Peter Neururer

»Ich wäre bereit, sofort wieder zu arbeiten - wenn’s paßt«

Einer von mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, weil seit dem 1. Oktober nicht mehr Trainer, ist Neururer. Im Gegensatz zu den anderen Arbeitslosen ist der Mann, der es als einer der wenigen geschafft hatte, den Moderator Friedrich Küppersbusch sprachlos zu machen: "Sie waren in der Jungen Union?" - "Ja. Und?", dank der vom 1. FC Köln gezahlten Abfindung finanziell ganz gut abgesichert. Das könnte ein prima Leben bedeuten, mit weiten Reisen in Länder mit Palmen und weißen Stränden oder fruchtigen Drinks am heimischen Pool oder ausgedehnten Einkaufsbummeln in den Metropolen dieser Welt, oder was auch immer. Statt dessen sitzt Peter Neururer an jedem Wochenende auf Fußballtribünen herum und sammelt Daten für sein selbstentworfenes Computerprogramm, in dem alle Kicker erfaßt sind. Denn wie die anderen Arbeitslosen auch, genießt er seine derzeitige Beschäftigungslosigkeit überhaupt nicht - Peter Neururer möchte "am liebsten sofort" wieder arbeiten. Zu welchen Konditionen, glaubt er selbst bestimmen zu können. Dabei war er bisher als Coach sehr umstritten: Als er vom 1. FC entlassen worden war, da waren die einen froh, "das blöde Großmaul" endlich los zu sein, die anderen ärgerten sich über den Weggang eines "großen Trainers". Der hat jetzt nichts zu tun und ist deswegen ziemlich gestreßt.

So langsam zeichnet sich in der Ersten Fußball-Bundesliga ab, welche Vereine gegen den Abstieg kämpfen müssen. Wenn man als arbeitsloser Trainer auf die Tabelle der Liga schaut, denkt man dann: "Oh, da wird bald jemand gefeuert, prima, da ist dann ein Job frei?"

Ich warte nicht konkret auf den Rausschmiß irgendeines meiner Kollegen, da würd's ja auch irgendwie aufhören.

Und die Gefahr, den Trainerjob zu verlieren, hat weniger mit dem Tabellenbild zu tun, sondern mit der Situation und der aktuellen Zielsetzung der Vereine. Da gibt's den einen oder anderen Verein, der weit weg von der eigenen, zu Saisonbeginn ausgegebenen Zielsetzung ist, was nicht unbedingt heißt, daß er sich in Abstiegsgefahr befindet. Der Mechanismus und der Automatismus, der in der Bundesliga immer greift, wird daraufhin aktiviert - der Trainer wird gefeuert. Die Mannschaft kann man ja schlecht komplett entlassen, und da muß halt der Trainer herhalten, das ist immer so.

Und einem anderen, der derzeit nicht in der Ersten Bundesliga tätig ist, wird damit die Möglichkeit gegeben, wieder zurückzukommen. Das ist eine Sache, die ganz natürlich ist. Ich warte auf eine Situation, in der ich wieder einsteigen kann.

Ist es Ihnen egal, zu welchem Verein Sie gehen, solange er erstklassig ist?

Ich würde nur zu einem Klub gehen, bei dem ich eine Perspektive habe. Ewig mit einem Verein gegen den Abstieg zu spielen, daran habe ich kein Interesse. Ich möchte irgendwo und irgendwann mal langfristige Arbeitsmöglichkeit in der Ersten Liga haben - wobei zwischen mir und dem 1. FC Köln die Sache schon fast langfristig zu nennen war, wenn man bedenkt, daß ich dort zweimal meinen Vertrag verlängert habe.

Aber ich bin glücklicherweise in der Lage zu sondieren. Zum einen habe ich vom 1. FC Köln eine gute Abfindung bekommen, deswegen bin ich finanziell unabhängig. Zum anderen muß ich auf Grund meiner Reputation nicht auf den ersten Zug aufspringen. Der Zug, auf den ich aufspringen werde, muß mit Bedacht gewählt sein, muß einer sein, von dem ich denke, daß er zu mir paßt.

