Vorwärts und nicht vergessen

Die Bundeswehr bleibt attraktiv für alte und junge NazisTradition und Modernisierung garantieren:

"Tradition verpflichtet. Sie kann erheben und stolz machen, Tradition kann auch bedrücken. Insbesondere dann, wenn sie so schwergewichtig ist, daß wir fürchten müssen, ihr nicht gerecht zu werden." Mit diesen Sätzen eröffnete 1957 General Adolf Heusinger - seine Erfahrungen hatte er von 1939 bis 1944 im Generalstab des deutschen Heeres gesammelt - die Führungsakademie der Bundeswehr.

Wie wird man der Tradition der Wehrmacht gerecht? Sich öffentlich ungebrochen auf die Nazi-Wehrmacht zu beziehen, war nicht möglich. So fand die Politik, angetrieben von "Bundeswehrreformern" wie Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, im Attentat auf Hitler am

20. Juli 1944 den idealen Bezugspunkt offizieller Traditionspflege. Die von der deutschnationalen Sorge ums Vaterland angetriebene Gruppe um den Oberst im Generalstab Graf von Stauffenberg bot die nötige Distanz zu Hitler, ohne

den Bezug auf deutsche Militärtraditionen und -tugenden aufgeben zu müssen. Doch durchsetzbar war eine "einseitige Parteinahme für den 20. Juli in der Bundeswehr lange Zeit nicht", wie Kapitänleutnant Frank Ganseuer in der Ausgabe 7/1996 der Bundeswehrzeitschrift Truppenpraxis zugibt. Bei Gründung der Bundeswehr 1955 hielten die meisten Wehrmachtssoldaten, aus denen sich das Führungspersonal der Bundeswehr rekrutierte, den Putschversuch schlicht für Eidbruch, Verrat und Feigheit im Angesicht der Niederlage. In den Qualifizierungskriterien für die Einstellung in die Bundeswehr ab dem Dienstgrad Oberst einigte man sich auf einen Kompromiß: Der Offiziersanwärter müsse die Gewissensentscheidung der Männer des 20. Juli anerkennen, aber "diese Anerkenntnis wird er verbinden mit der Achtung vor den vielen anderen Soldaten, die im Gefühl der Pflicht ihr Leben bis zum Ende eingesetzt haben".

Gedeckt von solchen Aussagen, blühte die Traditionspflege mit Wehrmachtsfahnen und -liedern, Traditionszimmern und Kameradschaftstreffen mit Ehemaligen. 1965 versuchte das Bundesverteidigungsministerium mit einem Erlaß "Bundeswehr und Tradition" das ungeregelte Treiben in den Kasernen in ordentliche Bahnen zu lenken. Der Erlaß hält die zeitübergreifenden soldatischen Tugenden "Unerschrockenheit, Entschlußfreude, Mut und Tapferkeit vor dem Feind" ebenso hoch wie das "nationale Bewußtsein" als "Triebkraft, die sich seit den früheren Anfängen in der europäischen Geschichte entfaltet" habe. Es findet sich auch ein positiver Bezug auf den 20. Juli, aber nicht ohne zu betonen: "Widerstand kann und darf jedoch nicht zum Prinzip werden." Das Mitführen von Fahnen der Wehrmacht durch die Bundeswehr wird ausdrücklich erlaubt, auch solle niemand von der "Pflege kameradschaftlicher Beziehungen zu ehemaligen Soldaten" ausgeschlossen werden, "weder örtliche Kameradschafts- und Traditionsvereine der ehemaligen Wehrmacht, noch einzelne ehemalige Soldaten, die nicht organisiert sind".

Ganz dem Erlaß folgend organisierte 1976 das Aufklärungsgeschwader "Immelmann" in seinem Fliegerhorst im badischen Bremgarten ein Traditionstreffen mit Ehemaligen des gleichnamigen Sturzkampfgeschwaders der Wehrmacht. Mit dabei der ehemalige Stukaflieger Hans-Ulrich Rudel, der sich 1945 nach Argentinien abgesetzt hatte und weiterhin ein bekennender Nazi war: "Ich bin einer der wenigen, die standhaft geblieben sind".

