Der Laden muß brummen ...

also muß der Brummi laden. Die Internationale des freien Warenverkehrs mobilisiert gegen die Streiks in Frankreich

Kaum setzten die Blockaden der französischen Lkw-Fahrer ein, wurde europaweit in den politischen und ökonomischen Chefetagen Zeter und Mordio geschrien. Den Vogel schoß sicherlich Frankreichs ehemaliger Wirtschaftsminister Madelin ab, der meinte, es handele sich nicht mehr um einen Streik, sondern um einen Aufstand. Im benachbarten Ausland war man nicht viel zimperlicher. Bereits am Dienstag vergangener Woche - der Streik mitsamt geschickt gewählten Blockaden war gerade zwei Tage alt - suchten Deutschland, England, Spanien und die Niederlande auf die französische Regierung Druck auszuüben, um das in ihren Augen unumstößliche Recht auf freien Waren- und Personenverkehr aufrechtzuerhalten.

Einige Tage zuvor hatte sich der deutsche Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik an Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) gewandt, damit dieser gegenüber den französischen Behörden und der Europäischen Kommission tätig würde. Nicht fehlen durfte dabei ein Verweis auf die "menschenverachtende Streikpraxis" in Frankreich. Wissmann, nicht faul, forderte daraufhin Paris auf, gegen die Blockaden vorzugehen. Frankreichs Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot solle sich dafür einsetzen, daß deutsche Fernfahrer in Frankreich ungehindert weiterfahren dürften.

Zu diesem Zeitpunkt befürchtete Opel-Bochum bei einem Andauern der Streiks schon einmal rein präventiv erste Produktionsausfälle - nicht sofort, sondern für das Wochenende. Schon vor Errichtung der ersten Blockaden waren deutsche Lkw-Fahrer zurück nach Deutschland beordert worden, so schnell, als greife in Frankreich eine Choleraepidemie um sich, wie die Neue Zürcher Zeitung ironisch bemerkte.

Ebenfalls am Dienstag telefonierte der britische Labour-Regierungschef Tony Blair mit Lionel Jospin, seinem französischen Amtskollegen. Der solle schleunigst in die Auseinandersetzung eingreifen, denn britische Brummifahrer würden sich darüber beklagen, daß die französische Polizei nichts gegen die Blockaden unternehme. Im übrigen solle Jospin dafür sorgen, daß die Entschädigungen aus dem Streik vom Vorjahr an die britischen Fuhrunternehmer gezahlt werden. Blairs Verkehrsminister Sprang legte nach: Die britische Regierung begrüße die Unterstützung aus Bonn, Madrid sowie der EU-Kommission. Gemeinsam müsse man dafür sorgen, daß höchster Druck auf Paris ausgeübt werde. Spanien verlangte unterdessen eine Sondersitzung der EU-Verkehrsminister, auf der Madrid die Einrichtung "internationaler Korridore" durch Frankreich vorschlagen wolle. Die Forderung nach der Sondersitzung wurde ebenfalls von der niederländischen und der irischen Regierung erhoben.

Am gleichen Tag hieß es in Brüssel, Neil Kinnock, EU-Verkehrskommissar und ehemaliger Chef der britischen Labour Party, habe einen Brief an die französischen Gewerkschaften geschrieben; diese waren von der Streiklust der Basis ein wenig überrollt worden. Auch mit der französischen Regierung, so verlautete in Brüssel, habe Kinnock bereits Kontakt aufgenommen. Keineswegs würde die EU-Kommission das Streikrecht in Frankreich in Frage stellen, aber die Behinderungen des Waren- und Güterverkehrs gäben doch zu Besorgnis Anlaß. Deshalb sei die Prüfung rechtlicher Schritte gegen Paris angebracht.

Damit war die Katze aus dem Sack. Die Internationale des freien Warenverkehrs hatte ein Stichwort und eine EU-Institution, auf die sich nun Druck ausüben ließ. Tags darauf verlangte der Verkehrspolitische Sprecher der EVP und CDU-Abgeordnete Jarzembowki von der EU-Kommission, Paris vor dem europäischen Gerichtshof zu verklagen, sollte die französische Regierung nicht den freien Verkehr durch das Hexagon gewährleisten können. Nicht hinnehmbar sei, daß durch französische Tarifauseinandersetzungen die Unternehmen aus anderen EU-Staaten zu "Geiseln" gemacht würden. Ähnlich argumentierte der belgische Dachverband der Straßentransporteure.

Jedoch regeln die EU-Verträge das Streikrecht nur im Sozialprotokoll. Ausdrücklich ist dort festgehalten, daß Streikfragen nicht auf internationaler Ebene zu regeln sind, sondern Bestandteil des nationalen Rechts bleiben. Die EU-Kommission hat zwar einerseits zur Aufgabe, den sogenannten freien Warenverkehr zu gewährleisten, andererseits geht sie ein Streik nichts an. Artikel 30 des EG-Vertrages verlangt von den EU-Staaten den Verzicht auf mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen mit gleichen Konsequenzen. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt ein Verstoß gegen diesen Artikel 30 lediglich bei einer Maßnahme vor, wenn "sie sich hinreichend verfestigt hat und einen bestimmten Grad der Allgemeinheit aufweist" (zitiert nach FAZ, 6. November) - höchst fraglich bei Streiks. Zudem steht der jeweiligen Regierung ein Ermessensspielraum zu, ob und wie sie eingreifen will. Und in der Rechtsprechung ist ungeklärt, ob einem EU-Staat das Verhalten einzelner Bürger zuzurechnen ist. Im übrigen liegt die Beweislast für einen eventuellen Verstoß gegen die einschlägigen Regelungen bei der EU-Kommission. Welchen Eindruck rechtliche Überlegungen auf Streikende und Blockierende macht, steht sowieso auf einem andern Blatt.

Die Streiks und Blockaden verließen nicht den Rahmen gewerkschaftlicher Strategien, eine Kritik an der zerstörerischen Entwicklung des Transportsektors blieb aus. Und die entfremdete Arbeit kam wieder einmal ungeschoren davon.