Klaus Farin

Nur ein Drittel der Skins ist rechtsradikal

Klaus Farin, Jahrgang 1958, gilt als der beste Kenner der Skinhead-Szene. Nachdem er bereits in den vergangenen Jahren mehrere Bücher zum Thema publiziert hat, legte er jetzt ein umfangreiches Standardwerk vor: "Die Skins - Mythos und Realität" (Ch. Links Verlag, DM 39,90). Dazu hat er unter anderem eine Umfrage in der Szene durchgeführt, an der sich 400 Glatzen beteiligt haben. Die Ergebnisse sind überraschend.

Eine Umfrage, die Sie für Ihr aktuelles Buch "Die Skins - Mythos und Realität" gemacht haben, hat Überraschendes zu Tage gefördert...

Das Wahlverhalten der Skinheads ist in der Tat überraschend: Die bei den Skins beliebteste Partei ist mit 23,9 Prozent die PDS. Knapp dahinter liegen die SPD mit 20 Prozent und die Bündnisgrünen mit 17 Prozent. Die CDU schafft die 5-Prozent-Hürde mit Mühe und Not. Zwar verändert sich die Reihenfolge etwas, wenn man die Wahlergebnisse der verschiedenen rechtsradikalen Parteien addiert: DVU, NPD, Rep und Nationalsozialisten bringen es zusammen auf 27 Prozent und verweisen damit die PDS auf Platz zwei. Dennoch widerspricht es dem stereotypen Bild von "den" Skins. Meine These ist: Die Beweggründe, Skin zu werden, gehen eher auf eine radikale Protesthaltung zuurück als auf eine klare politische Ausrichtung. Die Szene ist äußerst vielfältig, und das Spektrum reicht vom Nazi-Skin und Oi-Skin bis zu den Redskins und SHARP-Skins, die Rassismus eindeutig ablehnen.

Das scheint mir doch eine grobe Verharmlosung zu sein. Könnte man das Umfrageergebnis nicht auch umgekehrt deuten: Die Tatsache, daß so viele Skins die PDS wählen wollen, spricht nicht für die Skins - sondern gegen die PDS?

Die Stimmen für die PDS kommen aus zwei Richtungen: Da sind einerseits die linken Skins, vor allem aus dem Westen, und da sind Protestwähler aus dem Osten, die sagen: Das ist die einzige ostdeutsche Partei. In der letzten Gruppe gibt es natürlich auch rechte oder rechtsradikale Motive. Dieses Problem hat aber nicht nur die PDS.

Die von Ihnen aufgeführten "linken" Skins sind nach den Erkenntnissen von Bernd Wagner eine verschwindende Minderheit, jedenfalls im Osten. Der Kriminalist Wagner beobachtet die Szene seit 15 Jahren, zuerst für das DDR-Innenministerium, dann für das Gemeinsame LKA der Ost-Bundesländer. Er sagt: 50 Prozent der Ost-Skins sind Nazis, 50 Prozent Oi-Skins. Die ersten sind für Deutschland, Blut und Boden, die letzteren für Deutschland, Blut und Bier.

Wagner schätze ich sehr, aber er ist nicht auf dem aktuellen Stand. Seit er Ende 1991 aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist, fehlen ihm die Berichte aus erster Hand. So erwähnt er in seinen letzten Arbeiten Fanzines, die es seit 1993 nicht mehr gibt, verwechselt rechte und anti-rassistische Bands. Die ostdeutsche Skinhead-Szene ist in ihrer Gesamtheit inzwischen genauso ausdifferenziert wie die im Westen.

In Ihrem Buch dokumentieren Sie Originaltexte von Bands und Underground-Zeitungen - gerade ein einziger ist dabei, den man mit gutem Willen als Aufruf zur Toleranz lesen kann.

Das sagt viel über Ihr Leseverhalten, wenig über die tatsächlich dokumentierten Texte. Aber wenn es in dem Buch um Rechtsrock geht, da wäre es unlauter gewesen, Beispiele von linken Skin-Bands zu bringen.

