Razzia statt Kontaktanzeige

Berliner Landeskriminalamt auf der Suche nach "gleichgeschlechtlichen" Antifas

Das Berliner Landeskriminalamt sucht Kontakte, und zwar zu und von Antifas. Per Großrazzia wollten Dutzende von Beamten am vergangenen Mittwoch ihren Einblick in die linke Szene vertiefen: Insgesamt sieben Wohnungen in Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Neukölln bekamen am frühen Morgen unerwünschten Besuch. Die Behörden werfen den Betroffenen "öffentliche Aufforderung zu Straftaten" sowie "gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung" vor. Sie sollen "täuschend ähnliche Aufkleber mit falschem Namen" - dem Aufdruck "Dimitroffstraße" - sowie DIN-A-7-Spuckies mit der Aufschrift "NPD-Kongreß in Passau angreifen" hergestellt bzw. verbreitet haben. Die zu DDR-Zeiten nach dem bulgarischen Kommunisten benannte Straße am Prenzlauer Berg war vor über einem Jahr in Danziger Straße umbenannt worden.

Im Verlauf der Durchsuchungen warfen einzelne Beamte Bücher aus den Regalen, prüften selbst T-Shirts und Matratzen. Das Bett eines 14jährigen Mädchens wurde, noch während es darin schlief, durchwühlt. In einer Wohngemeinschaft in Friedrichshain stürmte ein Einsatzkommando mit gezogener Waffe durch die Tür, verwüstete ein Zimmer und schlug die Spüle kaputt. Alle Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt. Einem Gast drohten die Beamten: "Wenn du wegläufst, machen wir von der Schußwaffe Gebrauch!"

Verhältnismäßig viel Aufsehen also für Aufkleber, die man in jeder Kreuzberger "Volxküche" finden kann. Eher dürfte das Interesse dem Ausforschen von linken Strukturen in Berlin gelten. "Es geht um personelle Zusammenhänge", so ein Beamter während der Polizeiaktion. Und auch der richterliche Durchsuchungsbeschluß fordert das "Auffinden von Beweismitteln, insbesondere persönlicher Unterlagen und Gegenstände, insbesondere Korrespondenz und Lichtbildern, die Aufschluß über den weiteren Bekanntenkreis der Beschuldigten und", natürlich, "somit über weitere Tatbeteiligte geben". Das Klassenziel kann als erreicht angesehen werden. Beschlagnahmt wurden Hunderte von Adressen, darunter auch Telefonnummern von Abgeordneten von PDS und Bündnis 90/Die Grünen sowie von Journalisten, nicht zuletzt der Jungle World. Computer-Experten spiegelten die Festplatten von mehreren Rechnern, selbst Arbeits- und Beziehungsverhältnisse ("Also, die sind ja wohl gleichgeschlechtlich!") leuchteten die Ermittler sorgfältig aus.

In dieser Logik erklärt sich, weshalb der Staatsschutz am Mittwoch auch die Wohnungen von mehreren Personen aufsuchte, die nicht einmal als Beschuldigte angegeben wurden. Ihr einziges Vergehen war es, bei einer früheren Durchsuchung als Gast anwesend gewesen zu sein. Besuch bekamen daher auch zwei sogenannte "Zeugen" in Kyritz (Brandenburg) und Göttingen. Bei einem weiteren "Zeugen" brachen die Beamten in ihrem Befragungseifer gleich die Tür auf. Durchsucht wurde nicht zuletzt bei einem Untermieter. Als Begründung mußte herhalten, daß er den Beamten den Zutritt zu seinem Zimmer mit Verweis auf seinen Untermietvertrag verwehrt und diese dabei als "Fittiche" bezeichnet hatte. Ermittlungsinteresse scheint auch ohne richterliche Anordnung bereits zuvor bestanden zu haben: Der Einsatzleiter wußte auf Anfrage eines Kollegen sogar den zweiten (!) Vornamen der Mutter des Bewohners.

Eine Betroffene gegenüber Jungle World: "Diese Durchsuchung war die Folge einer Razzia vor vier Wochen, bei der die Polizei eine Handvoll Aufkleber in einem unverschlossenen Kellerraum gefunden hat. Alle damals Anwesenden sind inzwischen selbst Opfer von Haussuchungen geworden. Bei dem Adreßvorrat, den die Polizei dieses Mal beschlagnahmt hat, dürfen wir gespannt sein, was uns in einem Monat erwartet." Es gehe offenbar darum, Aktivisten auszuforschen und einzuschüchtern. Mittlerweile würden am Prenzlauer Berg selbst Jugendliche mit defektem Fahrradlicht von der Polizei nach dem Treffpunkt ihrer Clique befragt und ähnliches.

Ein vergleichbares Vorgehen hatten die Staatsschutzbehörden bereits 1991 in Göttingen an den Tag gelegt. Damals waren mehrere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Aktive der Autonomen Antifa (M) eingeleitet worden. Zunächst war ihnen die Beteiligung an 52 Anschlägen im Zeitraum zwischen 1981 bis 1991 zur Last gelegt worden. Mit dem Material, das die Beamten im Verlauf der mehrjährigen Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a angesammelt hatten, konstruierten sie eine Anklage, in der allerdings von den ursprünglich erhobenen Vorwürfen keine Rede mehr war. Das Verfahren wurde 1996 eingestellt, die politische Arbeit der Gruppe aber war über mehrere Jahre blockiert gewesen.