Don’t worry, Adorno

Vor 50 Jahren erschien die "Dialektik der Aufklärung"

Vertreter des Fischer-Verlages zeigten sich erleichtert, daß ihre Hausautoren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer offensichtlich noch immer Zugpferde sind. Eine letzte Woche an der Universität Frankfurt/Main veranstaltete Podiumsdiskussion über "50 Jahre Dialektik der Aufklärung" war gut besucht. Man wird die beiden Herren nicht aus dem Programm kippen. Auf dem Podest saßen berufene und weniger berufene Fachkräfte, um "Nutzen und Nachteil der Kulturindustrie" abzuwägen, genauer: zentrale Thesen des durch Adorno verantworteten und rezeptionsgeschichtlich wahrscheinlich bedeutendsten Kapitels der "Dialektik der Aufklärung" einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Was leistet das Traktat "Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug" heute noch?

So eingebürgert und zugleich abgehangen die These ist, das Hauptwerk der Kritischen Theorie müsse als verschwörungstheoretische Projektion gelesen werden (hinter jeder subjektiven Regung lauern die Rackets, hinter jeder gesellschaftlichen Progression stehen die Monopole), so beflissen repetieren Gertrud Koch und Manfred Schneider (Essen), Martin Seel (Gießen), Heinz Bude (Hamburg) und Axel Honneth (Frankfurt) den weder schlagkräftigen noch originellen Generaleinwand, Adorno habe die (nordamerikanische) Popularkultur ins Korsett einer durch und durch ökonomischen Interpretation gezwängt.

Wie die Torheit sich mit Frechheit paart, exerzierte der schneidige Ex-Antiautoritäre Schneider vor. Ihm scheint heute nicht nur wenig zu behagen, selbst mal "ein Linker" oder was in ähnlicher Preislage gewesen zu sein, sondern auch der stupende negativistisch-düstere Duktus der Kulturindustrieanalyse ging ihm zentral und zweieinhalb Stunden lang auf den matten Geist. Kunst blühe heute nämlich in den prächtigsten Formen und Formationen, von einer Knechtung der Konsumenten könne keine Rede sein. Wer außerdem wisse, daß nach dem Weltuntergang die Welt bislang "eben stets weitergegangen" sei, wende sich eh mit Grausen ab von Adornos "apokalyptischem" Szenario. "Die Menschheit versinkt in Barbarei", guten Abend allerseits.

"Nicht das geringste Vertrauen für dieses Leben" hätten Adorno/Horkheimer besessen. Freilich vergaß der alerte Professor partout, daß die "Dialektik der Aufklärung" 1944 im Wissen um die Shoah abgeschlossen wurde.

Als Schneider fürwahr nur noch jene Hegelschen Kühe gleicher schwarzer Farbe im Dunkel der philosophischen Nacht erspähte, die er wohlfeil herbeizitierte, verwunderte vollends nicht mehr, wie flott Heideggers Destruktion der Metaphysikgeschichte mit Karl Kraus und Adornos Kulturkritik über einen strammen Leisten gedroschen werden können. Das hat durchaus was extrem Modisches und Peppiges und auch ziemlich Beschissenes.

Nicht minder fröhlich agierte der am Hamburger Institut für Sozialforschung keineswegs zwangsbeschäftigte Heinz Bude. Ihn störte zumal "der durchgehende Affekt der Verdammung", als seien beide Exilanten dumme Jungen gewesen, die sich vor Kunstgalerien und Vernissagen fürchteten. Während Adorno die Massenkultur als "Disposition zum Faschismus" begriff, gefällt heute der "zivile Habitus" des - Luhmannsch gesprochen - Kultursystems, dessen radikale Autonomie "keinen Zusammenhang zur Gesellschaftsstruktur" mehr aufweise. Es ist schon ein Kraut-und-Rüben-Salat: Martin Kippenberger sei ein saumäßig intelligenter politischer Starkünstler (gewesen) und zugleich der Avantgardismus folgenlos in der Kulturindustrie aufgegangen. Mit anderen Worten, jenen von Gertrud Koch diesmal: Das Kulturindustriekapitel besteche zwar durch "eine gewisse provozierende Frische", vulgo: der "inhärente Ökonomismus" müsse jedoch als "auch besonders problematisch angesehen werden".

Gut, daß wenigstens Axel Honneth, Inhaber des Frankfurter Lehrstuhls für Sozialphilosophie, unter Beweis stellte, wie man seinem väterlichen Freund und Förderer Jürgen Habermas stimmlich, gestisch und bis in die Kopfhaltung hinein gleich, "identisch" (Adorno) zu werden vermag, ohne den Flausen eigener Gedanken anheimzufallen. "Wir unterschätzen den kommunikativen Eigensinn der Verarbeitung" ästhetischer Erfahrung, die Manipulationsthese habe sich trotz unübersehbar weiter fortgeschrittener "Monopolisierung und Staatsverflechtung der kulturindustriellen Institutionen" (Buchmarkt, TV, Kino) und trotz wachsender reeller Subsumtion ehemals autonomer Bestände von Kunstproduktion (Stichwort: "kulturelle Standortvorteile") nicht bewahrheitet. MTV, u.a. bedauerlicherweise (dies "Nachteile") verantwortlich für Nivellierung der Formsprachen und sinkendes "inhaltliches Niveau", erschüttere - Vorteile! - "fraglos Traditionen", treibe die "Entprovinzialisierung" voran und "steigert den Sinn für Freiheitsmöglichkeiten".

Doch, das ist geblieben: Axel Honneth, Drittverweser der Kritischen Theorie, applaudiert der Kulturindustrie, weil sie mit "Konzerten für Mandela" "die Ausweitung ziviler Standards in der Welt" und "globale" - nein, nicht Moralisierungsschübe, sondern lediglich - "Moralisierung" initiierte; und der Gießener Ästhetik-Narr Martin Seel bemängelt assistierend, Adorno und Horkheimer "hatten ein massives Problem mit einer demokratischen Kultur", im Grund "einen ganz verfehlten Begriff einer demokratischen Kultur".

Selten wohl haben so erlesene Spitzendenker so bündig demonstriert, daß Hilmar Hoffmanns "Kultur für alle", Diedrich Diederichsens Poppolitiken und der gängige "linke" Akademismus drei Seiten ein und desselben sozialdemokratischen Käses sind. Seel, Spezialist für "ästhetische Erfahrung", insistiert wie sein Klassenkampf-Kompagnon auf das Glücksversprechen der Medien. "Am Unterhalten ist nichts Schlimmes, die Menschheit verdient, daß sie sich gut unterhalten kann", und wer behaupte, Adornos These von der Uniformität massenkultureller Produkte beanspruche Relevanz, müsse bloß fernsehen: "Talkshows sind der Versuch, das Einmalige herzustellen."

Solche FDP-Ästhetik okkupiert das "Nicht-Identische" (Adorno) mit einem breiten, feisten Grinsen. "Die demokratische Kultur hat viel Unverfälschtes hervorgebracht", hakte Seel nach; Bobby McFerrins A-cappella-Schmus "Don't worry, be happy" z.B. sei vorzüglich geeignet, die hohe Selbstreflexivität gegenwärtiger Popkulturen zu verdeutlichen: "Das ist Metamusik. Der Sänger verspricht, die Hörer glücklich zu machen. Das ist ein Schlager über Schlager."

Hier mußten wir dann doch sehr lachen.