Offener Arsch

Der Offene Kanal Berlin (OKB) ist auch für Nazi-Propagandisten offen

"Hier können Sie ihre Meinung sagen", wirbt der Offene Kanal Berlin (OKB) gerne für seine Sendungen. Tatsächlich ist in der Berliner Voltastraße alles möglich. Auch rechtsradikale Propaganda. Am 12. Februar zwischen 22 und 23 Uhr konnte Siegfried Quaißer die Sendung "Mißverständnisse oder die Wahrheit über Hitler und den Nationalsozialismus" bestreiten; 60 Minuten lang, wie immer live im OKB-Studio. Beim "sogenannten Holocaust an Hunderttausenden von Juden" werde vieles falsch dargestellt, heißt es darin (siehe Dokumentation).

Der Mann ist nicht das erste Mal, sondern bereits zu ganz verschiedenen Themen im OKB aufgetreten. Bislang waren seine Thesen allerdings lediglich irrelevant. Rechtsradikale Propaganda steht neu auf seinem Sendeplan. Beim Offenen Kanal sah sich niemand "so schnell zu einer Stellungnahme in der Lage". Erst müsse die Sendung ausgewertet werden, erklärte ein Mitarbeiter gegenüber Jungle World.

Diese Reaktion der OKB-Leitung war absehbar: "Sendeverbot für den Produzenten" und moralische Entrüstung über den Mißbrauch des Offenen Kanals. Gegen solche Sendungen im Vorfeld anzugehen, ist schwierig, pflegt OKB-Chef Jürgen Linke in vergleichbaren Fällen stets zu sagen. Die Landesmedienanstalt kann die Sendung nur absetzen, wenn sie gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt. Rechtsradikale Propaganda zu verhindern, damit tut sich Linke schwer.

Der OKB-Chef, politisch der SPD nahestehend, verweist stets auf das Prinzip des Amateursenders, daß "alle Leute, die zu uns kommen, senden dürfen". Auch die Kameradschaft Beusselkiez, stadtbekannte Aktivisten der Partei Die Nationalen und der Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP). Die verbreiteten 1996 im OKB-Radioprogramm Neuigkeiten aus der Neonazi-Szene. "Heil euch, ihr Kameraden", war die Standardbegrüßung in der Sendung, die mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes ausklang. Die Namen des Programms änderten sich von Sendung zu Sendung. Mal hießen sie "Radio Germania", mal "Radio Deutschland". Der Zweck solcher Sendungen blieb immer der gleiche: "Den Weg über den Aufbau eigener Medien wie etwa Radio Deutschland halte ich für wesentlich erfolgversprechender, als an Wahlen teilzunehmen", war 1996 im rechtsradikalen Thule-Netz zu lesen.

Erst nach Presse-Berichten und Demonstrationen antifaschistischer Gruppen vor dem Sendegebäude, schritt Linke zur Tat: Zwei Monate Hausverbot erteilte der OKB-Chef den rechten Propagandisten. Grund der Sanktion war allerdings keineswegs die braune Propaganda, sondern Kaffeetrinken in den Studioräumen. Das ist streng verboten, weil die Sendetechnik wasserscheu ist.

Ein Ende der Neonazi-Sendungen bedeutete das Hausverbot aber noch nicht. Zum einen sendeten Gesinnungsgenossen der Rechten unter dem Label Radio Z weiter, zum anderen schließt ein Hausverbot lediglich die Möglichkeit aus, live im Studio zu senden. Vorproduzierte, per Post ins Studio geschickte Sendungen werden weiterhin ausgestrahlt. Schließlich blieb es dem Verwaltungsgericht überlassen, dem OKB unter die Arme zu greifen. Anfang Februar 1997 wies das Gericht einen Antrag der Nazis auf vorläufigen Rechtsschutz zurück, mit dem eine Sendung erzwungen werden sollte. Begründung damals: Die Sendungen seien "schwer jugendgefährdend und damit medienrechtlich unzulässig".

"Germania" war der spektakulärste Skandalfall in der Geschichte des Offenen Kanals, allerdings nicht der einzige. So wurde bereits nach einer Sendung "Radio Knorke" abgesetzt. Beschäftigte sich die Premierensendung noch mit Wildschweinen, zogen die Mitarbeiter des OKB die zweite Sendung noch vor der Ausstrahlung aus dem Verkehr. Thema sollte Heldenverehrung sein. Der Name des Verehrten war Joseph Goebbels. "Wir hatten vorher in das Band reingehört, konnten so die Sendung verhindern", freute sich OKB-Vize-Chef Till Reinhard damals.

Verständlich, denn viel Grund zur Freude hatte er im letzten Jahr nicht. "Wer stoppt das Ekel-TV" titelte die BZ am 10. September 1997. Laut BZ hatte Gerhard S. (57) aus Kreuzberg gegen 22.30 Uhr den Offenen Kanal geguckt und "parolengrölende Glatzköpfe gesehen". Die Typen "soffen bis zum Erbrechen Bier und Magenbitter, masturbierten, es war grausam", wurde Gerhard zitiert. Allerdings hatten sich weder Nazis in den OKB geschlichen, noch waren die Szenen echt. Diesmal hatten sich linke Gruppen den Kanal zum Sprachrohr gemacht und eine 30minütige Parodie auf rechtsradikale Umgangsweisen gesendet. Auf Weisung der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MAAB), die den Hobbysender kontrolliert, wurde die Wiederholung der Sendung gestoppt.

Bemerkenswerterweise waren damals die Reaktionen wesentlich schärfer als beim Beusselkiez-Skandal. Besonders weit lehnte sich damals Grünen-Sprecher Matthias Tang aus dem Fenster: "Hart durchgreifen", lautete damals seine Forderung und "sicherstellen, daß die Verantwortlichen auch nicht mehr über einen Strohmann weitersenden können."

Die CDU fordert schon länger, den Kanal zu schließen und weiß sich darin sogar mit linken Radiogruppen einig. Die fordern ebenfalls eine Schließung des Offenen Kanals, zugunsten freier, nicht kommerzieller Radiostationen. Daß es die in Berlin nicht gibt, wird von MAAB-Sprecherin Susanne Grams stets mit der Existenz des Offenen Kanals in Berlin begründet. Für Grams offensichtlich das kleinere Übel.