Madonna-Maria-Domina-Evita-Shiva

Madonna hat keine Zeit mehr, Lippenstiftfarben auszuwählen und entscheidet sich für farblosen Gloss.

"The bitch can't even sing." (Eine Frau, die von bell hooks zu Madonna befragt wurde, 1992)

Die Frau verschwindet im Ethno-Eso- Kitsch. In ihrem neuen Video "Frozen" ist Frau Chamäleon Ciccone die digital gemorphte Inkarnation einer indischen Tempeltänzerin (Fingerbewegungen und Henna auf den Händen). Lene Lovic goes Tuareg-Style. Sie kombiniert ihr altes Wave-Image (Make-up, Haare, Ketten) mit sphärischen Auflösungs-Phantasien. Inmitten eines Nirgendwo, zeitlos (was durch Wolkenzüge im Zeitraffer dargestellt wird) und im endlosen Raum (Wüste, Berge, Anti-Landschaft), transformiert sie sich in schwarze Raben, läßt Doggen auf sich rennen und singt dabei eines der belanglosen Lieder. Passenderweise geht in dem neuen Album "Ray of Light" dem Titel "Frozen" ein indischer Meditationsgesang, "Shanti/ Ashtangi", ein Shantra, voraus, worin sie sich, von Raum und Zeit befreit, in andere Sphären aufzulösen scheint.

Abgesehen davon, daß die Verwandlung diesmal nicht ganz hinhaut - Madonna sieht halt überhaupt nicht aus wie eine indische Innerlichkeits-Ganzheitlichkeits-Prinzessin, sondern eher wie eine gemäßigte Nina Hagen, die in bester Hair-Manier durch den Raum schwebt -, ist ihr Imagewandel, besser: ihre Rollenweiterschreibung ziemlich interessant. Natürlich kann man sich fragen, ob das der Höhepunkt oder das Ende der sich selbst herstellenden post-feministischen Frau der späten Neunziger ist. Ob das die endgültige Befreiung vom Katholizismus durch orientalische Karma-Arbeit bedeutet, oder ob ihr nach der ultimativen Madonnen-Erfüllung - Tochter Maria - zur Zeit einfach nichts Besseres einfällt.

In Interviews gibt Madonna zu verstehen, die Zeit sei knapp und dürfe nicht mehr mit der Wahl der richtigen Lippenstiftfarbe vertan werden; daß sie sich sehr sehr glücklich, innig und innerlich fühle, seit Maria Ciccone Leon da ist; daß genug Karrierebeweise erbracht seien und sie sich nun zu neuen Ufer aufmache.

O.k., die Frau ist jetzt 40, hat ein Kind und den Karriere-Peak wahrscheinlich schon hinter sich. Was bleibt, als sich auf Wesentliches zu konzentrieren - ein bißchen Esoterik, ein wenig Indien, natürliche Frisur und perfekt geschminktes natural Make-up?

"Ray of Light" (Lichtstrahl) ist ein eher belangloses Alterswerk des Pop. Im Madonna-Kontext allerdings ist es wieder ein rigoroser Stilbruch, eine Wandlung, ein neuer Chamäleontrick, der wohl nicht minder gefeiert werden wird als die vorherigen: Evita-Sex-Domina-Heilige-Maria-Magdalena, um in ihrer Bildsprache zu bleiben.

Es ist keine MTV-Generation vorstellbar, die nicht durch die New-Wave Popperin in "Like A Virgin", Madonna Monroe in "Material Girl", die Bustierträgerin und Perfect-Blonde geprägt wäre. Ohne MTV, ohne visuelle Vermittelbarkeit ihrer Vorstellung eines Gesamtkunstwerks wäre aus der Sängerin Madonna wohl nie ein ein Star geworden. Obwohl sich jeder ihrer Singleauskoppelungen immer sofort an der Spitze plazierte, gibt es nur wenige ganz harte Fans, die sich eine komplette Platte anhören könnten, ohne vor Langeweile abzudrehen. Andererseits gibt es fast niemanden, der nicht zumindest mitsummte, wenn "Express Yourself", "La Isla Bonita" oder sonst eine Madonna-Hit-Produktion läuft. Aber nur mit ihrer Musik hätte sie niemals das vermitteln können, was sie als Video-Star, Schauspielerin oder Model an Bedeutung transportierten konnte.

