Unter Geiern

Nicht einmal drei Monate nach der Übernahme durch den Reinhardt Becker Verlag steht die Deutsche Lehrerzeitung vor dem Aus

Wie ruiniere ich möglichst schnell eine Zeitung? So könnte der Titel der Komödie lauten, die seit über zwei Monaten vor den Mitarbeitern der Deutschen Lehrerzeitung (DLZ) in Berlin aufgeführt wird. Am 1. Oktober kaufte der Reinhardt Becker Verlag mit Sitz im brandenburgischen Velten das Pädagogen-Blatt dem Berliner Verlag Elefanten Press ab, und nur vier Ausgaben und zwei Monate später stellt die DLZ ihr Erscheinen ein.

Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wurde seit der Übernahme vom Neueigentümer nicht eine Mark ausbezahlt - weder Gehälter noch Autorenhonorare wurden überwiesen. Wer dies zunächst noch mit Übergangsschwierigkeiten entschuldigte, mußte sich bald umgucken. Nachdem die Journalistinnen und Journalisten auch im Dezember keine Zahlungseingänge auf ihren Konten entdecken konnten, legte eine nicht gerade für ihr Temperament berüchtigte Redaktion entschlossen die Arbeit nieder, ebenso entschlossen stellte der Zeitungsvertrieb wegen unbezahlter Rechnungen seine Dienste ein. Über 30 Jahre nach ihrer Gründung gibt es die DLZ nach knapp dreimonatigem Wirken ihres neuen Eigentümers nicht mehr; bereits Anfang November hatte der Becker-Verlag der bisherigen Chefredakteurin Brigitte Hering gekündigt.

Beeindruckt von dem 1992 als Familienbetrieb gegründete Reinhardt Becker Verlag ist bisher nur Reinhardt Becker. "Als von auswärtigem Kapital unabhängiger Verlag", so die väterliche Formulierung seiner Eigendarstellung, wolle er einen Beitrag für die "Erhaltung und Verbreitung brandenburgischen und ostdeutschen Kultur- und Bildungsgutes in ganz Deutschland" leisten. Deshalb muß der Verlag, der - einmalig in Deutschland! - seinen Sitz in einer ausgebauten Garage hat, neben der auf mathematische Knobeleien spezialisierten Schülerzeitschrift alpha sowie dem Blatt jugend und technik auch "Heimatzeitungen, Ortschroniken und andere heimatorientierte Literatur" verbreiten.

Vorerst nur getüftelt wird in der Garage an einer Buchreihe "zur Verbreitung von betriebs- und volkswirtschaftlichen Kenntnissen auf hohem Niveau". Sicher ist nur, die Betriebswirtschaft interpretiert der Familienbetrieb sehr eigenwillig. Die Übernahme sei ein "glatter Übergang", schrieb der Verleger in seinem ersten und einzigen Editorial in der DLZ. Wegen der kurzfristigen Übernahme könne die "Buchhaltung noch nicht auf die gewohnten Einzugs- und Rechnungslegungszeiten der DLZ" umgestellt werden. Es sei daher möglich, daß die Abonnenten "früher als gewohnt Rechnung bzw. Bankeinzug erhalten". Gleichzeitig offerierte Becker den Lesern eine "lohnende Geldanlage für einen guten Zweck": Mit "Einlagen zwischen 1 000 und 10 000 Mark" könnten sie als stille Teilhaber "am wirtschaftlichen Erfolg des Verlags partizipieren".

Die "Umstellungsschwierigkeiten" waren dann doch schwieriger als erwartet. Seit einigen Wochen erhielten die Abonnenten zu ihrer Verwunderung Rechnungen direkt aus Velten. Angeblich, um die Buchhaltung zu rationalisieren, vereinheitlichte der Verlag kurzerhand den "Bezugszeitraum für alle Leser auf das volle Kalenderjahr" und schickte ihnen deshalb eine "Rechnung über einen vollen Jahres-Abo Betrag". Für Leser, die wie gewohnt ihre Rechnungen bereits quartalsweise bezahlt hatten, würden bereits überwiesene Beiträge einfach für das Jahr 1999 gutgeschrieben. Und nur in "Ausnahmefällen" sei man bereit, "für Leser, die den vollen Jahresbetrag nicht bezahlen können, die bisherige Zahlungsweise" beizubehalten.

Zahlungen bis ins übernächste Jahr für ein Produkt zu fordern, das es dann sowieso nicht mehr geben wird, dürfte juristisch interessante Folgen haben. Daß Becker die Drohung, sein Verständnis vom ostdeutschen "Kulturgut" weiterhin in alle Welt zu posaunen, wohl nicht wahrmachen wird - darüber können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lehrerzeitung selbstverständlich nur bedingt freuen.

Entnervte Pädagogen, die sich aus der "unabhängigen Zeitung für Schule und Gesellschaft" mit praktischen Unterrichtstips versorgten, hielten an dem Blatt fest, weil es sich nicht nur dann für Bildungspolitik interessierte, wenn gerade mal wieder besonders dreiste Kürzungsvorschläge Schulen und Unis treffen.

Anfang der fünfziger Jahre gegründet, war die DLZ zunächst das "Organ der Deutschen Demokratischen Schule", später die Haus-Zeitschrift von Margot Honeckers Ministerium für Volksbildung und der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung. In Form und Stil unterschied sich die Zeitung kaum von anderen offiziellen Druckerzeugnissen; seitenlange Berichte über Konferenzen und Deklarationen zur "pädagogischen Planerfüllung" waren unvermeidlich. Selbstbewußt reflektierte die Zeitung die Debatte über die Entwicklung des Schulsystems in der DDR, das gegenüber dem bundesdeutschen Modell immerhin einige Vorzüge besaß.

Einen kurzen Aufschwung erlebte die DLZ nach der Wende, als das Ex-Pflichtblatt von verunsicherten Pädagogen (Ost) als Informationsquelle wie als Ratgeber plötzlich gebraucht wurde; die Auflage schnellte hoch, bis zu 180 000 Exemplaren wurden zeitweise abgesetzt.

Zwei Jahre nach der Wende - die sogenannte Anpassung des östlichen Schulsystems an den Westen war geschafft, die neuen Schulgesetze unter Dach und Fach - wurde die DLZ von vielen wieder abbestellt.

Im September 1991 erwarb der Cornelsen Verlag (Berlin) mit dem Verlag Volk und Wissen unter Beteiligung der Verlage Klett (Stuttgart) und Tagesspiegel (Berlin) die Deutsche Lehrerzeitung, mit dem Ziel, die West- Leserschaft dazuzugewinnen, ohne die Ostler zu verlieren - ein Vorhaben, das kaum einem Printmedium bisher gelang. Auch den Eignern der Lehrerzeitung nicht, die dies vier Jahre nach der Übernahme auch einsahen und kurz vor dem Konkurs an Elefanten Press verkauften.

Rund zwei Jahre hielt sich der mit dem linken Zeitgeist verbündete Verlag die DLZ, die sich so las, wie sie hieß, bis sich der Reinhardt Becker Verlag als angeblich hochpotenter Käufer meldete. Ob die Mitarbeiter zumindest einen Teil der ausstehenden Gehälter erstreiten können, ist ungewiß; der Schlußakt dürfte sich nun vor allem vor dem Arbeitsgericht abspielen.