Es kam zum Skandal. Zwei Generäle, die das Treffen öffentlich verteidigt hatten, mußten gehen. So etwas sollte nicht noch einmal vorkommen: SPD-Verteidigungminister Apel ließ einen neue Traditionserlaß erarbeiten. Die 1982 in Kraft gesetzten Richtlinien sind noch heute gültig. Zwar halten sie mit einer feinsinnigen Unterscheidung zwischen Brauchtum und Tradition ein Hintertürchen für Wehrmachtsrituale offen: Brauchtum müsse nicht immer demokratisch legitimiert sein. Handele es sich dabei doch um "Gewohnheiten und Förmlichkeiten", die sich meist vor langer Zeit herausgebildet hätten und zur "Verhaltenssicherheit im Umgang miteinander" beitragen würden. Aber immerhin: Erstmals wurden dienstliche Kontakte zu Nachfolgeorganisationen der Waffen-SS verboten und es heißt: "Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen."

Wirklich durchgesetzt wurde diese offizielle Linie nie. Der Kontakt zu den alten Kameraden wird weiter gepflegt, und in Traditionszimmern wird den Leistungen der Wehrmacht gehuldigt. In der Franz-Josef-Strauß-Kaserne im bayerischen Altenstadt ließ der inzwischen abgelöste Kommandeur noch bis in dieses Jahr an jedem 20. Mai die Eroberung Kretas durch deutsche Fallschirmjäger feiern. Trotz Protesten ist die Bundeswehr alljährlich mit von der Partie, wenn sich die "Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger" trifft. In Mainz kann auch dieses Jahr der Verband deutscher Soldaten, der größte Dachverband von Soldaten aller Waffengattungen der Wehrmacht, seine Weihnachtsfeier in Räumen der Bundeswehr abhalten. 1983 übernahm das in Büchel in der Eifel stationierte Jagdbombergeschwader der Bundeswehr die Patenschaft für das Jagdbombergeschwader 52 der Wehrmacht. Das Bundeswehrgeschwader präsentiert, wie die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer Anfang Dezember diesen Jahres feststellte, Besuchern in einem Traditionsraum bis heute stolz Medaillen, Orden und Abzeichen seines Wehrmachtspaten und feiert dessen Leistungen. In einer Informationsschrift "für Gäste und Soldaten" heißt es: "Mit über 10 000 Luftsiegen, die im Frankreichfeldzug, in der 'Schlacht um England', auf dem Balkan und in Rußland errungen wurden, gilt das JG 52 als erfolgreichster Jagdverband der Welt." Ähnliche Erkenntnisse vermittelt die Berliner General-Steinhoff-Kaserne an Tagen der offenen Tür in ihren Traditionsräumen. Ein Zimmer ist dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Nüchtern wird die herausragende Bedeutung der Panzerwaffe für den Blitzkrieg hervorgehoben, kein Wort von der Shoah, kein Wort von Angriffskrieg. Das einzige, was wohl an die Schrecken des Krieges erinnern soll, ist ein Foto von deutschen Kriegsgefangenen in Moskau.

Der Soldat "bedarf der Sichtbarkeit seiner Geschichte und muß in ihr verwurzelt sein, denn Geschichte begründet Identität und trägt zur Orientierung bei", schreibt Kapitän zur See Dieter Stockfisch, Referatsleiter im Führungsstab der Marine des Verteidigungsministeriums, im Juni 1996 in Soldat und Technik. Die Traditionspflege in der Bundeswehr vor Augen, kann man sich ausmalen, welche Identität und Orientierung da begründet wird. Für die Zukunft genügt das Stockfisch aber noch nicht: "Es ist kein Schönheitsfehler, sondern ein gravierender Mangel an Zukunftsfähigkeit eines Landes, wenn nachwachsende Generationen junger Deutscher ständig mit der pädagogisch-penetranten Mahnung, 'damit sich solche Verbrechen nicht wiederholen können' und dem Vorwurf der Kollektivschuld niedergebeugt werden."

