Sei kein Mann

Hat Barbra Streisand Lehrer Brackett zur Homosexualität verführt? "In & Out", eine Komödie von Frank Oz

Ein Mann sein zu wollen - was für eine entsetzliche Dummheit, geradezu der Urgrund der Dummheit, die Dummheit in einer Nußschale, in einer Nuß, in den Nüssen. Es ist eine Dummheit, die vorausgesetzt wird, aber nicht jedem gegeben ist. Wer sich ihren einfachen Gestalten und Denkweisen bequemen will, macht unter Umständen eine lächerliche Figur. Stoff für eine Komödie. Der dramatische Vorwurf für "In & Out" von Frank Oz.

Der Literatur-Lehrer Howard Brackett - dargestellt von Kevin Kline - steht wegen seiner "decency" seit jeher im Verdacht, nicht ganz normal zu sein. Seine galante, jedoch als manieriert empfundene Art, das wenige, was man in einer Kleinstadt an gehobenen Umgangsformen erwartet, weit zu übertreffen, und sein ausgesuchter Geschmack heben ihn aus dem Kreis der Kollegen und Verwandten heraus. Ein Zustand, unter dem er leidet. Aber je mehr er den Sitten entsprechen will, umso auffälliger wird gerade sein Streben, ihnen zu entsprechen. Er ist nicht adjustiert genug, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Er tut es stets zu richtig. Er spielt die Konvention nach und läßt es sich anmerken.

Gerade plant er, sich durch eine späte Heirat endgültig ehrbar zu machen, als das Gerücht aufkommt, er sei homosexuell. In seiner Verzweiflung besorgt sich der Lehrer ein therapeutisches Tonband zur Festigung der Maskulinität. Aus seinem Sommeranzug ist er in eine Holzhacker-Kluft geschlüpft; die Kleidung, die auch sein Vater bevorzugt. Die rauhe, tiefe Stimme vom Band befiehlt ihm, um das Geschlecht (die Nüsse) zu betonen, die Hose hochzuziehen, und, um Lässigkeit zu markieren, das Hemd halb heraushängen zu lassen. Brackett stellt sich in Positur. "Nein, nicht den Teekessel!" Der Tonband-Therapeut scheint immer schon die effeminierten Körperhaltungen zu erahnen, in die Brackett (wörtl. "Lampenarm") verfällt. Und nun führt der Teufel den Lehrer, ihn zu prüfen, in die größte Versuchung: Er legt Disco-Musik auf.

Ein Beat, wie man ihn aus den schwulen Tanzhallen kennt, der an von Poppers und Geilheit erhitzte Typen in Leder erinnert, an den Beginn einer großen Orgie. Wird Brackett wie alle echten Männer - "wie Arnold Schwarzenegger" - widerstehen? Hält er den Groove für nicht mehr als das Hämmern in einer Autowerkstatt? Die Stimme vom Band bellt noch: "Kein echter Mann tanzt zu dieser Musik! Sei ein Mann!" Aber es ist schon zu spät, Brackett zuckt mit den Füßen. Unwillkürlich wiegt er sich in den Hüften. Er wehrt sich noch dagegen, vom Disco-Taumel ergriffen zu werden, er zappelt, er zwingt sich zu jämmerlicher Steifheit, doch dann bricht alles zusammen: Er beginnt zu tanzen. Nun weiß er, er ist schwul.

Diese Szene ist die komischste von allen. Das Klischee des wahren, nämlich heterosexuellen Dutzendmannes geht über in das des wahren Dutzendschwulen. Es sind freilich, wie wir alle wissen, nicht bloß Klischees. Aber niemand lachte, würde er einen tumben Holzfäller sehen, und kaum jemand lacht noch, sieht er Tunten, die mit dem Hintern wackeln. Komisch ist es, plötzlich in der natürlichen Form das Klischee wiederzuerkennen, das Abziehbild, die Leere des Schemas. Zu sehen ist das nicht in den geläufigen Verhaltensweisen, in den passenden Bewegungen und Gesten, sondern stets nur in der noch nicht abgeschlossenen Metamorphose, im linkischen Versuch, einen Stil zu kopieren. "Die Haltungen, Gesten und Bewegungen des menschlichen Körpers", formuliert Henri Bergson in "Le Rire", "sind genau in dem Maße zum Lachen, in dem der Körper uns an eine einfache Maschine (simple mécanique) erinnert."

Lehrer Bracketts zunächst eckig-unbeholfene Tanzschritte haben noch etwas Roboterhaftes. Und doch glaubt man gerade in dieser Unbeholfenheit ein Humanum zu erkennen. Denn sowohl die Formensprache des gewöhnlichen Heterosexuellen als auch die des gewöhnlichen Homosexuellen ist maschinenhaft. Aber wie man die Funktionsweise, ja das Vorhandensein einer Maschine erst entdeckt, wenn sie defekt ist, so entdeckt sich das Maschinelle und Künstliche dieser Verhaltensweisen erst, wenn einer sie verfehlt. Freilich ist der Mensch eine Maschine, aber keine einfache und mechanische, und wenn die Mechanik, zu der er von der Macht der Konvention gedrängt wird, sich offenbart, gibt es etwas zu lachen.

Zum Lachen ist natürlich auch, daß die Selbstverwirklichung - hier das Schwul-Werden - nicht mehr ist als die Einübung in eine neue, ebenso mechanische Form. Frank Oz' Komödie läßt offen, ob Brackett schwul ist, aber sich bisher nicht dazu bekannte, oder ob er durch Zuschreibung zum Schwulen gemacht wird. Hat sein berühmt gewordener ehemaliger Schüler Cameron Drake (Matt Dillon), der ihn im Fernsehen outet, ihn in diese Rolle gezwungen? Wird des Lehrers harmlose Vorliebe für Barbra Streisand ihm zum Verhängnis? Oder wünscht er sich wirklich nichts sehnlicher als Tom Selleck zu küssen und sich dem Disco-Stomp hinzugeben?

Der Regisseur verweigert klugerweise die Antwort. Seine Komödie rekonstruiert wie alle Komödien eine völlig determinierte Welt und steigert deren Formen ins Lächerliche. Das Ende des Films - die Kleinstadtbewohner bekennen sich sämtlich emphatisch zum Schwulsein - ist zugleich Parodie und Affirmation der klassischen Form, diesmal des Films selbst. Oz überbietet das patriotische Finale der US-Komödien aus den vierziger Jahren, an denen sich "In & Out" orientiert. Das Vergnügen an der Parodie ist vielleicht das Schwulste an diesem Film.

"In & Out". USA 1997. R: Frank Oz, D: Kevin Kline, Joan Cusack, Matt Dillon, Tom Selleck. Start: 29. Januar