Ihr Co-Autor Heinz Hachel hält Ihnen in einem Aufsatz entgegen: "Allen vergangenheitsklitternden Beschönigungen zum Trotz: Den nicht-rassistischen Ur-Skin hat es als vorherrschenden Typus niemals gegeben. Dieses Verfahren verstellt den Blick auf den inneren Zusammenhang zwischen proletarisch-romantischem und nationalistischem Protest."

Das bezieht sich auf die Anfänge der Skins in England, die ich im übrigen ganz ähnlich sehe. Das war Ende der sechziger Jahre, und die Skins waren weder antirassistisch noch rassistisch, es war eine Männerkultur mit allen häßlichen Begleiterscheinungen, die Männerkultur in der Regel hat.

Nicht rassistisch? Ihrem Buch konnte man entnehmen, daß ein Viertel der pakistanischen Studenten in London 1969 von Skinheads verprügelt worden sind.

Stimmt. Aber das Dominante in dieser Szene war damals die Gewalt, die sich undifferenziert entlud. Pakistanis waren nur eine Zielgruppe unter mehreren. Viele Skins haben das Pakistani-Bashing nicht mitgemacht, und umgekehrt: Viele Nicht-Skins haben sich daran beteiligt, wurden aber gerne als "Skins" registriert.

Anderes Beispiel, das ich ebenfalls aus Ihrem Buch - by the way: Das Buch ist viel besser als Ihre Thesen - entnehme: Als die Skin-Band Sham 69 sich Ende der siebziger Jahre plötzlich zur Linken bekannte, wurde das von ihren Fans mit einem Aufstand beantwortet - die Auftritte endeten mit Attacken auf die Musiker, die Band mußte abtreten.

Das war zehn Jahre nach den Anfängen, die Szenerie hatte sich geändert. 1969 hatten die Skins noch keine weißen Stars - sie mußten nolens volens die schwarzen Idole des Reggae und des Ska verehren, deren Musik die Skin-Bewegung hervorgebracht hatte. Dieses Gespaltensein verhinderte Rassismus als dominante Erscheinung in den Skin-Anfängen. Zehn Jahre später gab es weiße Stars.

Über England und die Anfänge könnte man lange debattieren. Aber als die Bewegung in die BRD überschwappt - spätestens dann ist sie doch rechtsradikal überformt, oder?

In gewissem Sinne stimmt das: Nazi-Bands, die auf der Insel nur mäßigen Erfolg hatten, kamen in der BRD groß raus, zum Beispiel die Screwdriver. Und wenn in englischen Texten der Begriff "working class" auftauchte, so wurde er bei der Übersetzung durch deutsche Skins immer unübersetzt gelassen - mit Arbeiterklasse hatte man nichts am Hut, das klang zu links. Aber diese Entwicklung kam auch daher, daß die deutsche Linke von Anfang an auf Abgrenzung aus war. Ein Linker, der zu den Skinheads gehen wollte, wurde von seinem politischen Umfeld stigmatisiert. Deshalb waren es nur wenige. Umgekehrt wirkte genau das auf viele Rechte anziehend.

Der Bezug auf die Arbeiterschaft muß nicht unbedingt links sein. Wenn das Ziel die Gleichberechtigung des Arbeiters als Volksgenosse ist - nun, das hatte auch die SA.

Richtig, daß die Arbeiterklasse etwas Linkes sei, gehört seit Jahrzehnten zur linken Mystik. Ich behaupte ja nicht, daß die Glatzen wegen ihres "working class"-Stolzes Linke seien. Ich behaupte nur, sie sind nicht unbedingt faschistisch. Das reale Kräfteverhältnis sieht so aus: Ein Drittel rechtsradikal, ein Drittel explizit antirassistisch, ein Drittel "Unpolitischer" dazwischen.

"Ich bin unpolitisch" - das war doch auch die Standardausrede der Pogromisten von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen?

