Identität der Ikonographen

Was kann linke Kunstkritik? Ein "Methodenstreit" zwischen den Zeitschriften Texte zur Kunst und October in der Berliner Humboldt-Universität.

In der Biologie spricht man von Kommensalismus, wenn der eine profitiert und der andere nicht beeinträchtigt wird. "Der eine", das waren am vergangenen Freitag und Samstag die Herausgeber und Herausgeberinnen der in Köln beheimateten Zeitschrift Texte zur Kunst, gegründet 1990 und neben dem kunstforum wohl die zweite Bibel für Kunststudierende. "Der andere", das waren die HerausgeberInnen der Zeitschrift October, Marktführerin in Sachen Kunstkritik an der US-amerikanischen Westküste.

Die Leitfrage des Methodenstreits war: "Was ist linke Kunstkritik?" Mitstreiter und Geldgeber dieses PR-Events waren das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und das Kunsthistorische Seminar der Humboldt Universität zu Berlin. Will man verknappt zusammenfassen, worüber verhandelt wurde, so läßt sich dies am besten bewerkstelligen über die "großen" Begriffe, die gefallen sind und über einen kleinen Exkurs zur amerikanischen Universität.

Seit geraumer Zeit gibt es in den USA Cultural und Visual Studies, wobei erstere nichts mit der hiesigen Kulturwissenschaft zu tun haben. Beide Studienrichtungen befassen sich mit visuellen Produkten der Massen- und Popkultur, allerdings ohne die kunsthistorischen Methoden und Kenntnisse zur Bilderkennung zu würdigen. Statt dessen werden Bilder als Repräsentationen, als Zeichen für und von etwas, gelesen und als Bestandteile einer Identitätspolitik untersucht.

Das nervt die Kunstgeschichte, die auch Gelder an diese Studiengänge verliert. Und so entdeckte sie nach dem "linguistic turn", der wesentlich auf französische Theorien gestützten Analyse visueller Gegenstände nach dem liguistischen System von Signifikat und Signifikant, den "pictorial turn", der nicht einfach nur ein "Zurück zum Bild!" meint, sondern etwas grundsätzlicher für die "Neubewertung des bedeutungstheoretischen Verhältnisses von Sprache und Bild" (Sabeth Buchmann) steht.

Man könnte diesen ganzen Streit beiseite schieben, indem man konstatiert, daß in diesem Methodenstreit eine uralte Haßliebe zwischen Frankreich und Amerika aufflammt, der für Deutschland keine Relevanz hat, denn die euphorische Aufnahme des "pictorial turn" hierzulande sollte bloß vertuschen, daß die disziplinäre institutionelle Kunstgeschichte den "linguistic turn" nicht mitbekommen hat. So einfach geht es nicht, also wende ich mich dem Symposion und einigen seiner großen Begriffe zu, in denen sich zum Teil der Streit um die beiden "turns" verbirgt.

An erster Stelle stand die Rede über die "Kulturindustrie" und ihre "Totalitarität". Astrid Wege (Texte zur Kunst) versuchte tapfer - verstrickte sich dann aber doch in unstrukturiertem Gehaspel -, Benjamin Buchloh (October) zu erklären, daß seine Idee von einer allumfassenden, alles vereinnahmenden Kulturindustrie nichts weiter sei als ein Kulturpessimismus, der die Macht dieser Industrie bestätigt. Weges Versuch, einem Generationenkonflikt zu begegnen, der durch den Altersunterschied und den unterschiedlichen Graden der Professionalität zwischen beiden Gruppierungen angelegt schien, indem sie am Ende ihrers Beitrags kritische Fragen an Buchloh richtete, wurde zum Schaden der gesamten Veranstaltung von Isabelle Graw (Texte zur Kunst) gestoppt. In koketter Mädchenmanier lächelte Graw Weges Ansatz einer kritischen Positionierung mit dem Begriff "Vatermord" weg. Damit öffnete sie dem Paternalismus von Buchloh und von T.J. Clark (October) Tür und Tor; Buchloh, Rosalind Krauss und T.J. Clark wurden in ihrer machtvolleren Position bestätigt und waren einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Positionen enthoben. Es gab keine Möglichkeit mehr, darüber zu diskutieren, wie T.J. Clarks Analyse einer Totalitarität nicht nur der Kulturindustrie ("cultural-industry-information-superhighway"), sondern auch des Spätkapitalismus mit seinen globalisierten Kapitalmärkten mit einer Mikropolitik zusammengehen kann. Die Analyse und Kritik von Gesellschaft bleibt notwendig, um mikropolitisch noch handlungsfähig zu bleiben. Darüber zu diskutieren, war auch deshalb nicht möglich, weil die Vertreterinnen und Vertreter von Texte zur Kunst politisch und intellektuell zu leichtgewichtig waren, um der linkspolitischen Bildung von T.J. Clark etwas entgegenzusetzen.

