Die Falten der Fahnder

Bleischwer sitzen die Beamten im Aktenzeichen XY-Studio herum, nebenan wird flott ermittelt: "Fahndungsakte" auf Sat. 1
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Sat.1, der Sender unerreichter Einfalt, hat "Aktenzeichen XY ungelöst ..." nachgeahmt (bzw. dessen US-amerikanisches Vorbild kopiert) und strahlt es unter dem Titel "Fahndungsakte" gleich wöchentlich aus. Treffender wäre freilich der Titel "Sorgenfalte", weil Menschen selten dermaßen sich in Betroffenheit und ihre Stirn in Falten werfen wie die Leute in dieser Sendung. Ganz gleich ob altgedienter Polizist, Polizeipsychologe oder Moderator - alle runzeln sie die Stirn nach Kräften, sobald die Kamera ins Blickfeld rückt.

Die restliche Zeit nutzen sie, um kraftvoll umeinanderzuwuseln und wichtige Akten auszutauschen, damit alles ein wenig aussieht wie so ein verdammtes Polizeipräsidium in einem verdammten Cop-Streifen. Uniformierte hetzen von Telefon zu Telefon, ein Zivilfahnder nagelt in die Tastatur, als müßte er unter Androhung der Todesstrafe bis zum Ende der Sendung "Krieg und Frieden" abgeschrieben haben; andere tragen hektisch Papiere quer durchs Bild, um sie anschließend wieder hektisch quer durchs Bild zurückzutragen. Aber es sind leider keine Keystone-Cops, sondern "alles angehende Kommissare und Kommissarinnen", versichert Michel Weber, der vermutlich deshalb Moderator dieser Sendung wurde, weil er von allen die dicksten Falten in seine Stirn bügeln kann. Andere Qualifikationen sind an ihm jedenfalls nur schwerlich auszumachen. Er kann weder fließend reden noch fehlerfrei ablesen, steht selten an der richtigen Stelle, aber blickt stets in die verkehrte Kamera.

Nachdem in einem dieser eingespielten Filmbeiträge mit einem Auländeranteil von drei Mann Minimum wiederholt fest- und dargestellt wurde, daß der Autoschieber und seine Frau mittels Plastiktüten umgebracht wurden, wendet sich Weber an den Polizeipsychologen Professor Gallwitz, der ebenfalls den Plastiktütenmordbericht gesehen hat, mit der Feststellung: "Die Opfer wurden mit Plastiktüten ermordet."

So ist Fernsehen, und wenn der Professor anschließend gefragt wird: "Welche Täter kommen für eine solche Tat in Frage?" überlegt man noch, ob die richtige Antwort "Fred Kogel" lauten muß oder "Ein überspannter Aldi-Angestellter nach dem Konsum billiger Sat.1-Produktionen" - da widerfährt einem schon Weisheit: "Wer mit Plastiktüten tötet, möchte nicht nur töten, es kommt ihm aufs Quälen, auf das langsame Sterben, auf das Hinrichten an." Also war's doch der Sat.1-Programmchef!

Der Professor liefert freilich andere Stichworte: Mafia, Osteuropa, immer brutaler. Immer blöder indes wird "Fahndungsakte". Unter anderem nehmen wir Anteil am Schicksal einer Frau, die von ihrem türkischen Mann verprügelt, tags darauf auf ihrem Heimweg von einem Unbekannten mit Benzin überschüttet und angezündet wurde und dabei zu Tode kam. "Professor Gallwitz, ein Mensch wird mit Benzin übergossen und angezündet. In welcher Umgebung, in welchem Milieu würden Sie als Profilfahnder den Täter suchen?" fragt bedeutungsschwer der Moderator. "Also", spricht der Professor, "wer einen Menschen mit Benzin übergießt und anzündet, der möchte ein Menschenleben auslöschen."

Ich finde, über so etwas macht man keine Witze.

Was nun des Professors Milieustudien betrifft: "Wir haben es hier vermutlich mit einem Auftragsmord zu tun, der in ein Milieu hineinreicht, wo Verfehlungen, Schande möglicherweise, mit Blutrache und mit dem Auslöschen von Menschenleben geahndet werden." Apropos "Südländer": "Fahndungsakte" stehen eine Reihe von Dolmetschern zur Verfügung, so daß man seine Denunziation mehrsprachig erledigen kann. Erfolge hat Fahndungsakte selbstverständlich auch schon vorzuweisen. Ein mutmaßlicher Täter, der zusammen mit seinem Kollegen eines schönen Tages ein Drahtseil um den Geldautomaten einer Raiffeisen- und Volksbank nahe Halberstadt gelegt hat und ihn kraft eines Lkw mit Schmackes aus der Bank gerupft haben soll, konnte bereits vernommen werden. Darüber freut sich Weber und bittet zum Schluß noch einmal um Mithilfe.

Unvorstellbar ist hierzulande nicht, daß eben solch ein Helfer vormittags noch vor besagtem Geldautomaten stehend lesen mußte: "Mit dieser Karte ist zur Zeit keine Auszahlung möglich", am Nachmittag die Hypothek gekündigt kriegte, am Abend zwei verdächtige Personen beobachtete, das Nachts "Fahndungsakte" schaute, daraufhin die Räuber verpfiff; bei dieser Gelegenheit gleich noch die drei Polen aus der Nachbarschaft anzeigte, sich über Bettler in der Fußgängerzone echauffierte und mit Nachdruck verlangte, daß erst mal alle kriminellen Ausländer abgeschoben werden müßten, ehe man ihm Strafzettel verpasse. Denn da können noch zwanzig Bundespräsidenten und andere Nachtwächter den Verfall alter Werte und Traditionen in diesem Land beklagen, die des Blockwarts bleibt erhalten.