Wie lange können Sie denn diese Situation durchhalten, wenn sich niemand meldet?

Das müssen Sie den Finanzminister fragen, das weiß ich nicht. Nein, rein vom Finanziellen her könnte es wohl lange dauern, aber es ist so: Wenn man ein, zwei Jahre keinen Verein trainiert, dann gerät man sehr schnell in Vergessenheit. Dann hat man kaum noch die Möglichkeit, auf einer vernünftigen Basis einen vernünftigen Verein zu finden. Ich wäre bereit, ab sofort wieder zu arbeiten - wenn's paßt.

Können Sie sich vorstellen, in einem völlig anderen Job zu arbeiten?

Nein. Ich bin mit ganzem Herzen, von unten bis oben Fußballtrainer. Daran können alle Negativerlebnisse nichts ändern, die positiven Momente überwiegen ganz eindeutig. Schon zwei Tage nach der Beurlaubung beim 1. FC Köln hätte ich mit dem gleichen Elan, mit dem gleichen Enthusiasmus bei einem anderen Verein anfangen könnenÖ

Gibt es Trainervermittler, die jetzt bei Ihnen anrufen?

Ich habe natürlich schon mehrere Angebote erhalten, teils aus dem Ausland, teils aus der Zweiten Liga, aber die interessieren mich nicht. Denn ich habe mir zum Ziel gesetzt, wieder in der Ersten Liga in Deutschland zu arbeiten, erst wenn das nach einer gewissen Zeit nicht geht, dann wäre ich auch bereit, zu einem Verein ins Ausland zu wechseln. Aber Vermittler gibt es nicht.

Es gibt natürlich unheimlich viele Trittbrettfahrer. Wenn irgendwo ein Trainer beurlaubt wird, dann meinen sie, z. B. mich ins Gespräch bringen zu müssen, damit sie im Falle eines Vertragsabschlusses immer sagen können, daß sie mir diesen Job ermöglicht haben. Aber grundsätzlich muß man sagen, daß die Situation eines Trainers nichts mit der eines Spielers ohne Verein zu tun hat. Der Trainer ist in einer eher passiven Rolle, denn es gibt eigentlich keine Vermittler für ihn.

Oft hört man von Boulevardzeitungs-Journalisten, daß sie von den Vereinen, die gerade den Trainer gefeuert haben, nach passenden Nachfolgern gefragt werden.

Ich kann mir schon vorstellen, daß der eine oder andere in Anführungsstrichen ohnmächtige Präsident mal einen Journalisten um Hilfe bittet. Konkrete Mitsprache von Journalisten möchte ich zwar nicht grundsätzlich von der Hand weisen, aber es wäre eine traurige Angelegenheit.

Dann müßte man sich ja auch als Trainer mit den Boulevardzeitungen gut stellen...

Das Fußballprofitum allgemein, zu dem auch die Trainer gehören, kann nicht so blauäugig sein und davon ausgehen kann, daß man in einem Boot sitzt und drumherum ist Wasser. Wir arbeiten mit den Journalisten zusammen, wir müssen sogar mit den Journalisten zusammenarbeiten, denn im Grunde sitzen die mit im Boot. Kooperation ist selbstverständlich, nur ein Abhängigkeitsverhältnis sollte daraus nie entstehen. Ich persönlich habe zum Beispiel keine Probleme mit irgendwelchen Boulevardblättern oder mit den Fachjournalisten, die dafür arbeiten, ich habe nur konkret was gegen einige Leute vom Kölner Expreß. Mit denen werde ich nie wieder zusammenarbeiten.

Auch wenn Sie irgendwann zur Fortuna gehen würden?

Da würde ich mit Sicherheit nicht hingehen!

Ist für Sie der Trainerjob ein sehr harter?

