Spielen heißt kämpen

Spiel heißt Risiko!

"Erobern Sie Amerika, Australien und einen dritten Kontinent Ihrer Wahl!" Das Strategiespiel "Risiko" erscheint in einer "De Luxe"-Version mit albernen Zinnfiguren

Der Spieltrieb, wußte schon Friedrich Schiller, ist ein unglaublich verspielter Trieb, ungezügelt, schrankenlos. Die weitschweifigsten Aktivitäten löst er aus, hat er zur Folge, liegen ihm zu Grunde gar. Der Mensch, das zur Arbeit verdammte und der Notwendigkeit mannigfach vermittelter Reproduktion unterworfene Gattungswesen, sucht Kompensation in den dollsten Albernheiten und hartnäckig der instrumentellen Vernunft zuwiderlaufenden Beschäftigungen: Kalender werden gebastelt, Kugeln durch die Gegend geschleudert, Malefizfiguren bewegt.

Der Homo ludens, die Kehrseite des allerlei lästige Funktionen und Aufgaben mehr recht als schlecht erfüllenden modernen Menschen, verkörpert die sich selbst als Zweck setzende Spezies, den tollkühnen Komplettkasper und ideellen Gesamtschachbrettler. Die später aufgekommene Spieltheorie hinwieder untermauerte eher politologisch motivierte Handlungsmodelle und Konfliktlösungsstrategien und war en bloc ein ziemlicher Schmarren, für den sich allenfalls Friedensforscher zu begeistern vermochten, sie wußten's und wissen's nicht besser, sollen bloß so weitermachen.

Wenn die Ausbildung aller fünf Sinne im Sinne Marxens ein bedeutendes Telos der Geschichte von Klassenkämpfen sein mag, darf das zweck-, nicht aber intentionsfreie Herumgewurstel mit Karten, Würfeln, Mikado-Stäbchen und Mühlesteinen als der vielleicht einzig relevante, jedenfalls der einzig sympathische Urarchetyp des Natterngezüchts Mensch angesehen werden, den Rest vergessen wir besser gleich wieder.

Das Spielen kehrt den "göttlichen Teil seines Wesens" hervor (Friedrich Schiller: "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts"), weiß Gott fürwahr; dort, wo er spielt, ist der Mensch ganz Mensch und vor allem Ohr. Keiner anderen Sache außer den Spielregeln gegenüber hegt er derart starkes, unbändiges Interesse (wohlgemerkt die zentrale, die kolossale Kategorie marxistischer Theorie); zu keinem anderen Zeitpunkt verfolgt er glühender sein Ziel; nirgendwo sonst sieht man ihn konzentrierter den Müßiggang verrichten. Oh Dialektik, oh Totalität! Höchste Aufmerksamkeit und stringenteste Wurschtigkeit! Vollkommenste Abwesenheit vom niederträchtigen Weltenlauf, gespanntester Einsatz aller Vernunft- und sonstigen Intellektualkräfte! Er, der dumme Mensch, ist als Spieler gut und glückselig! Oder eine Flasche, wenn er Dostojewski heißt.

Oder auch sonst verliert. Na, da wendet sich das Blatt ruckzuck.

Jetzt sieht es schlecht aus. Vier Armeen übrig. Drei rote Angriffswürfel liegen auf dem Handteller, Finger umspielen die hölzernen Kuben, das Zittern zu verbergen. Südeuropa verteidigt mit zwei Steinen. 4, 3, 2. Verdammt. Blau klackert's im Würfelkarton. 4 und - die 4. "Raus deine Arschlöcher!" - "Maul!!"

Der letzte Versuch. 1 gegen 2, Attacke nur noch qua einer Kompanie möglich. Bei gleichem Wert ist Feierabend. Chancen, ein Land zu erobern - Moment, ähÖ sagen wir: 24 Prozent. Wenn's pareto-optimal läuft.

Pardauz! 6! - 3! Haha. Aber jetzt!! Anlauf - 2. Und die Pfeife gegenüber? Eine 2 hätte gereicht, der Nullinger begnügt sich indes mit der kleinstmöglichen Zahl. Her die Länderkarte, und vor dem nächsten Zug wird eingetauscht, wir stehen bei zwölf Armeen.

Jeder kennt "Risiko", das Strategiespiel der Spiele. Wer's nicht kennt: Setzen! Fünf! Legendäre Schlachten sind schon geschlagen worden, und zwar ohne den vollends simplen Auftrag, "24 Länder Ihrer Wahl" zu "erobern".