Statt dessen wurden sie vorgeführt und ließen sich vorführen. So mußte sich Sabeth Buchmann von Rosalind Krauss sagen lassen, daß ihre beschreibende Analyse des aktuellen Ausstellungswesen und der Projekte, in denen Künstlerinnen als Kuratorinnen agierten, präzise ihre, Krauss', These vom "Tod der Fachkenntnis und der Kunstfertigkeit" beschreibt. Daß Krauss' "Deskilling" auf eine ganz solide, altbackene Kennerschaft rekurriert und völlig unberücksichtig läßt, daß heutige Professionalisierung noch weit mehr Kenntnisse und vor allem neue Fähigkeiten verlangt und produziert als beispielsweise "die Handschrift eines Künstlers zu klassifizieren", war gar nicht möglich zu diskutieren, weil die Autorität sich ihren Platz verschafft hatte.

Ebenso unhinterfragt blieb die Berechtigung ihrer Forderung nach Fachkenntnissen, Sachverstand und Kunstfertigkeiten. Isabelle Graw konnte lässig von Krauss ins Aus gestellt werden, weil überdeutlich wurde, daß Graw zwar über eine Fotografin (Zo' Leonard) redet, von Fotogeschichte aber keine Ahnung hat. So kabbelte man sich um den schwarzen Rahmen in Kunst- und Modefotografie, statt Graws biographischen Ansatz und ihre Auseinandersetzung mit der Identitätspolitik der Cultural Studies mit Krauss' Forderung nach einem "devacuate the subject" und einer "reclaiming the subjectivity" zu konfrontieren. Nicht nur, daß es nicht möglich war, eine Debatte über Kennerschaft zu führen, auch der von der October-Gruppe propagierte Qualitäts- und Kunstbegriff war nicht Gegenstand der Auseinandersetzung. Wie auch - schien es doch so, als teile Texte zur Kunst diese Auffassungen.

Man staunte nicht schlecht, mit welch konservativem und hehrem Begriff von "Kunst" die Profis operierten. Benjamin Buchloh empörte sich darüber, daß der große Künstler Jackson Pollock in eine Waagschale mit dem massenkulturellen Phänomen Elvis Presley geworfen wurde. Bizarr wurde der Streit um Kompetenz, Kunst und Qualität, als sich Buchloh und Diedrich Diederichsen (hier eher in der Rolle als Autor für Texte zur Kunst) einem Diapositiv einer Arbeit von Jeff Wall entgegenbeugten und mit altherkömmlichen kunsthistorischen Methoden der Ikonologie versuchten, dem Bild Herr zu werden. Während Buchloh in radikaler Unkenntnis der aktuellen Zeichen in dem Bild "The Guitar" versuchte, seine These zu belegen, Jeff Wall zehre von einer überlebten Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, versuchte der Pophistoriker, dem Kunstkritiker beizubringen, daß Wall sein ikonographisches Handwerk beherrsche und die aktuellen Versatz- und Verweisstücke dem Historismus entgegenwirken würden, die Message des Bildes mitnichten mit dem Hinweis auf Manet erschöpft sei.

Diederichsens Beitrag zum "Dissidenz-Begriff" in der Poptheorie befaßte sich mit der frühen HipHop-Collage, nicht als Beispiel für ein altlinkes pathetisches Abweichlertum, sondern mit einem weit realistischeren Sowohl-drinnen-als-auch-draußen-Möglichkeitsbegriff. Keine Rede war allerdings davon, daß er dabei auch über eine sexistische Männerkultur sprach. Nicht daß dies so ist, gilt es zu skandalisieren, das haben die Frauen innerhalb dieser Kultur selbst schon getan. Da diese Veranstaltung sich mit "linker Kunstkritik" befassen wollte, muß nach ihrer Aktualität gefragt werden, wenn diese Bilder des Männlichen nicht mal erwähnt werden, geschweige denn in der Auseinandersetzung mit einem Dissidenz-Begriff gebraucht werden.

Gemessen daran, daß Texte zur Kunst den Eindruck erwecken wollte, die Vertreter und Vertreterinnen der Zeitschrift hätte den Feminismus neu erfunden, war es eine schlichte Bankrotterklärung, daß - abgesehen von einer einzigen Veranstaltung zur feministischen Theorie - die Verbindung zwischen den diskutierten Themen und der Geschlechterfrage nicht hergestellt werden konnte. Und es war mehr als peinlich, zu sehen, wie zögerlich, abfällig und desinteressiert sich die Männer auf dem Podium gerierten, als es dann um "Feminismus, Formalismus und Identitätspolitik" ging.

Nicht, daß die Vorträge so überragend waren; nein, es war schlicht die Demonstration von Desinteresse, was - umgekehrt - die Frage aufwarf, ob die Beschäftigung mit diesen ewig Gestrigen noch lohnt. So mußte sich Susanne von Falkenhausen (Humboldt Universität) als Moderatorin abmühen, damit die Diskussion nicht plötzlich im Schweigen endet. Und was sollte das Ganze? Nun, die Gäste konnten beruhigt nach Hause fahren, um weiterhin deutschsprachige Publikationen zu ignorieren, denn: Sie lohnen nicht.

So sieht Kommensalismus in der Kunstkritik aus. "Links" und "kritisch" ist daran nichts, und über Methoden wollen wir gar nicht reden. Brauchen wir auch nicht, weil es auf dem Symposion eh nicht Thema war.