Nachruf auf einen Unternehmer

Ulrich Schamoni machte Programme für die Menschen, die er verachtet hatte. Der Zyniker mußte den Medienprofis weichen

Ulrich Schamoni ist tot. Still und leise starb der Filmemacher und Medienunternehmer in der letzten Woche an Krebs. Ein ungewöhnliches Ende für einen, der lieber mit einem Showdown ˆ la Hollywood abgegangen wäre. Die leisen Töne waren sein Ding nicht. Schamoni war einer der Lauten, Schrillen in der Medienbranche.

Unter den Kondolenzen fand sich auch die von Hans Hege, Chef der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MAAB). Der FDP-Mann pries seinen Parteifreund Schamoni als großen "Visionär, dessen Pläne nicht immer realistisch, aber auf jeden Fall mutig" waren.1966 schrieb Urs Jenny über Schamonis Film "es": "Ein echter Außenseiterfilm, aus der hohlen Hand finanziert, ganz ohne Kuratoriums-Segen und Staats-Spritzen, ein 'kleiner', kaum an falschen Ambitionen krankender Spielfilm, dessen Frische und Lebendigkeit alles übertrifft, was unsere Filmindustrie im letzten halben Jahrzehnt zustande gebracht hat (Ö) Damit ist allerdings mehr über diesen Wirtschaftszweig, der sich selbst ruiniert hat, als über Schamonis Werk gesagt."

Genauer hätte Schamonis Leben und das, was er zeitlebens unternommen hat, nicht beschrieben werden können. Der Mann war seiner Zeit häufig voraus. So hatte er bereits 1985 die Idee, einen lokalen TV-Sender ins Leben zu rufen. So einen gab es damals - drei Jahre nach der Kohlschen Wende und knapp ein Jahr nach der Zulassung von privaten TV-Sendern wie Eureka, Tele 5 oder Musicbox - noch nicht. Schamonis sollte Kanal 7 heißen und wäre, im Gegensatz zu allen anderen, tätsächlich neu gewesen. Denn Eureka und Co. wollten für die saubere Kleinfamilie senden. Sauber, nett, kantenlos und vor allem unpolitisch. Politik polarisiert und verschreckt diejenigen Zuschauer, die anders denken, wissen die Programmmacher der großen, privaten TV-Sender auch heute noch und geben sich politisch einigermaßen neutral. Schamoni nicht.

Sein Kanal 7 wäre das politischste TV-Projekt der achtziger Jahre gewesen. Reaktionär, miefig, tiefschwarz. Was sich gar nicht mal am Parteibuch festgemacht hätte. Schamoni war Mitglied der FDP, nicht der CDU, die Richtung hätte der "Dumpfberliner" vorgegeben, dessen Sprachrohr Schamoni auch damals schon sein wollte. "Wir sagen der schweigenden Mehrheit, daß sie die Mehrheit ist", war stets sein Sendemotto. Doch die Mehrheit hatte 1985 noch kein Geld, so daß Kanal 7 nie auf Sendung ging.

Für Schamoni kein Grund aufzugeben. Statt Fernsehen wandte er sich erst einmal dem Radio zu und gründete Radio 100, 6, die klingende Version von Kanal 7. Schamoni hatte die Fähigkeit, schnell aus Fehlern die richtigen Konsequenzen ziehen zu können. Deshalb sicherte er sich für 100,6 die Unterstützung der Reichen und Mächtigen dieser Stadt. Die sollten den "Sender mit Herz und Seele", die "Bild-Zeitung der Lüfte", bezahlen und taten es auch.

Vorbedingung, um in Schamonis Medien- Gesellschaft aufgenommen zu werden, war, neben Geld, auch die Mitgliedschaft in Berlins Baumafia. Immer irgendwie dabei: Erich Marx, Baumogul und guter Kumpel von Bürgermeister Eberhard Diepgen und Erich Groenke, nach Aussagen seiner Partner "extrem ehrgeizig und erfolgssüchtig" und nebenbei Geschäftsführer der Berliner Klingbeil Immobilien-Gruppe. Die hat seit dem Mauerfall die halbe DDR zu Schleuderpreisen aufgekauft und steckt der einen oder anderen Partei auch mal ein Scheinchen zu.

Auch die Einrichtung eines Kuratoriums, das die Meinungsfreiheit überwachen sollte, war nicht gerade paritätisch besetzt. Dort fanden sich Persönlichkeiten wie Marianne Kewenig, Gattin des damaligen Innensenators, Carola von Braun, ehemalige FDP-Vorsitzende, und Peter Raue, Rechtsberater der CDU.

Das Programm von 100,6 war entsprechend. Kein progessiver Ton kam in den ersten Jahren aus der Grunewalder Sendevilla. Im Gegenteil. Je schwärzer sich der Sender gab, desto mehr Hörer schalteten ein. Keine andere Station redete dem Volk so nach dem Mund, verbreitete jenen Mief aus Großkotzigkeit, Dummheit und Spießigkeit, der das Leben in Berlin so unertäglich machen kann.

