Die Diktatur des Verdachts

Der Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin auf Kommunistenjagd

Nach Marx wiederholt sich die Geschichte manchmal als "Farce". Und eine solche Farce der Geschichte ist der sogenannte Forschungsverbund SED-Staat. Gleicht er doch der aus den Ruinen des Kalten Krieges wundersam wieder auferstandenen "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit". Diese KgU hat Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre einen privaten Kalten Krieg gegen die DDR geführt. Dies geschah vornehmlich mit publizistischen Mitteln und mit finanzieller Unterstützung der BRD. Die Kalten Krieger von der KgU wurden nicht müde, der bösen, bösen DDR alle möglichen Verbrechen anzulasten und jeden, der dies alles nicht so recht glauben wollte, als Kommunistenfreund zu denunzieren.

Genauso arbeitet der Forschungsverbund. Doch während die KgU immerhin einen noch sehr lebendigen Kommunismus bekämpfte, jagt der Forschungsverbund einem Phantom nach. Antikommunismus nach dem Ende des Kommunismus ist wie politische Peep-Show - man kommt irgendwie nicht ran an das Objekt der Begierde. Daher sind die Forschungsverbundler auch gezwungen, Hand an sich selber zu legen. Die allergrößten Elche waren nämlich selber welche: Viele Bündler blicken auf eine linke Vergangenheit zurück, die sie mit einem pathologisch wirkenden Eifer bewältigen möchten.

Zu nennen sind einmal museumsreife Ex-68er wie Bernd Rabehl, der offensichtlich schlaflose Nächte hat, weil er auch einmal "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!" gerufen hat. "Onkel Ho" war übrigens ebenso Kommunist wie der "Große Steuermann", zu dem sich ehemalige Maoisten wie Jochen Staadt einst bekannt haben. Schließlich die Grünen um Klaus Schöder, die alle aus einem hochschulpolitischen Ableger der Alternativen stammen, der sich Undogmatische Sozialisten nannte. Das Undogmatische an diesen Undogs war, daß sie schon einmal auf Hochschulebene die schwarz-grüne Koalition übten und Herrn Heckelmann zum Präsidenten wählten.

Dafür wurden sie reich mit Referentenposten und einem ganzen Institut belohnt, das sich im grünen Trend mit Technikfolgen und Umweltbelastungen beschäftigen sollte. Dazu wurde dann 1992 auch die untergegangene DDR gerechnet, auf die sich Schröder und Co. mit einem Eifer warfen, der Konvertiten schon immer ausgezeichnet hat. Flugs wurde ein im Unigesetz überhaupt nicht vorgesehener Forschungsverbund gegründet, dem es gelang, neben universitären auch weitere staatliche Gelder einzuheimsen. Wofür, ist eigentlich nicht so ganz klar. Die Methoden der neuen DDR-Forscher, die ihr Forschungsobjekt vor 1989 allenfalls aus dem Zugfenster gesehen hatten, sind nämlich mehr als dubios. Dabei gehen sie regelmäßig in drei Schritten vor. Zunächst finden sie wie andere Leute Ostereier oder Pilze im Wald gewisse "Quellen" in einer gewissen, in der Verfassung nicht vorgesehenen Behörde. Dann werden diese Quellen gescannt und schließlich in einem dritten Schritt an die diversen Presseorgane gefaxt. Nach dem Finden, Scannen und Faxen kommt schließlich die sensationelle Meldung nach dem Muster: "Stasi schuld am Tod von Jesus Christus. Pilatus war IM."

So weit, so lustig. Doch leider belassen es die Hobbyhistoriker vom Forschungsverbund nicht dabei. Sie finden nämlich in schöner Regelmäßigkeit Dokumente, die beweisen sollen, daß die eigene Universität völlig von der Stasi unterwandert gewesen sei, und daß verschiedene linke und sozialliberale Professoren ständig mit dem "totalitären" DDR-Staat gekungelt hätten.

Als erstes nahmen sie sich Jürgen Kocka vor. Anstoß nahmen die nekrophilen Antikommunisten daran, daß das SPD-Mitglied Kocka auch vor 1989 mit einigen seiner DDR-Kollegen geredet hatte. Daraus machten sie eine Art Verschwörung und insinuierten, daß Kocka aus Dankbarkeit für geleistete Dienste seine "Stasi-Spezis" mit Ämtern und Würden versehen hätte. Als willkommener "Beweis" galt der Historiker Olaf Groehler, der nicht angegeben hatte, vor 30 Jahren eine Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben und der daher sofort aus dem Potsdamer Institut für Zeitgeschichtliche Studien entlassen wurde, das damals von Kocka geleitet wurde.