Richtig. Aber gleichzeitig ist es ein durchgängiges Lebensgefühl der Jugend. Dieses Bekenntnis hört man in Schulklassen, in Techno-Discos - das hat nichts mit Rechts zu tun, sondern ist Ausdruck einer tiefen Enttäuschung über die Blockade positiver Veränderungen durch die Politiker jeder Couleur. Die Skins geben dieser Politikfeindlichkeit einen bestimmten Ausdruck, aber sie haben sie nicht geschaffen. Deswegen lehnen sie übrigens auch dann Politiker ab, wenn sie aus der Nazi-Ecke kommen. Wäre Kühnen Skinhead gewesen, hätte er tollen Erfolg haben können - so, wie er war, hatte er keine Chance. Mit Theoriebildung und Anzugträgern wollen die meisten Skins nichts zu tun haben.

Ein antibürgerlicher und antiintellektueller Affekt - typisch für die bündische Jugendbewegung, die den Nazis den Weg ebnete...

...und für die kommunistische Jugend der Weimarer Zeit. Dort findet man dieselbe Körpersprache, dieselbe Gewaltbereitschaft, auch das Prinzip von Befehl und Gehorsam.

...was gegen diese kommunistischen Jugendverbände spricht, aber nicht für die Skin-Vorläufer vom Wandervogel.

Jedenfalls wird die Skin-Szene immer differenzierter. Die Glatzen sind ein Spiegel der Gesellschaft: 1992/93 rückten sie im Zuge der Asyldebatte nach rechts. Und jetzt? Die Pioniere werden älter, und die Nachwachsenden unterliegen neuen gesellschaftlichen und musikalischen Einflüssen. Mehr Studenten und Oberschüler gehören zur Szene als früher.

Die Glatzen waren nicht das Spiegelbild, sondern die Sturmtruppen der Rechtsverschiebung in den neunziger Jahren.

Aber die Theoretiker der Rechtsverschiebung und die Nazi-Strategen waren keine Skinheads. Außerdem lassen sich viele die Haare scheren, ohne Skin sein zu wollen. Geht man heute in eine Techno-Disco, sieht man Glatzen, Bomberjacken, Springerstiefel. Das Feindbild Skin ist so bequem. Jedenfalls: Die Verzahnung zwischen Subkultur und Nazis hat sich in den letzten Jahren gelöst.

Bernd Wagner behauptet das Gegenteil: Daß das Konzept der Rechten "Nazi-Party statt Nazi-Partei" voll eingeschlagen hat. In vielen Klein- und Mittelstädten der neuen Bundesländern beherrschen die Rechtsradikalen die Schulen und Jugendclubs.

Die These von der rechtsradikalen Dominanz in der Ost-Jugend ist Unsinn. Die Punk-Szene im Osten ist nicht nur stärker als im Westen, sondern auch stärker als die Skins. In jeder Stadt gibt es eine große HipHop-Gemeinde. Die Verschmelzung zwischen den Nazis und ihrem Umfeld, die Wagner vielleicht meint, findet statt - aber sie betrifft nur ein relativ kleines Segment der Jugend. Ein Beispiel: Wenn ich bei Vorträgen vor Schulklassen vor einigen Jahren ein Video von Screwdriver gezeigt habe, gab es viel Zustimmung, rassistische Sprüche und so. Heute finden das Video die meisten Schüler peinlich. Das Image der Rechten bei den Schülern ist wesentlich schlechter geworden.

Das Beispiel Schwedt spricht dagegen.

Das Beispiel Schwedt sprach dagegen. Anfang 1997 war ich dort in einem rechten Jugendclub eingeladen. Zu meiner Überraschung tauchten auch drei, vier Linke auf und diskutierten mit - das wäre vor zwei drei Jahren nicht möglich gewesen. Alle sagen, die Gewalt in Schwedt hat abgenommen...

...weil den Nazis die Gegner ausgegangen sind. Ganze Abiturjahrgänge sind doch aus Schwedt weggezogen, weil sie keinen Bock mehr auf Browntown hatten.

Maßgeblich für das Nachlassen der Gewalt ist eher, daß die Rechten älter geworden sind, zum Teil im Knast sitzen oder bei der Bundeswehr sind. Ich will nicht bestreiten, daß Schwedt kraß ist - vor allem durch die katastrophale Politik, die der Bürgermeister dort macht und die im wesentlichen darin besteht, Rechte zu verharmlosen und das Aufkommen alternativer, bunter Jugendkultur zu verhindern. Aber Schwedt ist nicht überall.