In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern galt sie als absolutes Modell für veränderbare Selbsterschaffungen, als Inkarnation der mißverstandenden, glam-gewendeten Gender-Performance-These Judith Butlers. Frau Ciccone war für alle Voguer, Party-Queens, für toughe Postfeministinnen und interessierte Pop-KulturalistInnen die Substanz für eigene Selbstverwirklichungsphantasien. Nichts, was diese Frau nicht überzeugend darstellen konnte, so gegensätzlich die Rollen auch waren. Madonna war stilbildend seit dem Tag X, als sie mit tausend Ketten um den Hals und Gothic-Spitzenklamotten in "Susan, verzweifelt gesucht", auftrat. Bauchnabelfrei, in Stiefelchen und Unterwäsche war sie die Urmutter, der dann später die Töchter Girlism und Tank Girl folgten. Daß sie determined to win war, hat sie von Anfang an klar gemacht, was ihr natürlich immer wieder die beleidigte Kritik männlicher Machterhalter einbrachte. Was will diese überambitionierte Hauptgewinnlerin? Ausverkauf, Pornographie, Rüderie, Unweiblichkeit oder Überbetonung der Weiblichkeit - nichts, was ihr noch nicht vorgeworfen wurde.

Madonna als postfeministische Ikone, als das Gegenteil von Natürlichkeit - alles an ihr war konstruiert; Images hat sie sich selbst auf den Körper geschrieben, aber nicht eingeschrieben, und Probleme mit dem rasend schnellen Wechsel hatten nur die anderen. Für Madonna war das Fun. Sie hat sich ihren eigenen kulturellen Raum geschaffen, innerhalb der material world. Geld war für sie immer synonym mit Erfolg, was ihr auch Kritik von Linken einbrachte, andererseits aber, zumindest von Mainstream-Feministinnen, zum ganz besonders cleveren Schachzug erklärt wurde.

In der Woche wurden "12 prominente deutsche Frauen" über "ihr Verhältnis zu Madonna" befragt: Heike Makatsch will "Tee für sie kochen" und ihre Freundin werden; Doris Schröder-Köpf meint, Madonna habe bewiesen, daß Frauen in der Musikbranche "nicht Spielball männlicher Interessen" sein müssen; Isabelle Graw, die Herausgeberin der Texte zur Kunst, sieht in Madonna die Verkörperung des "entpolitisierten Postfeminismus", der "strukturelle Diskriminierungen zu Gunsten individueller Strategien" ausblendet; Sabrina Setlur, Jil Sander, Nina Ruge - keine, die nicht auf Madonnas Karriere-Skills verweist. Problemlos könnte sie in eine Reihe mit Hillary Clinton, Oprah Winfrey, Madeleine Albright, meinetwegen auch noch Maggie Thatcher gestellt werden, obgleich immer wieder betont wird, daß sie sich nie an geschlechtsspezifische Rollenvorschriften gehalten hat.

Hat sie natürlich doch, was aber egal ist, denn selbst dann wurde aufgeschrien: zu exhibitionistisch, zu pornographisch, zu hedonistisch. Ob "Sex", das Madonna-Buch mit Fotos im Fetisch-Look und einem Hauch von S/M, Sex-Tränen für den schwarzen Messias, "Justify my Love" mit multiplen Besetzungen oder "Im Bett mit Madonna" - das alles war nicht nur die üblicherweise zugestandene Öffentlichmachung weiblicher Sexualität, wie sie im Playboy, den Peep-Homestrips oder "Baywatch" vorkommt: Das war eine, die zeigt, was sie will, wie lange und von wem. Ohne die Erwartung zu erfüllen, daß sie denen, die als Accessoires ihrer Lusterfüllung dienen, im Gegenzug deren Sehnsüchte stillen würde. Madonna entzog und entzieht sich der Bemächtigungsphantasien. Die Frau läßt sich nicht zwischen die Beine fassen, sie greift sich selbst öffentlich in den Schritt und meint: Suck My Dick!