Ihre Kollegen klagen über ständig steigende Belastungen .

Ich kann mich gut entspannen, ich brauche z. B. keinen Alkohol. Ich gehe mit der Familie schön essen. Ich spreche innerhalb des Jobs auch nicht von Streß, ich habe eigentlich überhaupt keinen Streß während des Jobs gehabt...

Und jetzt ja wohl sowieso nicht...

Doch, jetzt habe ich Streß. Das ist der große Unterschied: Wenn ich im Amt bin, dann habe ich keinen Streß, empfinde das als tolle Zeit, genieße jede Minute. Wenn ich gestreßt bin, dann nur während der neunzig Minuten, die das Spiel dauert. Denn dann hat man keinen Einfluß mehr auf die Sache, die da auf dem Platz abläuft, oder jedenfalls nur minimalen. Der Streß existiert also nur samstags von halb vier bis viertel nach fünf.

Streß habe ich jetzt im Augenblick, weil ich in einer Situation bin, in der ich mir selber keinen neuen Job besorgen kann. Ich muß gesucht bzw. gefunden werden, kann nicht aktiv werden.

Diese Ohnmacht bedeutet Streß.

Ist es nicht ein seltsames Gefühl, jetzt zu einem Fußballspiel zu gehen und genau zu wissen, daß der Arbeitsplatz eines Kollegen und ihre Beschäftigung vom Ergebnis abhängen könnten?

Das würde ich niemals machen. Wenn ich als Trainer, der momentan ohne Beschäftigung ist, zu irgend einem Spiel fahre, bei dem man davon ausgehen kann, daß es ein brisantes Spiel sein wird, weil einer der Trainer wackelt oder so, dann würde ich das Spiel nicht besuchen. Denn natürlich würde das sonst von den Medien entsprechend interpretiert.

Trotzdem besuche ich jedes Wochenende drei oder vier verschiedene Spielorte, aber ich suche mir die Spiele aus. Ich muß mich zwar einerseits für den Fall, daß ich einen neuen Job bekomme, informieren, d.h. immer auf dem neuesten Stand sein, aber andererseits muß ich nicht unbedingt für öffentliche Diskussionen sorgen, also nicht einen ohnehin schon angeschlagenen Trainer-Kollegen in noch größere Schwierigkeiten bringen. Natürlich würde durch meine Anwesenheit kein Trainer wackeln und kein Präsidium auf die Idee gebracht, den Kollegen zu beurlauben - trotzdem muß das nicht sein.

Ist das Teil einer Solidarität unter den Trainern?

Es wäre einer, wenn es diese Solidarität oder Loyalität geben würde. Das ist allein mein Ding, ich praktiziere das so, genauso würde ich nie mit einem Verein verhandeln, dessen Trainer noch im Amt ist. So interpretiere ich das Wort Solidarität - aber man muß schon sagen, daß es in der Bundesliga und im Profifußball mit Solidarität, Loyalität, Ehrenkodex sicher nicht weit her ist.

Warum unternehmen die Trainer nichts dagegen?

Als Einzelkämpfer? Das sind wir doch alle. Wir haben zwar ähnliche Schwierigkeiten, mit den Präsidien, mit Situationen, mit Zielsetzungen, mit öffentlicher Darstellung usw., aber jeder ist bemüht, sich selber, seinen Verein weiterzubringegn. Da hat man kaum noch Möglichkeiten und Zeit, sich mit den Problemen der Kollegen auseinanderzusetzen. Es gibt aber Ausnahmen. Nach einem Bericht über mich rief z. B. Werner Lorant bei mir an, oder alte Kollegen melden sich nach einer Beurlaubung, wie Gerd von Bruch, oder Manager Rüssmann, aber das sind Einzelfälle.

Eine gemeinsame Organisation, etwa in einer Trainergewerkschaft, halten Sie für unmöglich?

Dazu gibt es in Deutschland zu wenig Arbeitsplätze für Trainer. Das ist illusorisch.