Professor Udo Steinbach vom Deutschen Orient-Institut in Hamburg

»Die deutsche Industrie ist nicht glücklich«

Deutsche Interessen im Golfkonflikt

Wie gefährlich ist das irakische Militärpotential?

Da wird im Augenblick viel Unfug verbreitet, um einen Militärschlag zu rechtfertigen. So ist etwa das Statement von Richard Butler, des UN-Abrüstungsbeauftragten, Saddam könne "mit Giftgas ganz Tel Aviv vergiften", nichts weiter als Stimmungsmache. Der Irak hat diese Potentiale nicht mehr, selbst in einer Verzweiflungssituation wäre er vermutlich nicht mehr zu einem solchen Angriff fähig.

Aber es gibt doch noch Restbestände an B- und C-Waffen?

Das ist eine Annahme, sicher ist es keineswegs. Vor allem fehlen aber die Trägersysteme, um dieses eventuell noch vorhandene Giftgas ins Ziel zu schießen. Nach sieben Jahren systematischer Suche und Vernichtung durch die internationalen Inspektoren dürfte kaum noch eine Rakete übrig sein.

Wenn nur eine übrig wäre und diese mit dem entsprechenden Sprengkopf bestückt würde, könnte das dennoch für Tel Aviv zu viel sein.

Vielleicht ist irgendwo eine in der Wüste verbuddelt. Aber sie müßte dann zuerst ausgegraben, instand gesetzt und reaktiviert werden. Und bei der sehr ausgefeilten Luftüberwachung der US-Amerikaner würde sie in diesem Zeitraum nicht unentdeckt bleiben.

Wird sich im Falle eines Krieges die irakische Opposition gegen Saddam erheben?

Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls gehe ich nicht von der These aus, daß sich die Bevölkerung im Falle eines Krieges geschlossen um Saddam scharen wird. Dazu ist er zu verhaßt. Und bedenken Sie: Als sich beim Krieg 1991 die militärische Niederlage abzeichnete, gab es riesige Aufstände der Schiiten im Süden, der Kurden im Norden. Eine solche Entwicklung ist auch dieses Mal möglich, wobei die Folge niemals die Ablösung Saddams durch einen Demokraten wäre. Die Alternative zu Saddam ist eine modifizierte Militärdiktatur.

Der Versuch der CIA, vor zwei Jahren mit der irakischen Opposition gegen Saddam zu putschen, hat in einem Debakel geendet.

Bei der US-Politik wußte man nie, wie ernst sie die "Post-Saddam-Ära", deren Notwendigkeit unablässig verkündet wurde, wirklich anvisierte. Für die USA ist natürlich auch die Frage, ob bei einem Sturz Saddams nicht das gesamte Land auseinanderfällt. Immer wieder - und auch gerade jetzt - macht die Türkei mit militärischer Gewalt ihren Anspruch auf eine Sicherheitszone im Nordirak geltend. Dahinter könnten Annexionsinteressen gegenüber den irakischen Ölgebieten bei Mossul stehen, wie sie der damalige Staatspräsident Turgut Özal schon 1990 ins Gespräch gebracht hat - eine Debatte, die immer wieder aufflackert. Daneben könnte es Ambitionen des Iran geben, seinen Einfluß unter den Schiiten des Irak zu verstärken.

Warum versuchen Clinton und Albright gerade jetzt eine Kraftprobe? Warum setzen sie nicht auf ein weiteres Containment des Irak, das doch in den letzten Jahren zu einer starken Schwächung von Saddam geführt hat?

Die Ambiguität der US-Politik war nicht weiter durchzuhalten. Einerseits hat man das UN-Sanktionsregime gegen Irak unterstützt - also einen Weg, Saddam wieder in die Normalität zurückzuführen. Andererseits hat man immer wieder verkündet "not to deal with Saddam", ihn also weiter zu isolieren. Das wäre darauf hinausgelaufen, das Sanktionsregime bis ultimo weiterzuführen.

Auf dieser Grundlage konnte Saddam den USA immer offensichtlicher auf der Nase herumtanzen. Hinzu kommt, daß Teile des UN-Sicherheitsrates sich nicht mehr mit den USA solidarisieren wollten. Sie suchen ein Ende der Sanktionen. In dieser Situation drohte der einzig verbliebenen Supermacht ein dramatischer Gesichtsverlust in einer strategischen Weltregion.

Es scheint, die Bundesrepublik sucht einen engeren Schulterschluß mit den USA als 1991.

Nicht unbedingt. Sie sitzt zwischen den Stühlen, versucht einerseits die Solidarität mit den EU-Partnern, vornehmlich mit Frankreich, aufrechtzuerhalten, andererseits die transatlantische Partnerschaft mit den USA. So hat Bonn lange auf eine diplomatische Lösung gedrängt, zuletzt noch beim Staatsbesuch des türkischen Außenministers. Doch als die Situation weiter eskalierte und die Spannungen im UN-Sicherheitsrat zunahmen, war der Spagat nicht länger durchzuhalten. Das war vorletztes Wochenende, bei der Wehrkundetagung in München - ein starkes Statement des Kanzlers hat die Bonner Position klar gemacht: Unterstützung für die USA, verbunden mit dem Angebot zur Nutzung von deutschen Militärflughäfen und anderen Einrichtungen. Das ist allerdings weniger als beim Golfkrieg 1991, als die Bundesrepublik als Teil der Nato-Eingreiftruppe AMF Soldaten an die türkisch-irakische Grenze zum Schutz des Nato-Bündnisgebietes entsandte.

Ist ein solches Engagement im multilateralen Rahmen, etwa zusammen mit den Briten, auch diesmal für die Bundesrepublik vorstellbar?

Sicher nicht. Jedenfalls nicht, solange die EU-Partner in dem Konflikt low profile zeigen.

Wie beurteilt die bis 1990 im Irak so aktive deutsche Industrie die Situation? Jürgen Möllemann als einer der informellen Sprecher der deutsch-arabischen Wirtschaftsinteressen hat sich jüngst über die Unterstützung Bonns für die US-Linie beklagt.

Die Industrie ist nicht glücklich. Bis 1990 hatten wir ein hohes Auftragsvolumen im Irak, und das waren keinesfalls nur zweifelhafte Geschäfte. Die Iraker selbst, das weiß ich aus persönlichen Gesprächen, würden diese Kontakte auch gerne wieder aufnehmen. Doch die deutschen Unternehmer sind sehr eingeschüchtert wegen der zahlreichen Prozesse wegen potentieller oder tatsächlicher Unterstützung der irakischen Rüstungsindustrie.

Die französische Konkurrenz sieht das anders?

Die französische, und vor allem die russische, Industrie und Politik sehen das anders. Und ihr zentrales Argument ist nicht von der Hand zu weisen: Die UN-Sanktionen können nicht ad infinitum weitergeführt werden, wenn die Auflagen zur Vernichtung der A-, B- und C-Waffen erfüllt sind. Sonst verliert die internationale Politik an Glaubwürdigkeit.