Leserspalten und auf Videotexten weitermotzte. Man schloß sich seinen Leitartiklern an ("Wildwestmanieren" "Das imposanteste Denkmal beginnt zu bröckeln, wenn die Basis nicht gesund ist", "Man hätte Zeichen setzen sollen und Schumi mindestens für ein paar Rennen sperren sollen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten so was im normalen Straßenverkehr gestartet"), bis Schumacher vor die italienische Presse (Tutto-sport: "Schumacher wie ein Verrückter. Maranello hat dich ausgepfiffen", Gazetto dello Sport: "Schumi, was für eine Verrücktheit"; Il Messagero: "Ein perfekter Mordversuch") trat und Abbitte leistete. "Schade nur", so Reinhard Krüger aus Krefeld, "daß Schmacher wieder die Diskussion über das häßliche Gesicht der Deutschen anheizen wird."

Ja, "Basta". (Bild, 31. Oktober)

Nächste Saison aahaaber: Dreirillenprofilreifen, schmalere Chassis, vollrohr motivierte Ferraristi: Da kann sich die kanadische Arschbacke schon heute warm anziehen.

Oder besser gleich einpacken und Schlittschuhlaufen gehen.

P.S: Sport-Bild-Leser Michael Szegedi aus Heilbronn schreibt: "Um es auf einen Nenner zu bringen: Ralf Schumacher hat in der Formel 1 nichts zu suchen,"

Das ist nicht nur wahr, das ist sogar richtig.