Die Bauteile des Krieges

Zwei Studien zur Logik der Militärmaschinerie: Ulrich Bröckling untersucht die Geschichte soldatischer Gehorsamkeit, Stefan Kaufmann die telemediale Rüstung

Vom Krieg und vom Militär zu sprechen, überlassen politisch Bewegte hierzulande gerne anderen. Und wenn sie sich doch den Phänomenen des Krieges zuwenden, dann geschieht das häufig in stark moralisierender Weise. Gern scheint man sich mit der Auffassung zu begnügen, Krieg sei ein Raum der Gewalt und Kriegstechnologie eben deshalb zum Töten da.

Wiewohl dies nicht falsch ist, kann man sich eigentlich denken, daß damit nicht alles gesagt ist. Durch Konflikte, wie dem auf dem Balkan oder den Golfkrieg, ist eine moralische Position schnell überfordert. Zur nach wie vor nötigen Klärung der gesellschaftlichen Bedeutung und Funktion des Krieges und des Militärs tragen zwei neue Bücher bei.

In seiner soziologischen Studie mit dem Titel "Disziplin" untersucht Ulrich Bröckling die modernen Technologien militärischer Gehorsamsproduktion auf acht historischen Plateaus. Beginnend mit der Wiedererfindung der militärischen Körperdisziplinierung in der Heeresform der Oranier, die auf einer in erster Linie von Justus Lipsius vorgenommenen Lektüre antiker Schriften beruht, verfolgt Bröckling den Weg der Disziplinartechnologien über den preußischen Militärabsolutismus und das friderizianische System bis zur Erweckung der patriotischen Leidenschaften in der Französischen Revolution. Im 19. Jahrhundert angelangt, lenkt er den Blick auf die diskursive Konstruktion des "inneren Feindes", die auch daher rührt, daß dem Militär in der von revolutionären Strömungen durchdrungenen Gesellschaft dieser Zeit Polizeiaufgaben zugesprochen werden.

Pikant ist Bröcklings Studie dort, wo er den "gehorsamen Antimilitarismus" der Sozialdemokratie in den Blick bekommt. "Dem eigenen Verständnis nach hatte die Sozialdemokratie stets in radikaler Opposition zum Obrigkeitsstaat gestanden (...). Unterhalb der politisch-ökonomischen Interessengegensätze entpuppt sich die Feindschaft jedoch als ein Verhältnis antagonistischer Kooperation und die Partei als höchst effiziente Disziplinierungsagentur. Gerade ihr Selbstbild als Kampforganisation hatte es der Sozialdemokratie ermöglicht, die Kontrolle der proletarischen Massen weit wirkungsvoller zu betreiben, als die Staatsorgane es vermocht hätten." Und so ist es dann 1914 in den Krieg gezogen, das "internationale" Proletariat.

Als sechstes Plateau wird die "Disziplinierung der Nerven" im Ersten Weltkrieg beschrieben; ein Vorgang, an dem die Psychoanalyse ihren Anteil hatte. Der totale Staat schließlich faßt nicht nur radikal alle bisherigen Technologien der Disziplin zusammen, sondern setzt zusätzlich auf die "Vernichtung der Unzuverlässigen". Die "Dreieinigkeit von totalem Krieg, totalem Staat und totalem Feind" reicht weit in den Bereich des Bio-Politischen hinein und bedingt Programme zur "Ausmerzung" von "Minderwertigen". Inwieweit diese Form von Macht noch unter die Begriffe von Disziplin und Gehorsam gefaßt werden kann, bleibt für den Autor allerdings fraglich. Auf jeden Fall aber haben die Vernichtungsprogramme die Wirkung gehabt, jene noch im Ersten Weltkrieg erfolgreichen, "neurotischen" Gegenstrategien des Körpers einzudämmen, denn am Ende einer diagnostizierten psychischen Erkrankung steht nun nicht mehr das Lazarett oder die Heimatfront, sondern das Konzentrationslager.

Im allgemeinen ist man gerne geneigt, nach Faschismus und Zweitem Weltkrieg einen Bruch zu konstatieren. So wird schnell zugegeben, daß die Methoden der Gehorsamsproduktion in der Armee eines demokratischen Staates, z.B. der Bundeswehr, zurückgenommen werden. Der Soldat wird, einer Formulierung Wolf Graf von Baudissins zufolge, zum "Staatsbürger in Uniform". Ohne diese Wertung zu bestreiten, zeigt Bröckling doch, daß auch eine neue Disziplinartechnologie entsteht. Innere Führung und Funktionsdisziplin, militärsoziologische "Devianz"-Forschung und die Einführung eines Ersatzdienstes, der potentielle Störer von vornherein aussortiert, bilden eine neue Konstellation, die weitertreibende Momente in die militärische und gesellschaftliche Gehorsamsproduktion einfügt. Jenseits moralisch-polemischer Reduktionen oder legitimatorisch-normativer Überhöhung weist diese Untersuchung den Weg zu einem angemessenen Verständnis von Struktur und gesellschaftlicher Bedeutung des Militärs in zeitgenössischen Demokratien.