Daß sie uns damit den härteren Michael Jackson gibt, veranlaßte bell hooks, radikale afrikanisch-amerikanische Kulturkritikerin, dazu, die Black-Culture-Anleihen in Frau Ciccones Imagekonstruktion zu kritisieren. Madonna bediene sich nicht nur, so hooks, aus der schwarzen Kultur (auf die Madonna, die als Kind nach eigenen Aussagen schwarz sein wollte) neidisch sei, sondern bediene sich eben nur ganz gewisser transformierbarer Zeichen, um den Rest - die sozialen Konsequenzen - außer acht zu lassen. Eigentlich, so hooks, bleibe Madonna im weiß-männlichen Mainstream-Diskurs und verhandle, unter Rückgriff auf schwarze Maskulinität, mit weißen Männern über die Überwindung ihrer Geschlechteridentität. Indem sie, wie in "Like a Prayer", die Inszenierung des immer noch gängigen weißen Schreckensbildes vom unschuldigen, weißen Mädchen in einen sexualisierten (und hier katholisch konnotierten Heiligenstatus) Zusammenhang mit einem schwarzen Mann bringt, bedient sie gleich zwei Tabus: Zum einen ist es die Verbindung zwischen der weißen Frau und dem schwarze Mann. Zum andern, und das ist für bell hooks wichtig, überschreitet sie die hierarchischen Geschlechtergrenzen, in dem sie sich den schwarzen Mann wählt, und nicht - wie herkömmlich konstruiert - zwangsweise von ihm genommen wird. Für hooks ist dies kulturelle Kolonisation, und auch der Grund, warum Madonna keine Fangemeinde unter schwarzen Frauen hat: Sie nimmt sich die Black-Culture als Radical-Chic-Element, allerdings nur, um über diese Accessoires im hegemonialen Diskurs der weißen patriarchalen Kultur zu konkurrieren.

Andererseits ist es gerade Madonnas "Ich wähle-und-will-nicht-erwählt-werden"-Statement, was ihr unter weißen Frauen so viel Respekt einbrachte und ihren Madonnen-Ikonen-Status gefestigt hat. Sie hat nicht nur bestimmt, welchen Sex mit wie vielen Männern oder/und Frauen sie haben will, sie hat gleichzeitig auch darauf bestanden, keinen Sex haben zu dürfen. Das Spiel der Domina hat sie perfekt beherrscht - offensiv herzeigen und gleichzeitig verwehren: Liegt mir zu Füßen, dann dürft ihr meine Hacken küssen. Daß sie Gay-Porn-Star Tony Ward beim ersten One-Nighter Zigaretten auf dem Rücken ausdrückte, paßt dabei genauso ins Don't-fuck-with-me-Bild wie die Beschützerinnen-Rolle, in der sie als Mutter die Tochter vor der Öffentlichkeit abschirmt. Und natürlich auch der Fakt, daß sie sich ihren Bodybuilding-Trainer Carlos Leon ausschließlich als Inseminator, nicht als Vater für ihr Kind gewählt hat, und - ganz material girl - mögliche finanzielle oder familiäre Ansprüche des Samenspenders notariell unterbunden hat.

Mit dieser Rolle der Und/Auch-Mutter ist sie in den Neunzigern in guter Gesellschaft. Courtney Love, Kim Gordon, Demi Moore, Pamela Anderson sind Frauen, die keinen Image- oder Karriereknick hatten, nur weil sie Mütter geworden sind. Und das nicht, weil Medialand irgend etwas kapiert hätte, sondern vor allem, weil Frauen hart am Nicht-Mutter-Image gearbeitet haben. Ganz stimmt das im Fall Madonna zwar nicht. Wäre ja auch merwürdig, wenn es bei ihr - ihrem Namen, dem ihrer Tochter und der perfekten Beherrschung katholischer Ikonographie - nicht doch einen Haken gäbe.

Madonna wird Mutter Maria, und wie schon in ihrer pathetisch-unkritischen Evita Per-n-Rolle stürzt sie sich in die entsexualisierte Mutter-Rolle, die mit Innerlichkeitskram, Natürlichkeits-Wahn und Esoterik-Geblubber verklärt wird. Daß das nächste Projekt ausgerechnet ein Musical mit Goldie Hawn werden soll, ist da fast folgerichtig. Jedenfalls kann dieses Projekt beim besten Willen nicht als punkige White-Trash-Aktion durchgehen. Vielmehr scheint es hooks recht zu geben, die Madonna als moderne Shirley Temple bezeichnet hat. Vielleicht entschwindet die Frau aber auch demnächst auf einem Lichtstrahl mit Maria auf dem Schoß ins Nirwana, wo sie zur Linken des großen Vaters sitzen darf.

Madonna: "Ray Of Light". (WEA)