Lo-li-ta

Die Rückkehr des David Hamilton- Sex im Kino

Annabel Leigh (Emma Griffiths-Malin) zieht ihr Röckchen aus. Und schon ist es lebenslang geschehen um den armen Humbert Humbert, für ewig Held des Vladimir-Nabokov-Romans "Lolita".

Annabel wird leider der Typhus erwischen, aber die Macke bleibt. Humbert, der 13jährige, hat sich unsterblich verliebt in den Nymphen-Typ. Jahrzehnte später findet er, mittlerweile Literatur-Professor, in Lolita, der Tochter seiner Vermieterin, die richtige Nachfolgerin für Annabel. Wie die Inhaberin der mädchenlichen Insignien (bezahnspangt und bekinderzopft) da auf dem sommerlichen Rasen liegt, fallen Humbert beinahe die Augen aus dem Kopf ("Lo-li-ta: Die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne!").

Mehr durch Zufall zu Lolitas alleinerziehendem Vater geworden - er heiratet ihre Mutter (Melanie Griffith), die stirbt, als sie nach der Entdeckung seiner schändlichen Tagebücher auf die Straße rennt und gleich totgefahren wird -, zieht Humbert mit der Tochter durchs Land. Lolita ist hingegen bald genervt von dem alten Mann - eine werkgetreue Adaption des Stoffes.

Seit Stanley Kubrick (1962) hat niemand mehr diesen Filmtitel benutzt. Und der Version von Regisseur Adrian Lyne ist es bisher nicht sonderlich gut gegangen. Keinen Verleih findet er in den USA - was kann ich denn dafür, wenn immer nur über Mißbrauch gequasselt wird, sagt Lyne. "Hätte ich deswegen auf den Film verzichten sollen?" - Gute Antwort.

Moniert werden die Kindersex-Beilagen des Films: Denn Lolita ist zwölf und ihre Darstellerin Dominique Swain 15 Jahre alt. So wird mittlerweile allerorten diskutiert, ob man 1) den Bestseller noch einmal und 2) mit diesem Personal wiederverwursten durfte. Ein US-Kritiker mußte sich nicht nur im Times Literary Supplement beschweren, daß man den Film in den USA nicht zu sehen bekomme, sondern auch in der taz. Dabei hatten die Macher vorgesorgt, indem sie extra ein Body-Double (Dawn Mauer) einstellten, damit es nicht zu anzüglichen Momenten zwischen Lolita-Dominique und Humbert-Jeremy Irons komme.

"Lolita" handelt nicht in erster Linie nicht von sexuellen Handlungen, sondern, wie andere Lyne-Filme ("9 1/2 Wochen", "Ein unmoralisches Angebot"), von der Unmöglichkeit von Beziehungen. Körperliche Berührungen fallen eher zufällig an. Deshalb zeigt Lyne auch nichts von Belang. Denn der Lebensinhalt zweier Menschen ist nun mal Langeweile. Mit direkten Folgen für die Fotografie: Lyne und sein Stab gebärden sich als David-Hamilton-Wiedergänger ("Bilitis").

Aber Vorsicht: Das dauert 137 Minuten! "Du siehst 100 Prozent besser aus, wenn ich dich nicht sehe", sagt Lolita. Ennio Morricone untermalt es orchestral. Drei Jahre später ist sie schwanger, verheiratet, und ein Hund ist auch da. Fazit: Die Kinder werden heute immer älter. Und Frauen immer jünger. Bleibt zu hoffen, daß sich hierzulande eine ähnliche Mikrodebatte um den Film entwickelt wie woanders. Schweinerei! Zeigen! Weg damit! Her damit! Sonst noch Probleme? Der stern: "Wie macht man aus einem pädophilen Romanhelden einen netten Kinderschänder fürs Kino, den jeder lieb hat?" Der Kritiker der Berliner Zeitung, deutlich angewidert: "Diesen Film müßte es nicht geben!"

Bevor die anderen es also tun, sei daher vorsorglich gefordert: Strafverschärfung! Nur wofür, wissen wir noch nicht.

"Lolita". USA 1995/1996. R: Adrian Lyne, D: Jeremy Irons, Melanie Griffith, Frank Langella, Dominique Swain, Suzanne Shepherd. Start: 1. Januar 1998