Nationale Identität

Wickerts Freiheit

Vor einiger Zeit hat der als "Tagesthemen"-Moderator bekannt gewordene Journalist Ulrich Wickert ein Buch mit dem Titel "Der Ehrliche ist der Dumme" geschrieben. Das Werk, bar jeden originellen Gedankens, reiht sich ein in jene Klagen über den Verfall von Sitte, Moral und Arbeitseifer, die in der Regel von außer Dienst gestellten Regierungsmitgliedern und Konzernchefs abgesondert werden. Buchhändler legen solche Bücher immer in die Zone des schnellen Zugriffs, in der Hoffnung, der vorbeihastende Kunde möge sich darauf besinnen, daß irgendwer morgen Geburtstag hat.

An der Stimmung im Land ändern solche Bücher nichts, weil eh nur drinsteht, was alle denken. Gerade deshalb sind sie so widerwärtig: Weil die allgegenwärtige und häufig völkisch grundierte Klage über kriminelle Autohändler, bürgerferne Politiker, korrupte Beamte, dumme Professoren und unfähige Manager hier zum konzertierten Angriff auf das Wohlergehen des nationalen Kollektivs objektiviert wird, dem nur mit mehr Gemeinsinn zu begegnen sei. Und nie fehlt der Hinweis, den mittlerweile jeder Gewerkschaftsfunktionär herunterbeten kann: Gegen Anspruchsdenken seien Verzicht und Opferbereitschaft notwendig, um im globalisierten Konkurrenzkampf als Nation gut abzuschneiden.

Jetzt hat Wickert wieder ein Buch geschrieben: "Deutschland auf Bewährung". Ich habe es nicht gelesen und werde es erst recht nicht tun, nachdem Wickert neulich in einem Interview umrissen hat, welcher Unsinn drinsteht.

Frage: "Sehen Sie die nationale Identität in Deutschland als notwendig an?"

Wickert: "Ja, denn eine Identifikation mit der Gesellschaft muß sein. Wenn ich sage, mit der Gesellschaft, in der ich lebe, habe ich nichts zu tun, dann ist das schlimm. Nur wenn ich etwas für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft tue, dann kann ich auch irgendwann sagen, ich bin stolz, was ich aus diesem Ding gemacht habe. In diese Richtung muß auch die nationale Identität gehen."

Das Interview mit Wickert war in der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit abgedruckt, ob Wickert zum Zeitpunkt des Gesprächs wußte, in welchem Blatt es erscheinen sollte, muß offenbleiben. (Eine entsprechende Anfrage von Jungle World wurde von Wickert nicht beantwortet.)

Allerdings steht fest, die rechte Redaktion hat einen Feind weniger und kündigt neuerdings auch Wickerts Buchpräsentationen in ihrem Terminkalender an. Bisher galt der ARD-Frontmann hier als Apostel der verhaßten political correctness, auch weil er den stockbraunen Hans-Helmuth Knütter in den "Tagessthemen" attackierte. Daß die Junge Freiheit-Redaktion strammsteht, sobald jemand die Begriffe "Nation", "Gemeinschaft" und "Tugend" miteinander verkoppelt, ist bekannt. Daß die Liberalen der neunziger Jahre gerne die Begriffe "Tugend", "Gemeinschaft" und "Nation" zusammenbringen, ist auch bekannt. Die daraus entstehenden Verbindungen können durchaus Zwangsgemeinschaften sein.

Gemeinschaften sind es allemal.