Erfolgreich gedealt

Die Freilassung des ehemaligen ERNK-Sprechers Kani Yilmaz ist eine Gegenleistung für die Gewaltverzichtserklärung des PKK-Chefs Öcalan

Der Vorsitzende Richter Wolf-Dietrich Kupsch ließ keinen Zweifel über den Angeklagten Kani Yilmaz: "Er war bis zu seiner Verhaftung der erste Mann der PKK in Europa." Dennoch konnte der Kurde den Saal des Oberlandesgerichtes Celle vergangenen Mittwoch als freier Mensch verlassen. Obwohl der 3. Strafsenat Yilmaz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahre verurteilt hatte, muß der ehemalige Sprecher der ERNK, der Volksbefreiungsfront Kurdistan, nicht hinter Gitter. Das Gericht rechnete die Untersuchungshaft mit an, die Yilmaz bereits im Londoner Belmarsh-Gefängnis verbrachte hatte. Somit war die Hälfte der Haftzeit verbüßt, den Rest setzten die Richter mit Zustimmung der Bundesanwaltschaft (BAW) auf Bewährung aus. Damit ist der PKK-Politiker, der als Mitglied einer terroristischen Vereinigung für zahlreiche Brandstiftungen und andere Sachbeschädigungen zur Verantwortung gezogen wurde, ungewöhnlich gut weggekommen. Allerdings hatte kaum jemand mit einem anderen Ausgang gerechnet, schließlich war das Verfahren schon vor Beginn des Prozesses von intensiven Gesprächen zwischen BAW, Verteidigung und Staatsschutzsenat begleitet.

Yilmaz hatte wohl anderes zu befürchten, als er im Oktober 1994 in London festgenommen wurde. Auf Einladung der Labour Party sollte er dort vor Parlamentariern über Friedensperspektiven in der Türkei und eine Lösung der Kurdenfrage sprechen. Für den ERNK-Sprecher ist der Hintergrund seiner Verhaftung offensichtlich. Die Briten hätten ihn als "Good-will-Geste gegenüber Ankara festgenommen", sagte der kurdische Politiker der Jungle World. Einige Wochen vorher hatte Großbritannien mit der Türkei ein 350 Millionen Dollar-Rüstungsgeschäft abgeschlossen. Massive Vorwürfe erhob er auch gegen die britische Strafjustiz. Mehr als zwei Jahre habe er in dem Hochsicherheitstrakt des berüchtigten Belmarsh-Gefängnisses in Auslieferungshaft verbracht.

Im August letzten Jahres von Großbritannien an die bundesdeutsche Republik ausgeliefert, saß Yilmaz dann fünf Monate im Celler Knast. Der Vorwurf: Als Mitglied und Rädelsführer der PKK sollte er für Brandanschläge auf mehrere türkische Konsulate, Banken und Reisebüros in den Jahren 1993 und 1994 verantwortlich sein. Er selbst bezeichnet sich als Berufsrevolutionär und zählt zu den Männern der ersten Stunde, zu jenen also, die 1978 die Kurdische Arbeiterpartei gründeten. Nach seiner Verhaftung verurteilte ihn ein türkisches Gericht 1983 zu 21 Jahren Haft, zehn davon verbrachte er in dem Militärgefängnis Diyarbakir. Danach wurde er vorzeitig entlassen. Noch heute kann man die Folterspuren an seinem Körper erkennen. Bis 1993 arbeitete er unter anderer Identität als Journalist in Istanbul, dann mußte Yilmaz flüchten und ging nach Deutschland. Hier setzte er sich als Europasprecher der ERNK für eine politische und diplomatische Lösung des Kurdistankonfliktes ein.

Auch in dem fünfwöchigen Prozeß ließ Yilmaz keinen Zweifel an seiner Überzeugung und appellierte an die Bundesrepublik, den türkischen Staat stärker unter Druck zu setzen. "Mein Volk, das unendliche Leiden durchmachen muß", so Kani Yilmaz, "wird sicher frei werden, auch wenn noch größere Opfer abverlangt werden. Und die Freiheit wird es unter der Führung der PKK erreichen" - eine Position, die auch Yilmaz' Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz verteidigt: "Dieser Anspruch ist durchaus legitim, der Befreiungskampf ebenso, denn die PKK ist eine historische Notwendigkeit."

Schon Tage vor Ende des nur fünfwöchigen Verfahrens war durchgesickert, daß Kani Yilmaz als freier Mann den Gerichtssaal verlassen wird. "Kein typisches langwieriges Terrorismusverfahren der Vergangenheit, sondern ein beschleunigtes Strafverfahren in überaus freundlicher Atmosphäre", so das Fazit Rolf Gössners, dem zweiten Anwalt von Kani Yilmaz. Und tatsächlich wurde der Prozeß auch von den BAW-Vertretern mit Humor und unfreiwilliger Komik begleitet, schließlich war dem Prozeß ein "Dialog-Verfahren", eine ausführliche Kooperation und Verständigung zwischen BAW, Verteidigung und dem Staatsschutzsenat, vorausgegangen. Bereits im Januar letzten Jahres waren die Bundesanwälte nach London gereist, um Yilmaz im Belmarsh-Gefängnis zu besuchen und mit ihm das Procedere auszuhandeln. Der Deal war einfach: Auf die Anhörung von über 200 Zeugen und Sachverständigen sollte verzichtet werden, selbst der Angeklagte "konnte" schweigen: Kein Geständnis, dafür aber ein politisches Signal für die neue Linie der PKK kam über seine Lippen.

"Im Zusammenhang mit den Anschlägen des Jahres 1993 sind in Europa Fehler begangen worden", erklärte Yilmaz, und man werde sich in Zukunft dafür einsetzen, daß sich die Kurden in Deutschland an die Gesetze halten, um die politisch Verantwortlichen für ein Engagement im Sinne einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts zu gewinnen. Noch während des Verfahrens bekam Yilmaz Rückendeckung aus dem fernen Bekaah-Tal. Plötzlich sprach PKK-Chef Abdullah Özalan im Zusammenhang mit militanten Aktion von Fehlern. Seit 1997 finden nun auch Sondierungsgespräche zwischen der Bundesregierung und der kurdischen Guerilla statt. Wenige Tage vor Beginn des Prozesses hatte selbst die BAW erklärt, daß "nicht mehr von einem Bestand der PKK als terroristische Vereinigung in Westeuropa ausgegangen werden kann". Zweifellos hat sich die Gewaltverzichtserklärung ebenso, wie Anwalt Gössner bestätigt, "positiv auf die Prozeßatmosphäre ausgewirkt".

Das Celler Oberlandesgericht übernahm dann auch in seinem Urteil das Strafmaß, wie es die Bundesanwälte vorher gefordert hatten. Nun werden Yilmaz die 1 014 Tage Auslieferungshaft im Londoner Gefängnis, die wegen der schweren Bedingungen 1,2 deutschen Hafttagen entsprechen. In seiner Urteilsbegründung warf Richter Kupsch den Angeklagten vor, er habe die zur Last gelegten Straftaten als "Täter hinter dem eigentlichen Täter" angeordnet. Yilmaz habe die Anordnungen "im Interesse der kurdischen Sache" befohlen. Der Prozeß sei stark geprägt gewesen von der politischen Situation in der Heimat von Kani Yilmaz. Doch ausdrücklich wies der Vorsitzende Richter darauf hin, daß zu diesem Problem nicht wertend Stellung genommen werden könne; denn es dürfe nicht hingenommen werden, "daß Deutschland zu einem Nebenkriegsschauplatz der Türkei gemacht wird".