An solche Traditionspflege von oben und unten kann ein offener Nazi wie Roeder problemlos anknüpfen - nicht nur bei der Verteidigung der Ehre der Wehrmachtssoldaten, auch bei seinen Germanisierungplänen im Osten. Schon die Benennung einer Reihe von Kasernen weist in die rechte Richtung: Deutschordenkaserne (Bad Mergentheim), Pommernkaserne (Wolfhagen und Fürstenau), Ostpreußenkaserne (Homberg), Ostmarkkaserne (Weiden). Und in der Bundeswehrzeitschrift Information für die Truppe heißt es im Juli 1993, "Königsberg, derzeit Kaliningrad benannt", sei völlig heruntergewirtschaftet, so daß ein Zustrom Rußlanddeutscher die "für den Aufbau gefährliche Lücke" schließen müsse. Folgerichtig werden in der Bundeswehr "für die Stadt Königsberg" Spenden gesammelt. Eine Fortbildungsveranstaltung mit dem Titel "Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg" paßt gut in diese Reihe. Durchaus glaubhaft, daß vor diesem Hintergrund Roeders Vortrag von den lauschenden Bundeswehroffizieren nicht als ungewöhnlich wahrgenommen wurde.

Die Bundeswehr als militärische Organisation im allgemeinen und mit ihrer Wehrmachtstradition im speziellen kann ihre Attraktivität für Rechtsextreme gar nicht loswerden. Doch was die Bundeswehr neuerdings für stramme Rechte im wehrfähigen Alter besonders anziehend macht, sind weniger die traditionellen Bezüge auf Hitlers Wehrmacht, sondern die Modernisierung der Bundeswehr zu einer Streitmacht, die weltweit einsatzfähig ist. Noch 1992 erklärten Nazis, die Truppe sei ihnen zu lasch, und trafen sich da mit der Einschätzung des damaligen Generalinspekteurs Klaus Naumann. Er kritisierte die "Weinerlichkeit und Verzagtheit" in der Truppe, als diese zur Unterstützung der Alliierten im zweiten Golfkrieg in der Türkei und dem Mittelmeer eingesetzt war. Das hat sich inzwischen geändert. Es wird härter und "kriegsnäher" ausgebildet, das Thema Tod und Verwundung taucht in den Ausbildungsprogrammen verstärkt auf. "Berufsbild und Selbstverständnis der Soldaten" hätten sich geändert, heißt es auf den Internet-Seiten der Bundeswehr. "Der sicherheitspolitische Wandel hat auch geistig-moralische Konsequenzen für das soldatische Selbstverständnis. ( ...) Er muß kämpfen können."

Als Nebeneffekt dieses neuen Kampfgeistes wurde die Bundeswehr wieder attraktiver bei wehrsportbegeisterten Jungnazis. Der eigentliche Zweck dieser "zweiten Neugeburt der Bundeswehr" (Rühe) ist in den verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 formuliert. Die "vitalen Sicherheitsinteressen" Deutschlands - dazu gehören auch die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels" und der "strategische Zugang zu Märkten und Rohstoffen" müßten künftig "im erweiterten geographischen Umfeld", also weltweit verteidigt werden. Auch die Führungsakademie muß ihren Beitrag zur Neugeburt, zur Vorbereitung auf neue, altbekannte Aufgaben leisten. 1996 verlangte Volker Rühe von der Kaderschmiede, "in ihrer Lehre zu begleiten und zu antizipieren, was auf der internationalen Tagesordnung steht und was unsere Streitkräfte heute und morgen ausmacht." Es wird sich zeigen, ob die Eliteschule der Bundeswehr diesem Auftrag mit der Einladung an Manfred Roeder gerecht geworden ist.