Wer "Risiko", den ehernen Klassiker unter den auf exzessive Dauer spitzenden Brettspielen, in Angriff nimmt, will die Welt unterwerfen und stellt sich auf eine zäh hin- und herwogende Schlußauseinandersetzung ein: "Erobern Sie Amerika, Australien und einen dritten Kontinent Ihrer Wahl" zählt zu den leichteren Aufgaben, Europa und Asien waren und sind kaum zu packen. Die Erfahrung lehrt, daß jener, der zunächst Australien okkupiert, die besten Auspizien besitzt. Allerdings hängt so manches von der Auslosung ab. Liegen die eigenen Legionen isoliert etwa in der Sowjetunion herum, kann man bald seine Koffer packen und mit der Frau zum Schlittschuhlaufen.

Der Friedensbewegung sei Dank benannte das Haus Parker Mitte der achtziger Jahre die Auftragskarten um; statt "erobern" hieß es nun "befreien". Ein unglaublicher Scheiß. Die Spielsteine hingegen beließ man in ihrer schlichten Form: griffige Dreiecke (1er-, 5er- und 10er-Kontingente), die zur Not, wenn die Rüstungsspirale gegen fünf Uhr morgens zum Kosmologischen tendierte (doch, so sprach's während der Schlacht zu Tervuren aus den Konkurrenten), durch Smarties ergänzt wurden. 14 oder etliche Stunden länger dauerten die legendären Brüsseler Kellerkämpfe, und ich müßte lügen, wenn nicht selten die rote Armee als Sieger das Brett verließ.

Heute ist vieles obsolet. Der Versuch, im Frankfurter Stammlokal Horizont eine konzentrierte Sechser-Partie abzuwickeln, scheiterte allzufrüh etwa an den Weigerungen des Kollegen Henschel, die kreuz und quer geschlossenen windigen Pakte zu brechen, um dem eben noch engsten Verbündeten in den Rücken zu fallen und seine Besitztümer abzuräumen. Bringen die Mitspieler allerdings die nötige Entschlossenheit und Gemeinheit mit, kennt der Zorn keine Grenzen. Freundschaften zerbrechen, Fahrräder werden ungefragt entwendet, Zigaretten weggeraucht. Spannender als die bis zum zehnten, zwölften Lebensjahr mittels Papier und Bleistiften inszenierten "Panzerschlachten" dünkt uns "Risiko" dann, spannender als "Junta", "Klassenkampf" (ein schon sehr reduziert-simplizistisches Game), "Atlantik" oder "Flottenmanöver" sowieso.

Wäre da nicht der schändliche Wille des Hauses Parker, eine immerjunge Idee zu renovieren, zu stukkatieren. Das klassische Design hat man über Bord geworfen. Erhältlich ist ab der heurigen Vorweihnachtssaison nur noch "Risiko De Luxe" mit "300 modellierten" Zinnfiguren, historistisch inspirierten, plastisch-pseudorealistischen Kameraden aus den Abteilungen Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Der Wille zum Kitsch ersetzt die moderne Gestalt-Abstraktion, und eine dubiose "Hauptstadt-Variante" (Der Kampf um Bonn?) soll es - als sozialdemokratische Verwässerung - auch noch geben. Zuletzt zieren den wenigstens im Format identischen Karton mutmaßlich auf befreiungstheologisch-nationalistische Motive oder den Thomas-Müntzer-Ernst-Bloch-Komplex spekulierende Werbebotschaften: "'Risiko' versetzt Sie, spielerisch gesehen, einige Jahrhunderte zurück: Armeen marschieren, und Völker bangen um ihre Freiheit! Aber die Freiheit läßt sich nicht unterdrücken! Befreien Sie Land um Land und Volk um Volk!" Das dürfte jetzt eine Angelegenheit für Herrn Fanizadeh sein.

Doch die Spieleproduktion geht insgesamt seltsame Wege. Auch das "geniale" (M. Conrad) und etwas friedfertiger konstruierte, die Kapital- und Immobilienakkumulation lehrende "Hotelkönig" firmiert mittlerweile unter dem so törichten wie entlarvenden und jede ideologische Verschleierung schlankweg ignorierenden Titel "Imperial". "Hundsfötte alle! Nicht mal das Vergnügen lassen sie einem!" (M. Conrad)

Risiko De Luxe, ab 10 Jahre, Parker, DM 69,95