Nach Kocka kam Lutz Niethammer an die Reihe, der inzwischen einen Ruf an die Universität Jena erhalten hatte. Auch Niethammer wurden seine Kontakte zu Groehler und seine Zugehörigkeit zur SPD angelastet, unter der sich die Verschwörungsneurotiker vom Forschungsverbund offensichtlich so etwas wie eine Super-Mafia vorstellen. Genosse Niethammer habe dann seinen Assistenten Uli Herbert in das Kuratorium für die thüringischen Gedenkstätten gehievt. Daß Herbert diesem Kuratorium (bzw. der vorangegangenen Historikerkommission) lange vor Niethammer angehört hatte, störte sie nicht.

Über Niethammer gab es in der Gauck-Behörde nichts. Dafür wurde immerhin ein Beurteilungsschreiben einiger DDR-Historiker gefunden, die Mitter der achtziger Jahre zu dem damaligen Oral-History-Projekt befragt wurden, das Niethammer in der DDR durchgeführt und dann unter dem Titel "Die volkseigene Erfahrung" publiziert hat. In diesem Papier war Niethammer von seinen Kollegen einerseits gelobt, andererseits aber auch getadelt worden, weil er - so wörtlich - "auf dem Boden der kapitalistischen Grundordnung" stünde. Wie nicht anders zu erwarten war, zitierten die Bündler natürlich nur die positiven Wendungen über Niethammer, die heute selbstverständlich negativ wirken. Die Bild-Zeitung brachte diese Story ganz groß heraus.

Ganz besonders schlimm trieben sie ihr Spiel mit Peter Steinbach, der Professor am Fachbereich Politische Wissenschaft und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist. Ihm wurde mit nun wirklich völlig einseitig und eindeutig falsch ausgelegten Dokumenten aus der Gauck-Behörde unterstellt, den kommunistischen Widerstand in der Ausstellung seines Hauses deshalb so breit gewürdigt zu haben, um sich bei Erich Honecker persönlich beliebt zu machen.

All dies riecht nicht nur, es stinkt nach McCarthy. Doch bevor auf die politische Seite einzugehen ist, muß noch kurz die Frage beantwortet werden, was die Leute vom Forschungsverbund eigentlich wissenschaftlich so machen. Eigentlich nicht viel. Sie beschränken sich im wesentlichen darauf, all das niederzumachen, was die Linken einstmals gut fanden und umgekehrt. Neulich hat der Ex-Maoist Staadt sein Herz für Gustav Noske ("der Bluthund") entdeckt und ihn mit den rechten Ex-Bürgerrechtlern aus der Ex-DDR verglichen, was er ganz ernst und ganz positiv meinte.

Ausgangspunkt und Leitlinie ihrer "investigativen Forschung" ist die Totalitarismustheorie, die eine Vergleichbarkeit und weitgehende Gleichartigkeit von Faschismus und Kommunismus postuliert. Im Unterschied zu den klassischen Faschismustheoretikern wie Hannah Arendt bezeichnen die Bündler vom Forschungsverbund auch die DDR als "totalitär". Wenn man die DDR mit dem Großdeutschen Reich vergleicht und gleichsetzt, dann kann man dies nur tun, wenn man von nationalsozialistischen Rassenkrieg und vom Holocaust abstrahiert. Kann man, darf man vom Holocaust abstrahieren? Kommt dies nicht einer, um Peter Gay zu zitieren, "trivilization by comparison" gleich?

Die Bündler weisen dies weit von sich, weil sie sich, so ihr nun wirklich kurioses Argument, nicht mit dem Holocaust beschäftigt haben. Offensichtlich haben sie das Wesen der Rot=Braun-Totalitarismustheorie immer noch nicht begriffen. Dies kann man begreifen. Sie sind schließlich neu im Geschäft. Doch Unwissen schützt vor Strafe nicht. Wie die Verfasser des skandalösen französischen "Schwarzbuches" setzten sie schon allein durch die Verwendung der Totalitarismustheorie "Klassen"- und "Rassengenozid" gleich. Die Anwendung der Totalitarismustheorie auf den - wie er mit gleichmachender Absicht genannt wird - "SED-Staat" ist ein Unsinn, durch den der NS-Staat relativiert, ja trivialisiert wird.

Hinzu kommt ihre schon erwähnte politische Methode, bestimmte ausgesuchte Linke bis Sozialdemokraten unter die Herrschaft des Verdachts zu stellen, wobei sich der Verdacht aufdrängt, daß sie dabei Materialien aus der Gauck-Behörde als politische Waffen benutzen.

Jürgen Kocka ist zuzustimmen, wenn er die Führer des Forschungsverbundes folgendermaßen charaktisierte: Sie seien "Meister der politischen Demagogie", "Autoren von Halbwahrheiten und Verzerrungen und Wissenschaftler ohne Glaubwürdigkeit und Seriosität - um es zurückhaltend zu formulieren".