Alle wollen FIS

Am Ende des Besuchs einer EU-Delegation in Algerien stand eine neue Anschlagsserie der GIA

Die Worte, die André Soulier, Delegationsleiter der Informationsmission des EU-Parlaments am vergangenen Donnerstag zum Abschluß des Besuchs in Algerien fand, klangen fast schon albern: Es habe "hilfreiche, offene Gesprächen" mit zahlreichen Vertretern des algerischen Parlaments gegeben, und nun sei man auf dem Weg zu einer "echten Partnerschaft". Während Soulier auf einer Pressekonferenz kurz vor der Abreise die "positive Atmosphäre" in Algerien beschwor, explodierte in einem Café in der Innenstadt von Algier eine Bombe. Bilanz: Ein Toter und mindestens 17 Verletzte. Zwei Stunden zuvor waren bei einem anderen Bombenanschlag in einem Vorort von Algier ein Passant getötet und vier Menschen verletzt worden, bei einem dritten Anschlag wurden gegen Mittag des gleichen Tages noch einmal sieben Menschen verletzt. Für alle drei Anschläge werden die Bewaffneten Islamistischen Gruppen (GIA) oder Abspaltungen dieser islamistischen Terrororganisation verantwortlich gemacht.

Fünf Tage lang hatten sich neun Abgeordnete des Europäischen Parlaments in Algier mit Vertretern der politischen Klasse Algeriens getroffen, darunter Außenminister Ahmad Attaf, die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus, Parlamentarier aus dem Regierungslager und der legalen Opposition. Auch mit Gewerkschaftern, Unternehmern, Journalisten und Vertretern von gemäßigt-islamistischen Menschenrechtsorganisationen wurde gesprochen. Die Ankunft der Delegation fiel mit dem sechsten Jahrestag der Ausrufung des Ausnahmezustandes durch die Militärs zusammen. 1992 waren die ersten freien Wahlen des Landes abgebrochen worden, da ein Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS), die im ersten Wahlgang drei Millionen Stimmen erhalten hatte, drohte. Die Regierung verhängte auf Druck des Militärs den Ausnahmezustand, die FIS wurde verboten.

Wie schon der Besuch der EU-Troika im Januar, hatte auch dieser Delegationsbesuch den Zweck, in Brüssel Bericht zu erstatten, um ein seit Jahren geplantes Assoziierungsabkommen voranzubringen. Die Regierung in Algier verlangt dafür die Aufhebung eines gegen Algerien verhängten Waffenembargos und die Einsetzung eines europäischen Untersuchungsausschusses über "Umtriebe islamistischer Gruppen in Europa, die algerische Islamisten unterstützen". Gemeint sind GIA-Aktivisten, die in Großbritannien politisches Asyl erhalten haben sowie Funktionäre der FIS, die in Deutschland leben.

Unter der Voraussetzung "demokratischer Verbesserungen" wurden diese Forderungen des algerischen Regimes von der EU-Delegation nicht nur unterstützt, sie sollen sogar in Brüssel empfohlen werden, sofern im Gegenzug das algerische Parlament eine Untersuchung über Sicherheit und staatliche Repression durchführt, was vom algerischen Regime am vergangenen Wochenende abgelehnt wurde. Überreicht wurde auch eine Liste mit den Namen von 30 verschwundenen Personen, die Zahl der Verschwundenen wird nach US-amerikanischen Angaben aber etwa zehnmal und nach Angaben von Human Rights Watch fünfzehnmal höher eingeschätzt.

Wenn sie Erfolg haben wolle, müsse jede Politik der EU gegenüber Algerien auf "den Nationalstolz der Algerier Rücksicht nehmen", zog Delegationsleiter Soulier sein Fazit: Bisherige Zweifel über eine eventuelle Beteiligung der algerischen Sicherheitskräfte an den Massakern oder "Beunruhigungen über die Passivität der Armee" bei Massakern in Dörfern, die Anfang der neunziger Jahre für die Islamische Heilsfront (FIS) gestimmt hätten, seien nur noch bei einem oder zwei Delegationsteilnehmern vorhanden.

