Ein roter Spaziergang zu Karl und Rosa

Die Luxemburg-Liebknecht-Ehrung ist einer der wenigen Gegenakzente im deutschen Winter.

"Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 11. Januar 1998: Am 15. Januar vor 79 Jahren wurden Rosa Luxemburg und KarlLiebknecht ermordet. Die PDS ruft auf, mit dem ehrenden Gedenken an Rosa und Karl ein unübersehbares Zeichen für Demokratie, gegen Neofaschismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, gegen Militarisierung und deutsches Großmachtstreben sowie Sozialabbau zu setzen."

Mit diesem Text, der auch in mehreren Berliner Zeitungen als Anzeige "geschaltet" wurde, wendet sich die PDS in diesem deutschen Winter an die Berlinerinnen und Berliner. Es ist ein Aufruf. Ein eindeutiges Pro, ohne Wenn und Aber, ohne Vereinnahmung und Ausgrenzung, ohne Treffpunkt und Marschroute. Auch an diesem 11. Januar werden wieder Zehntausende, vielleicht sogar hunderttausend den vertrauten Weg nach Friedrichsfelde gehen. Der US-amerikanische Fernsehsender CNN wird seine Leute (wie seit Jahren schon) an diesem Tag wieder in die Kälte schicken. Soviele Nachrichten aus Deutschland gibt es nach dem Mauerfall wahrlich nicht, die der Welt als Gegengewicht zu rechtsextremen und ausländerfeindlichen Exzessen aus unserem Land zur Kenntnis gelangen.

Auch acht Jahre nach dem Ende der DDR ist die Luxemburg/Liebknecht-Ehrung, zur nachhaltigen Verblüffung und zum Ärger vieler, der eindrucksvollste "rote Winterspaziergang" (Peter Hacks) im Lande der Dichter und Denker, der Richter und Henker.

Ich habe, seit ich erst laufen und dann denken lernte, bislang keinen Januarsonntag ausgelassen. Vor 15 oder 16 Jahren wurde ich schon einmal um eine Pro-Äußerung gebeten, einer Bitte, der ich, so wie heute, gerne nachgekommen bin. Es war ein Kommentar für meinen damaligen Arbeitgeber DT-64: "Warum ich am Sonntag zu Karl und Rosa gehe?" Den Radiohörern beantwortete ich die Frage etwa so: Um meinen Söhnen, die gerade im Schultertrage-Alter waren, nahezubringen, daß wir zum Kampf geboren sind, daß wir Karl Liebknecht verloren haben und Rosa Luxemburg die Hand reichen. Und daß sie Erich Honecker mal ganz von nahe sehen könnten. Der stehe nämlich die ganze Zeit mit seinen führenden Genossen auf der (geheizten - das sagte ich aber nicht im Kommentar) Tribüne - nur für uns und unsere Sache. Weiter versprach ich, gemeinsam mit meiner alten Freundin Tanja die alten Lieder, die auf der Strecke eingespielt wurden, laut und deutlich mitzusingen. Nicht Mitläufer, sondern Schrittmacher war ich also.

Am nächsten Sonntag wird, wie in den letzten Jahren auch, meine jüngste Tochter auf der Schulter sitzen. Bisky, Gysi, Modrow und die rote Pau stehen auf keiner Tribüne mehr. Sie eröffnen um 9 Uhr den Zug und erkundigen sich vielleicht sogar nach Ihrem Wohlbefinden. Nicht mehr die Kampfgruppen der Arbeiterklasse säumen den Zug, sondern General Schönbohms und Polizeichef Saberschinskys Männer und blondbezopfte Frauen lauern auf den autonomen Block und vielleicht eine PKK-Fahne. Ich bin einer von vielleicht hunderttausend an diesem Sonntag, für Karl und Rosa, für meine Kinder und für mich, und auch für die Nachricht von CNN, ARD, dpa und der Berliner Zeitung: "Zur traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Ehrung zog es soundsoviele Berliner wieder nach Friedrichsfelde..."

Hanno Harnisch ist seit 1990 Pressesprecher des PDS-Bundesvorstandes