Die Organisationen der Arbeitslosen

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Vor dem Hintergrund des aktuellen innenpolitischen Konflikts um die Arbeitslosenbewegung publizierte der Parisien am 17. Januar 1998 eine Umfrage des CSA-Instituts, wonach 70 Prozent der Franzosen ihre Unterstützung für die Erwerbslosenkämpfe äußerten. Zwei Tage später veröffentlichte Libération eine weitere Umfrage, nach der 70,8 Prozent der Befragten in ihrer Familie oder näheren Umgebung mindestens eine Person kennen, die erwerbslos ist. Die Befragten sollten sich auch dazu äußern, welchen sozialen oder politischen Kräften sie in diesem Konflikt vertrauten bzw. nicht vertrauten. Das Resultat war deutlich.

Das Ergebnis für die Regierung Jospin mit 45 Prozent Positiv- zu 47 Negativpunkten entspricht etwa dem der anderen Parteien: Das Vertrauen darauf, daß sie eine Lösung im Arbeitslosenkonflikt finden, reicht von 40 Prozent für die Sozialisten über 33 Prozent für die - tendenziell solidarischen - Grünen bis hin zu 24 Prozent für die liberal-konservative UDF. Nicht viel besser sieht es für die Gewerkschaften aus. 30 Prozent trauen der den Kommunisten nahestehenden CGT eine Lösung zu, die sozialistische CFDT errreichte nur noch 28 Punkte.

Als einzige politische Gruppierung mit einem positiven Wert schnitten die Organisationen der Arbeitslosen ab, die den Konflikt Anfang Dezember mit den ersten Besetzungsaktionen in Bewegung setzten. 58 Prozent der Befragten sprachen ihnen ihr "Vertrauen" aus, 30 Prozent äußerten eine gegenteilige Meinung. Es sind, neben den lokalen Zusammenschlüssen, vier größere Bündnisse, die den aktuellen Protest tragen:

E AC! ("Agir ensemble contre le chômage!"; ausgesprochen klingt die Abkürzung, die für "Gemeinsam gegen die Arbeitslosigkeit handeln!" steht, genauso wie "Assez!", "Es reicht!"). AC!, eine um 1992/93 entstandene Basisbewegung, hat seit 1994 mehrere größere landesweite und internationale Märsche von Arbeitslosen organisierte, u.a. 1997 zum Amsterdamer EU-Gipfel. Viele ihrer Aktivisten kommen aus der radikalen Linken (Trotzkisten, Anarchokommunisten). AC! arbeitet u.a. eng mit den in den letzten Jahren entstandenen linken Basisgewerkschaften SUD ("Solidaires, unitaires, démocratiques"; "Solidarisch, einig, demokratisch") zusammen.

E MNCP ("Mouvement nationale des chômeurs et des précaires", "Nationale Bewegung der Arbeitslosen und Prekären"). 1981/82 gründete Maurice Pagat die erste "Gewerkschaft der Arbeitslosen", die in den Achtzigern eine Reihe spektakulärer Aktionen - u.a. eine Besetzung des Unternehmerverbands CNPF - durchführte. Diese Bewegung war noch stark "pragmatisch" und an kategoriellen Interessen orientiert und bot vor den Wahlen 1986 allen politischen Parteien, von links bis rechts, einen "Beschäftigungspakt" an. Um 1987 spaltete sich, auf der Basis radikalerer sozialer Konzeptionen, ein Flügel von ihr ab, die MNCP. Die UNEDIC (Arbeitslosenkassen) -Präsidentin und CFDT-Chefin Nicole Notat versucht seit Beginn des Konflikts, den inzwischen im Ruhestand lebenden Pagat zu reaktivieren und zu ihrem "Gesprächspartner" aufzubauen - gegen die Selbstorganisationen der Arbeitslosen.

E CGT-Arbeitslosenkomitees. Die ersten "Comités des travailleurs privés d'emploi" ("Komitees der ihrer Beschäftigung beraubten Arbeiter") gründete die CGT schon Ende der siebziger Jahre. Damals gelang es ihr, im Zuge von industriellen Umstrukturierungen, die die Schließung ganzer Industriebranchen (etwa im Stahl- und Bergbaubereich) und Massenentlassungen nach sich zogen, unter den "freigesetzten" Arbeitern gewerkschaftliche Strukturen aufrechtzuerhalten. Gewicht haben die CGT-Arbeitslosenkomitees heute vor allem im Raum Marseille, von wo auch die ersten Besetzungsaktionen im Dezember ausgingen. Neben der linken Basisgewerkschaft SUD, die eng mit AC! zusammenarbeitet, ist die CGT die einzige Gewerkschaft von Lohnabhängigen, die im aktuellen Konflikt auf der Seite der Arbeitslosenbewegungen steht. Der CGT-Apparat versucht, gleichzeitig die Arbeitslosenbewegung zu stärken und sie zu kontrollieren.

E APEIS ("Association pour l'emploi, l'information et la solidarité"; "Vereinigung für Beschäftigung, für Information und Unterstützung"). 1987 von der französischen KP gegründet, weniger durch spektakuläre Aktionen (wie Besetzungen) als durch eine beharrliche Kleinarbeit präsent. Die APEIS unternahm etwa eine konsequente Lobbyarbeit für die Verbilligung öffentlicher Transportmittel für Arbeitslose. Auf staatlicher Ebene war dieses Bemühen auf dem Höhepunkt der aktuellen Protestbewegung von Erfolg gekrönt: Transportminister Claude Gayssot (KP) sicherte im Großraum Paris - wo die Verkehrsmittel direkt der Zentralregierung unterstehen - den Arbeitslosen eine staatliche Beihilfe in Form von Transportgutscheinen für umgerechnet 35 Mark monatlich zu. (102 von 107 regionalen Transportgesellschaften hatten ähnliche Schritte bereits vor dem Staat unternommen.)

Jede diese vier Arbeitslosenorganisationen repräsentiert einige tausend Personen; zusammen kann man ihr Potential auf rund 30 000 Mitglieder schätzen. In der aktuellen Auseinandersetzung machen sich zwar insofern Nuancen bemerkbar, als die CGT-Komitees und APEIS die kleinen Zugeständnisse der Regierung positiv bewerten, während AC! und MNCP Kritik und Distanz gegenüber der Regierung stärker betonen. Bisher hat dies nicht zu größeren Spannungen zwischen den Organisationen geführt, die weiterhin ihr Vorgehen gemeinsam planen.