Neben dem österreichischen Sozialdemokraten Hannes Swoboda, der sich bereits vor Reiseantritt für einen "Dialog mit der FIS" ausgesprochen hatte, scheint dies insbesondere auf den offiziellen Berichterstatter der Delegation, Daniel Cohn-Bendit, bezogen zu sein. Dieser hatte sich lautstark beklagt, daß weder die Schauplätze der Massaker besucht werden durften, noch daß FIS-Funktionäre als Gesprächspartner zur Verfügung gestellt wurden. Cohn-Bendit hatte angekündigt, die inhaftierte Nummer zwei des FIS, Ali Benhadj, zu seiner Haltung zum Terrorismus befragen zu wollen. Auch mit dem FIS-Führer Abassi Madani wollte er sprechen. Von einigen algerischen Medien als "Rassist" beschimpft, der "an Orten von Massakern seine Show abziehen" wolle - der Bündnisgrüne hatte auf einer eigenen Pressekonferenz die Gewalt in Algerien einen seit der Befreiung vom französischen Kolonialismus kontinuierlichen Faktor genannt -, gab Cohn-Bendit am Ende doch klein bei und lehnte die Intervention von außen ab: "Wenn wir mit der FIS reden wollen, können wir das jederzeit tun. In Europa gibt es Telefone und hier auch", äußerte er am Donnerstag in trauter Harmonie mit seinem Delegationschef. Dieser hatte auf der Abschlußkonferenz noch einen besonderen symbolischen Akt parat: Ein Schreiben des FIS, das vom Präsidenten der algerischen Menschenrechtsliga, dem FIS-Anwalt Ali Yahia, überreicht worden war, zerriß er ebenso ungelesen wie einen Brief der aufgelösten Partei Demokratische Algerische Bewegung (MDA) des ehemaligen Präsidenten Ahmed Ben Bella, der bereits 1965 von den Militärs weggeputscht worden war.

Mit der Äußerung, die zahlreichen Massaker, die in Algerien vor, während und nach dem Fastenmonat Ramadan verübt wurden und bei denen über 1 000 Menschen starben, könnten ebensogut von einer algerischen Kommission untersucht werden, brüskierte der französische Konservative Soulier zum Schluß auch noch die größte algerische Oppositionspartei. Die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) wollte ihrer Forderung nach einem internationalen Untersuchungsausschuß mit einer Demonstration am Tag der Abreise der EU-Parlamentarier Nachdruck verleihen. Obwohl ein Teil der Demonstranten von der Polizei in den Vorstädten von Algier an Straßensperren aufgehalten wurde, versuchten etwa 1 000 Menschen einen "Marsch gegen Gewalt und Terrorismus, für Frieden und nationale Aussöhnung" zu organisieren. Doch die Demonstration wurde, bevor sie überhaupt losgehen konnte, von der Polizei eingekesselt und abgedrängt.

Die FFS hat sich mehrmals für einen "Dialog mit der FIS" ausgesprochen und war 1995 an der sogenannten Plattform von Rom, einer Gesprächsrunde algerischer Oppositionsparteien unter Einbeziehung der FIS, beteiligt: Die Wiederzulassung der FIS, Rückkehr zur konstitutionellen Legalität von 1989, Einsetzung einer repräsentativen Nationalkonferenz waren seinerzeit die Kernaussagen des Aktionsprogrammes der Plattform. Die Sozialisten befürchten, das Regime werde sich auf ihre Kosten mittelfristig mit den gemäßigten Islamisten einigen, so wie sie es mit den legalen Islamisten-Parteien Hamas-MSP und An-Nahda bereits getan hat. Teile der FIS und ihres bewaffneten Flügels AIS werden von den Sozialisten zu den gemäßigten Kräften gezählt, zumal die AIS seit dem vergangenen September einen Waffenstillstand mit dem Regime abgeschlossen hat. Als eigene Bündnispartner für eine "nationale Aussöhnung" wären sie dann verloren.