Die Studie nimmt Michel Foucaults Konzept von Macht und Gegenmacht ernst. Deshalb untersucht sie nicht "die" Disziplin, vielmehr spricht sie von Disziplinen und analysiert diese im Verhältnis zu entsprechenden Fluchtlinien, wie z.B. Desertionen und Militärrevolten. Es soll keine weitere der so beliebten Untergangsgeschichten erzählt werden. Aber entgegen den geweckten Erwartungen hat man am Ende doch den Eindruck, daß sich die Möglichkeiten der Disziplinarmacht kumulativ, von Plateau zu Plateau, steigern. Man weiß darum auch nicht so recht, was man sich vorstellen soll, wenn der Autor am Schluß einen Vorschlag zur "Militärkritik" macht. Demnach wäre für eine solche Kritik "das Bild vom Computervirus, der den Rechner bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf Hochtouren laufen läßt, ohne daß je ein Ergebnis herauskäme", zeitgemäß.

Wer sich jedoch mit dem Thema befaßt, wird um diese Genealogie der modernen Disziplin kaum herumkommen.

Dies gilt auch für Stefan Kaufmanns Studie zur Verzahnung von "Kommunikationstechnik und Kriegführung", die technische Medien als Technologien des Krieges in den Blick nimmt. Kaufmann untersucht die "Stufen telemedialer Rüstung" von 1815 (Waterloo) bis 1945 (Stalingrad). In diesem Zeitraum beschreibt er vier Stufen telemedialer Aufrüstung, die zugleich eine Vergrößerung des militärischen Gewaltpotentials implizieren.

Als erste Stufe beschreibt Kaufmann die Face-to-face-Kommunikation, die sich durch die "optisch-akustische-Präsenz sämtlicher Akteure" auf dem Schlachtfeld auszeichnet. Obwohl dieses Niveau der Kriegführung eher dem 18. Jahrhundert zuzurechnen ist, findet es mit der Schlacht bei Waterloo noch einmal sein spätes Paradigma. Zentrum der Schlachtformation ist der "geniale Feldherr", der sich, auf einem Hügel plaziert, Informationen über Auge (Fernglas), Ohr (Kanonendonner, Geräusch des Schlachtgetümmels) und Boten, die zu Fuß oder beritten unterwegs sind, verschafft.

Insgesamt kann diese telemediale Stufe der Kriegführung als "Ordnung des Sichtbaren" bestimmt werden. Der Feldherr hat den Überblick zu bewahren und zugleich Vorbild zu sein, etwa beim Angriff. Selbst im Bereich strategischer und operativer Raumdimensionen bleibt diese Ordnung gewahrt, denn hier verläuft die Kommunikation mit Hilfe der optischen Telegrafie. Diese wirkt sich vor allem bei Mobilmachung und Koordination verschiedener Heeresteile als Beschleunigungsfaktor aus, und sie verkürzt militärische Reaktionszeiten.

Eisenbahn, elektrischer Telegraf und die Einführung der Institution des Generalstabs sind die wesentlichen Elemente der "linear gesteuerten Kriegführung auf telegrafischem Niveau", die für den Zeitraum von 1870 bis 1914 zu veranschlagen ist. Das "zentrale Medium der Nachrichtenübertragung (Ö) war der Telegraf, der als 'Nervensystem' der Armee fungierte; die Möglichkeit, eine halbe Million Soldaten aus einer Entfernung bis zu mehr als 1 000 km innerhalb von 22 Tagen mobilzumachen und aufmarschieren zu lassen, basierte auf der Geschwindigkeit und der Transportkapazität der militärischen 'Lebensadern', den Eisenbahnen; die Steuerung von Soldaten- und Materialmassen durch die Synchronisation der Geschwindigkeit der Eisenbahnen ging von einem bürokratischen Zentrum der Leitung aus: dem preußischen Generalstab als dem 'Gehirn' der Armee."

Im Ersten Weltkrieg entwickelt sich schließlich ein "telefonisches Kommunikationsniveau", das einer "netzförmigen Kriegführung" entspricht, die für den "unterirdischen Krieg" typisch ist. "Um der Gewalt der industriellen Kriegsmaschinen zu entgehen, setzte die zonenförmige Verteidigung auf ein dezentrales Gefüge in Form verstreut angeordneter Widerstandsnester. (Ö) Widerstand hatte die Form eines flexiblen Netzes aus einzelnen, lose verbundenen Knotenpunkten angenommen."