Das Glanzstück des Senders lief nachts. 100,6 war der erste Sender, der auch erotische Gespräche ins Programm nahm. Mit enervierend einschmeichelnder Stimme plauderte "Samen-Frank" Schmeichel in "Bettgeflüster" mit und ohne Hörer über sogenannte Tabuthemen. Berlins Medienjournalisten quälten sich nächtelang am Radio, um das Spiel mit dem Bedürftigkeits- und Triebstau geißeln zu können. Ohne Erfolg. 100,6 blieb der beliebteste aller Berliner Radiosender. Da halfen auch alle kleinen Sabotageaktionen nichts. In der Anfangszeit mußte sich 100,6 die Frequenz nämlich mit dem Berliner Alternativfunk Radio 100 teilen. Eine ungleiche Konstallation, die regelmäßig zu Scharmützeln führte, wenn sich die, wegen ihres Logos "Froschfunk" genannten Kommerzfunker mit der Nationalhymne verabschiedeten und Radio 100 mit dem Geräusch einer Klospülung antwortete.

Soviel Frecheit fand die Medienanstalt gar nicht nett und verpflanzte Radio 100 kurzerhand auf eine neue Frequenz, als Schamoni Lust verspürte, 24 Stunden zu senden. Doch auch die verging ihm bald. 1991 wandte sich der ehemalige Filmemacher wieder den bewegten Bildern zu und gründete "Wir in Berlin", ein 37-Minuten-Programm, das montags bis freitags dort lief, wo sonst Sat.1 zu empfangen war.

Das Sendekonzept war denkbar einfach: Werbung, Schlagzeilen, Werbung, Sex, Werbung, Minimalunterhaltung. Die bestand aus der Illustration des Wetterberichts durch Frauen in spärlicher Bekleidung und der Assistentin eines Ratespiels, die nicht nur als "Vibration des Nachmittags" verkauft wurde, sondern sich im Anschluß an das Spiel auch auf den Hauptgewinnen räkeln mußte.

Doch 37 Minuten Fensterprogramm kann nicht alles sein, befand Schamoni. Da kam es ihm nur recht, daß die MAAB sieben Jahre nach seinem ersten Versuch, endlich die Frequenz für eine lokale TV-Station ausschreiben wollte. Und wieder wußte der Medienunternehmer, wer das Geld für die Realisierung seiner Pläne hatte. Nicht die Berliner Baumafia - soviele Millionen ließen sich durch Schiebereien dann doch nicht verdienen -, sondern US-Unternehmen wie Time Warner. Das Lizensierungsverfahren für den Sender nahm teilweise groteske Züge an. Denn Marx und Co. wollten sich von Schamoni nicht so einfach ausbooten lassen und bewarben sich ebenfalls um die Frequenz. Was zur Folge hatte, daß diejenigen, die Schamonis 100,6-Sender bezahlten, im TV-Geschäft plötzlich seine Gegner waren.

Doch Schamoni blieb Sieger, bootete die Baulöwen aus und erfüllte sich seinen langgehegten Traum. Einen eigenen Fernsehsender. IA, wie das Kfz-Kennzeichen der Ostberliner, nannte sich der Sender. Zur Einweihung sangen die Fischerchöre auf dem Alexanderplatz. "Schamoni standen die Tränen in den Augen", schrieb die B.Z. damals, nicht ahnend, daß der Tag des Sendestarts wohl der einzig fröhliche im kurzen Leben von IA war.

Denn Schamoni wußte zwar, wie das Volk denkt, wer das Geld hat, ein guter Fernsehchef war er nicht. Freunde beschreiben ihn als chaotisch und erinnern daran, daß Schamoni, vor lauter Vorfreude auf IA, vergessen hatte, eine Nachrichtenredaktion für den Sender zu bestellen. Eine Woche vor Sendestart fiel ihm das Versäumnis ein, und jeder Journalist, der nicht gerade lispelte, konnte einen neuen Job bekommen. Sehr zum Unwillen seiner Geldgeber von Time Warner. Die wollten mit dem Sender Geld verdienen, und das stellte sich als schwierig heraus.

Der billige IA-Mix aus Dilettantismus, Heimattümelei und schlechten Spielfilmen kam beim Zuschauer nicht an. IA wollte niemand sehen und wurde immer mehr zur Lachnummer. Was Schamoni tief traf. Doch für Sentimentalitäten ist in der Führungsetage von Time Warner kein Platz. Nach einem heftigen Streit um die Richtung des Senders, wurde Schamoni in einem hausinternen Putsch abgesetzt. Sein Traum eines lokalen TV-Senders mit Heimatprofil währte nur ein Jahr. Dann übernahmen andere das Ruder und führten den Sender in den Bankrott. Direktor einer Filmabspielstation hätte Schamoni ohnehin nicht sein wollen.