Der politische Islam ist die Barbarei

Die fällige Ablösung des Regimes macht nur Sinn, wenn als Alternative nicht Schlimmeres droht.

Politiker und Intellektuelle, die Algerien besuchen, sind sich einig, alle Interviews mit der Bevölkerung bestätigen es, die Urheber der Massaker an der Zivilbevölkerung sind islamische Banden. Immer kümmerlicher fallen die Versuche insbesondere deutscher Medien aus, die Mittäterschaft des algerischen Regimes an den Morden zu beweisen. Dubiose Kronzeugen verschwinden so plötzlich von den Bildschirmen, wie sie herangezerrt wurden.

Statt sich den Tätern und ihren Motiven zuzuwenden, wird man in der Berichterstattung auf eine Metaebene verwiesen, wo von Selbstbestimmungsrecht, Kultur, wahrem und falschem Islam die Rede ist und als Schuldiger immer die Miltärregierung auftaucht, die wegen mangelnder Dialogbereitschaft mit den Massenmördern große Verwerfungen in Sachen Demokratie und nationaler Identität angerichtet habe.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. In Sidi bel-Abbes haben sich die Leute am Ramadan einen Film angesehen. Lebendig ist keiner aus dem Kino herausgekommen. Anderswo lauschte die Jugend der Rai-Musik, und die Alten haben es ihnen nicht verboten; hier und da soll Alkohol konsumiert worden sein; im Dorf X wohnen Berber, die noch nicht einmal die Haare ihrer Frauen und Töchter ordentlich bedecken. Die Gründe für die Auslöschung ganzer Dorfbevölkerungen liegen regelmäßig in mangelnder Befolgung der Regeln des Korans.

Doch nicht einmal der Islam ist kraft eigener Durchgeistigtheit in der Lage, seine Anhänger zu derartigen Untaten zu animieren. Bis die falsche Idee zum frommen Massenmord drängte, bedurfte es schon handfester weltlicher Zutaten. Ein antikolonialistischer Befreiungskampf etwa, der auf dem Weg zur algerischen Nation nach den Wurzeln des Volkes suchte und sie ihm als Arabismus verordnete. Eine antifranzösische, antiwestliche Identität, die mangels kollektiver Vorgeschichte nicht so recht völkisch sich aufladen lassen wollte. Der Fluch der algerischen Entwicklungsdiktatur war es von Anfang an, daß sie die spirituelle Einheit der Nation im Islam entdeckte und durchsetzte.

Doch von der Teil-Islamisierung, die schon in den sechziger Jahren eingesetzt hatte, eine direkte Verbindung zu den Greueln von heute herzustellen, läuft auf die durchsichtige Entlastung der Mordbanden und ihrer politischen Unterstützer weltweit hinaus. Trotz aller antiwestlichen Ressentiments und der "arabischen" - und damit berberfeindlichen - Innenpolitik, konnten in Algerien dank Erdöl und günstiger Verhältnisse auf dem Weltmarkt bis in die späten siebziger Jahre relativer Wohlstand und relative Liberalität hergestellt werden. Große Teile der Bevölkerung verwestlichten zusehends und legten ein unislamisches und überhaupt unalgerisches Verhalten an den Tag, das man heute als Entwurzelung oder Konsumrausch verächtlich zu machen gewohnt ist.

Die eigentliche islamische Wende setzte nach dem Tod Boumediennes (1979) ein, als der Wohlfahrtsstaat kollabierte und das Elend wieder offen in Erscheinung trat. Seitdem wird auch die nie besonders altruistische oder heroisch-sozialistische Staatsmacht als korrupt und dem Volke wenig dienlich denunziert - als ob sie der weltweiten Krise viel entgegenzusetzen hätte. Gescheiterter sozialer Protest und die verspielte Hegemonie der Staatspartei ließen die autoritäre Revolte von unten gedeihen. Die Regierenden ließen es zu, weil der organisierte Islam Almosen und keinen Wohlstand will, Moral und keine Freiheit, mithin für ein autoritäres Projekt in ärmlichen Zeiten funktional erschien.

Als Anfang der neunziger Jahre die FIS zur (von Saudi-Arabien finanzierten) politischen Gegenmacht wurde, einigten sich ausgerechnet prowestliche Intellektuelle, Trotzkisten und andere Linke mit der FIS auf eine Zusammenarbeit. Daß im Iran 1979/80 die Ausrottung und Vertreibung der gesamten kritischen und linken Intelligenz im Zeichen eines durchaus vergleichbaren Bündnisses vonstatten gegangen war, scherte die Vertragsschließenden wenig. So kam ausgerechnet dem völlig orientierungslosen Regierungslager der Part zu, das nichtislamistische Algerien vor sich selbst zu bewahren, indem es die FIS verbot. Nur der Unterstützung der westlich orientierten Frauen von Algier, die wenige Tage nach dem FIS-Sieg eine der größten Demos des Landes organisierten, konnte sich die Junta sicher sein.

Der algerische Faschismus - das ist der politische Islam und nicht die Junta - hat es inzwischen so weit gebracht, daß sich heute nur noch eine bewaffnete Volksfront mit Militär und Staatspartei gegen die Barbarei denken läßt: keine Front gegen die mißbrauchte und für die richtige Religion, sondern gegen die schimpfliche Sache selbst. Der Kampf für die fällige Ablösung des Regimes macht erst dann Sinn, wenn als Alternative nicht weitaus Schlimmeres droht.

Solidarität mit Algerien heißt für Linke in Deutschland, das Paktieren der deutschen Öffentlichkeit mit den Islamisten zu denunzieren. Linke liefern den "antirassistischen" Geleitschutz, wenn sie vor eurozentristischer Besserwisserei warnen, statt zu kritisieren, daß jeder identitätsstiftende Terror auf Verständnis rechnen kann.