Das Telefon ist zwar eine zivile Erfindung, aber es entspricht den Anforderungen dieser Kriegführung und wird deshalb vom Militär adaptiert. Keineswegs, so zeigt Kaufmann, läßt sich die Verbindung von Kriegführung und Kommunikationstechnologie durch einen medientheoretischen Monismus begreifen. Der militärischen Implementation bzw. der Erfindung eines neuen Mediums im Horizont des Krieges geht ein Diskurs voraus, der dieses Medium fordert. So beginnen die Diskussionen um die Militärintegration des Telefons bereits 1878. Dabei zeigt sich, daß starke Vorbehalte existieren. Im Gegensatz zum telegrafischen Verfahren etwa werden telefonische Befehle nicht automatisch protokolliert, so daß die Urheber auftretender Übertragungsfehler sich nicht mehr feststellen lassen.

Mehr noch, eine netzförmige telemediale Struktur erlaubt auf taktischer Ebene die unmittelbare Kommunikation untergeordneter Stellen miteinander, ohne daß übergeordnete Stellen oder Stäbe in diese Kommunikation noch einbezogen werden müssen, diese also nicht kontrollieren können. Andererseits ist ein Telefon leichter als ein Telegraf, und es bedarf keiner Spezialisten, um es zu bedienen. Und so entsprechen die telefonischen Netze so sehr den Anforderungen des Stellungskrieges, daß sie schließlich entgegen aller Vorbehalte eingeführt werden.

Viertens beschreibt Kaufmann das funktechnische Niveau der Kriegführung. Es beruht vor allem auf der Integration des Radios, insbesondere des UKW-Funks. Es verbindet sich mit Technologien der bewegten Kriegführung, z.B. dem Panzer und dem Flugzeug; es bedingt einen neuen, technisch-psychologischen Führungsmodus und impliziert die zunehmende Relevanz "des Kampfes um Aufklären und Tarnen". Zum Radio, so zeigt Kaufmann, ohne auf medientheoretische Slogans zurückzugreifen, gehört ebenso die Konzeption des "totalen Krieges", die vor allem von Erich Ludendorff entworfen worden ist.

Die Führungsdiskurse der Wehrmacht, wonach "Technik und Seele (Ö) in ein komplementäres Verhältnis treten" sollen, haben politische Implikationen gehabt, die der Autor nicht vergißt zu erwähnen: "Aus militärischer Logik konnte die NS-Ideologie bruchlos zur Ideologie der Wehrmacht wie auch der einzelnen Soldaten werden. Die innere Motivation folgte der politischen Überzeugung, Führungstechniken waren weltanschaulich angebunden. (Ö) Das Bild des Soldaten, das die Wehrmachtsführung zu vermitteln suchte, glich letztlich dem von der SS verkörperten. Auf der Basis ideologischer Geschlossenheit hatte der Kämpfer ausschließlich einer reinen Destruktionslogik zu gehorchen."

Auch wenn Kaufmann einschränkend bemerkt, daß "die Wehrmacht nicht in ihrer Gesamtheit den Schwenk zum Exponenten eines politisierten Soldatentums gemäß dem SS-Modell" mitgemacht hat, so hält er doch fest, daß sich "ein Offiziers- und Führertypus" durchsetzt, dem es vor allem um technische Effizienz geht und der "um der Effizienz willen die ideologische Geschlossenheit an zentrale Stelle" rückt.

Kaufmanns Arbeit zeigt sich als eine der wenigen sowohl medientheoretisch als auch soziologisch abgesicherten Untersuchungen zum modernen Verhältnis von Kriegführung und Neuen Medien. Er verzichtet auf überflüssiges Moralisieren und auf theoretische Engführung, um sich umso mehr "der Sache" zu widmen. Methodisch steht seine Analyse Foucault näher als Virilio oder McLuhan. Er untersucht in sorgfältiger Trennung alle Ebenen der Kriegführung (taktische, strategische und operative Ebene), um dort die Friktionen festzuhalten, die den Gang der Kriegsmaschine stören.

Beide Studien widmen sich Krieg und Militär, wie sie in der Mitte der abendländischen Moderne entstanden sind, und wecken Zweifel an der scheinbaren Selbstverständlichkeit der Grenze zwischen dem Krieg und seinen Institutionen einerseits und der Zivilgesellschaft andererseits.

Ulrich Bröckling: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion. Wilhelm Fink-Verlag, München 1997, 364 S., DM 68

Stefan Kaufmann: Kommunikationstechnik und Kriegführung 1815-1945. Stufen telemedialer Rüstung. Wilhelm Fink-Verlag, München 1996, 407 S., DM 68