Apokalypse und Heil

Rudolf Bahros Weg in die totale Revolution

Berühmt wurde der 1935 in Schlesien geborene Bahro durch einen Medienhype. 1977 erschien sein Buch "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus" in einem westdeutschen Verlag, von einem Freund über die Grenze geschmuggelt. Wochenlang gab es im Spiegel Vorabdrucke sowie reihenweise Gespräche im Westfernsehen und -hörfunk. Seine Alternative sollte eine "marxistische Kritik" des Staatssozialismus sein. Er setzte auf die Spaltung der SED und auf eine "kommunistische Alternative", die mittels einer umfassenden "Kulturrevolution" zu einer radikalen Umwälzung der Arbeitsteilung, Lebensweise und Mentalität der Menschen führen sollte. Die Kommunisten selbst sollten der Herrschaft des Apparats in Partei und Bürokratie ein Ende zu setzen, um die "freie Assoziation der Produzenten" zu ermöglichen, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

Bahro, der ein Philosophiestudium abgeschlossen hatte und für das FDJ-Forum tätig war, schrieb an der "Alternative" seit 1971 nach seiner täglichen Arbeit als Abteilungsleiter für "wissenschaftliche Arbeitsorganisation" im Berliner Gummikombinat und schaffte es immerhin, sich von der ihm dort zugedachten Aufgabe selbst zu emanzipieren. Statt über fordistisch-kapitalistische Arbeitsorganisation und die Motivierung der Gummiarbeiter nachzudenken, sah er die Sinnlosigkeit dieser Unternehmung nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in Prag 1968 schnell ein und versuchte herauszufinden, wie der realexistierende Sozialismus so herunterkommen konnte. Die Ursachen dafür waren für ihn allerdings nicht nur in der staatssozialistischen Fixierung auf die Lohnarbeit und deren Verewigung durch Partei und Bürokratie begründet. Bereits 1977 suchte er die Ursachen der Deformation außer in der "Staatsmaschine" hauptsächlich im "Industrialismus" des Staatssozialismus, der für ihn den Kommunismus verraten hatte, indem er via kapitalistischer Arbeitsteilung und entsprechender Sozial- und Kommandostruktur die Menschen ihrer Utopien beraube.

Bahro wollte seine kommunistische Utopie direkt erreichen: Das Produktionsziel des Kommunismus sei eine "reiche Individualität", nicht materieller Reichtum. Durch eine "Neubestimmung des Bedarfs" und eine "Harmonisierung der Produktion" unter dem Primat der "einfachen Reproduktion" wollte Bahro, daß der Sozialismus nicht mehr den Kapitalismus ein- und überholen soll, sondern erkenne, daß der Kommunismus vielmehr durch Verzicht auf technologische Innovation und "kommunale Assoziation" direkt viel besser zu erreichen sei.

Bahro wendete sich immer mehr dem "Bewußtsein als einer materiellen Kraft der Veränderung" zu und vergaß die zunächst noch rudimentär vorhandene Ökonomie- und Kapitalismuskritik. Seit Anfang der achtziger Jahre, nun im Westen Gründungsmitglied der Grünen und von 1982 bis 1984 im Bundesvorstand der Partei, wendete er sich immer mehr einer "Fundamentalökologie" zu. Den Kapitalismus titulierte er nur noch verächtlich als "Megamaschine", der die Grünen nichts entgegenzusetzen hätten. Bahro war auf dem Weg, die totale Revolution nach einem mehrmonatigen Aufenthalt bei Bhagwan 1983 spirituell zu verwirklichen.

Die Grünen wollten allerdings Mitte der achtziger Jahre nicht mehr eine andere, sondern gar keine Revolution mehr, was Bahro noch zwei Jahre nach seinem Parteiaustritt dazu veranlaßte, eine vollkommen zutreffende Einschätzung über ihre Funktion abzugeben: "Die Grünen sind fast noch schlimmer als nutzlos. Sie sind so durch und durch Teil des Systems geworden, daß der Kapitalismus sie erfinden müßte, wenn es sie nicht schon gäbe."

Bahros neue Hoffnung Ende der achtziger Jahre war Gorbatschow und die Perestroika, in der Wiederkehr des mythischen russischen Wesens sah er eine Chance zur radikalen Umkehr. Gorbatschow verkörperte für ihn eine Lichtgestalt, die zum Führer einer ökologischen Wende werden könne. Bahros Vorstellungen oszillierten spätestens seit Mitte der achtziger Jahre zwischen apokalyptischen Vorstellungen und Heils- und Erlösungsvorstellungen, die im politischen Wahn endeten. Der "Logik der Selbstausrottung" im Kapitalismus wollte er nun - er veröffentlichte 1989 sein zweites Hauptwerk, die "Logik der Rettung" - die "lebensrichtige Einordnung des instrumentellen Verstandes ins psychische wie ins soziale Ganze" entgegenstellen. Bahro verfiel endgültig einer sehr deutschen Ursprungsmythologie, soziale Gegensätze wurden unbedeutend, sie könnten sogar einer ökologischen Wende im Wege stehen. Die Logik der Selbstausrottung fand er nun weniger im Kapitalismus, sondern in einem "anthropologischen Dilemma" begründet. Des Menschen Gehirn als "Distanzorgan" verhalte uns nämlich zur egoistischen Selbsterhaltung und Anthropozentrik.

Konsequenterweise machte sich Bahro parallel zur Entwicklung der deutschen Ökologiebewegung daran, das Denken abzuschaffen. Die Brauchbarkeit der Menschen hing für ihn zentral von ihrer Einsicht in die Notwendigkeit einer "fundamentalökologischen Wende" ab, und konsequenterweise ergänzte er seine spiritualistische Lebensphilosophie nun mit der Forderung nach einer politischen Struktur, die "im Prinzip aus der Welt der streitenden Sonderinteressen und der souveränen Staaten hinausführt".

Er forderte einen "Fürsten der ökologischen Wende", der entscheidet, was gut und was böse ist. Über die Apokalyptik fand Bahro nun zum Staat zurück, und der konnte gar nicht mehr autoritär genug sein, um "den Zugriff auf die Natur zu begrenzen". Der Staat gehörte für ihn als "Korrektiv zur Natur des Menschen", er bewunderte nun die "Vitalität" der NS-Bewegung und die "spirituelle Energie", die von ihr ausging. Bahro nun allerdings "Ökofaschismus" vorzuwerfen, geht an der Sache vorbei. Bahro war an der neurechten Verküpfung der ökologischen mit der "nationalen Frage" nicht interessiert. Was ihm und seinen Jüngern vorschwebt, ist eher ein aristokratisches Regime derjenigen, die über den Einzelinteressen stehen und die Einsicht haben, daß es um die Existenz der Gattung gehe.

Bahros "anthropologische Revolution" findet viele Freunde unter denen, die schon immer eine "spirituelle Gemeinschaft" jenseits der divergierenden Sonderinteressen wollen - sei es nun eine Volksgemeinschaft oder eine Landkommune. Mit einer Bemerkung jedenfalls wird Bahro rechtbehalten: Der Ruf nach dem "grünen Adolf" ist das "deutsche Moment in dieser grünen Bewegung".