Zwangsjacke oder elektrischer Stuhl

Noch bevor in den USA der Prozeß gegen den sogenannten Una-Bomber beginnt, wird um das mögliche Strafmaß gerungen

Eine psychische Untersuchung kommt überhaupt nicht in Frage für ihn. Schließlich sei er ja nicht verrückt. Der "Una-Bomber" Theodore Kaczynski sitzt seit April 1996 in einer Zelle und schweigt. Er hatte es siebzehn Jahre lang wortlos mit Briefbomben gegen Wissenschaftler, Offizielle von Fluggesellschaften und Besitzer von Computerläden versucht. Aber die drei Toten und 23 Verletzten bewirkten keine Weltrevolution.

Dummerweise hatte ja auch niemand im Lande gewußt, warum die Post überhaupt Unglück brachte. Dann erzwang der Unbeirrte im September 1995 in der Washington Post den Abdruck seines Manifestes. 35 000 Worte umfassend richtet es sich gegen die industrielle Revolution und plädiert für die Rückkehr zur wilden Natur. Darin hatte Kaczynski alles Notwendige gesagt. Jetzt sollen sich gefälligst die anderen einen Kopf machen. Schließlich verfügten sie über genug Computer und Psychologen. Diese würden ihn nun gerne endlich mal ausgiebig unter die Lupe nehmen. Doch gerade die Psychologen läßt der Una-Bomber nicht in seine Zelle.

Der von polnischen Einwanderern abstammende Theodore Kaczynski wuchs in Chicago unter einfachsten Verhältnissen auf. Seine herausragende Intelligenz verschaffte ihm ein Stipendium für das Harvard College und die Universität von Michigan, wo er seinen Doktortitel in Mathematik erhielt. Von 1967 bis 1969 lehrte er als Professor an der bekannten Universität in Berkeley, Kalifornien. Und stieg plötzlich aus. Was war der Auslöser - der Krieg in Vietnam oder die Visionen der Hippies? Keiner weiß es genau. Theodore gab keine Erklärung ab. Er war schon immer ein Einzelgänger und verzog sich nun ganz in die Einsamkeit. 25 Jahre lebte er in den Bergen von Montana in einer kleinen primitiven Hütte, las Bücher, bastelte Bomben und schrieb ein paar Briefe. Bis sein Bruder David nach dem Lesen des veröffentlichten Manifestes das FBI auf die heiße Spur brachte. David schienen die Formulierungen des Papiers den in Briefen geäußerten Ideen von Theodore allzu ähnlich. Ist der Una-Bomber nun ein verirrter Revolutionär oder ein revoltierender Irrer?

Die Verteidiger von Theodore Kaczynski wollen Psychologen als Sachverständige heranziehen. Wird er für psychisch krank erklärt, ist die Todesstrafe abgewehrt. Die Staatsanwaltschaft ist nicht so begeistert von dieser Idee. Sie will den Angeklagten für seine Terror-Taten mit dem Leben bezahlen sehen. Aber man würde psychologische Untersuchungen zulassen, wenn Kaczynski sein Einverständnis erklären würde. Der sagt jedoch nein, denn er hatte schon vor Jahren befürchtet, als Psychopath abgestempelt zu werden. Folglich will er sich nicht mit den ihm so verhaßten Psychologen einlassen. Auch die gehören schließlich zu den Feinden des wilden Natur-Menschen seiner Vision. Für die Verteidiger ist das ein Beweis seiner psychischen Krankheit.

Während derzeit die Geschworenen für den Prozeß ausgewählt werden, streiten sich Anklage, Verteidigung und Una-Bomber weiter um das Für und Wider eines Gutachtens. Sich als Hobby-Psychologen ereifernde Journalisten und journalistisch inspirierte Psychologen lassen sich von dem juristischen Aufschub nicht stören und füllen mit ihren Diagnosen und Wertungen bereits die US-amerikanischen Blätter. So wissen landesweit eigentlich alle schon, daß der Mann nicht normal sein kann. Anstelle des elektrischen Stuhls muß also die Zwangsjacke her und der Prozeß in eine Zirkusshow für einen armen Irren umgewandelt werden.

Es sind sowieso alle gegen den Angeklagten. Die Konservativen sind sich seiner Verrücktheit sicher, denn Kaczynski schrieb im Manifest: "Die Konservativen sind Narren: Sie jammern über den Verfall traditioneller Werte, doch unterstützen sie enthusiastisch technologischen Prozeß und ökonomisches Wachstum." Hingegen wissen die Linken einfach, daß er spinnt. Denn wie könne einer sonst von sich geben: "Eine der am weitesten verbreiteten Manifestationen von Verrücktheit in unserer Welt ist die Linke. Darunter besonders Sozialisten, Kollektivisten, politisch korrekte Typen, Feministinnen, Aktivisten für Schwule und Behinderte, Aktivisten für Tierrechte und ähnliche Leute." Juristen und Psychiater fassen sich gleichermaßen an die Stirn bei den Zeilen: "Um diese Botschaft mit der Chance eines nachhaltigen Eindrucks an die Öffentlichkeit zu bringen, mußten erst Menschen getötet werden."

Ist er nun "bad" oder "mad", fragen sich Interessierte. Wo hört Schlechtigkeit eigentlich auf und wo fängt der Wahnsinn an? Untersuchungen stellten fest, daß Serienkiller sich zumeist auf schwächere Opfer konzentrieren - Frauen (oftmals Prostituierte), Kinder und Senioren. Das sind in überwiegendem Maße sozial isolierte, einsame oder hilfsbedürftige Menschen. Kaczynskis Opfer waren jedoch ausnahmslos äußerst erfolgreiche Bürger. Das läßt die Forscher grübeln. Auffällig war auch, daß sich der Angeklagte nach dem Bombenanschlag in Oklahoma das erste Mal öffentlich äußerte. Überdurchschnittliche Eitelkeit vermutet man als Grund. Denn diese Bombe gegen ein Gebäude des FBI stammte nicht von ihm. Er wollte der Beste sein und bleiben. Einige nennen seinen merkwürdigen Lebenslauf die Odyssee eines wahnsinnigen Genies.

Angesichts des psychologischen Freispruch-Gerangels gehen die Geschäfte zwischen Verteidigung, Anklage und Regierung völlig unter. Die sollen nämlich seit langem einen Handel ausgeheckt haben. Bekennt sich der Angeklagte in allen Punkten schuldig, gibt es keine Todesstrafe. Zumindest soll das seinem Bruder David für den Tip versprochen worden sein. Damit der staatliche Schwur nicht - wie befürchtet - gebrochen wird, verfüttern die Verteidiger Kaczynskis außer der psychologischen Argumentation auch noch den Deal über das Urteil an die Medien. Die Anklage schlägt zurück, indem sie die Tagebücher von Kaczynski an die Öffentlichkeit bringt. Als Beweis für die Intelligenz und Kaltblütigkeit des Täters.