Neun Punkte für Amherst

Mit ihrem Programm "Vision 2000" wollen Feministinnen die Universitäten der USA frauenfreundlicher machen

Warum herrscht an US-amerikanischen Universitäten ein generell frauenfeindliches Klima? Warum kann - 30 Jahre nach Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze - immer noch keine Rede sein von gleichen Bedingungen für beide Geschlechter? Und wie kann man andere, bessere Verhältnisse schaffen?

Solche Fragen haben US-Feministinnen schon häufiger gestellt und auch beantwortet, aber nie so nachdrücklich und konkret wie jetzt in einem Plan, der "Vision 2000" überschrieben ist, vom Fachbereich Frauenforschung der Universität Amherst, Massachusetts, vorgelegt wurde und aufgrund seiner angeblich politisch korrekten Ausrichtung bereits auf kräftigen Protest im konservativen Lager gestoßen ist.

Im Vorwort von "Vision 2000" wird noch einmal der leidige Status quo ausgebreitet: "Obwohl sich die Gesetze in den vergangenen 30 Jahren graduell geändert haben", heißt es dort, "ist unser Ziel, die Gleichstellung der Frau, nur langsam, nur teilweise und nur unter großen Schwierigkeiten erreicht worden. Vieles hat sich geändert in unserer Gesellschaft, aber die Strukturen, die Frauen unterstützen und bei der Stange halten sollen, haben nicht Schritt gehalten."

Neu-Englands Feministinnen sind entschlossen, die Barrieren für Frauen im Universitätsbetrieb mit ihrem visionären Neun-Punkte-Programm zu Fall zu bringen - wenn es sein muß, mit Zukkerbrot und Peitsche: Fakultätsmitglieder sollen in naher Zukunft belohnt oder bestraft werden, wenn ihre Curriculum-Präsentationen oder ihre Unterrichtsmethoden von Studentinnen, der Fakultät und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen als frauenfeindlich bewertet werden. Als Belohnung wird an einen Preis oder eine Urkunde gedacht, als Strafe zum Beispiel an den Entzug von Forschungsgeldern. Vision 2000 sieht eine Reihe konkreter Rechenschaftsmechanismen vor, um Fort- oder Rückschritte in Sachen Frauenförderung zu kontrollieren: frauenspezifische Semester- und Jahresberichte aller Fachbereiche, Frauen-Jahresberichte des Dekans und des Universitätspräsidenten und eine jährliche Pressekonferenz zum Thema akademische Frauenförderung. Um die Gleichstellung zu beschleunigen, werden außerdem familienfreundlichere Campus-Bedingungen wie Kinderkrippen und Babysitterdienste anvisisert. Es soll gut eingerichtete, voll finanzierte und personell angemessen besetzte Frauenzentren direkt auf dem Uni-Gelände geben sowie eine universitäre Abteilung, die überprüft, daß weder bei der Anstellung noch bei der Beförderung und auch nicht, wie bisher üblich, bei der Bezahlung diskriminiert wird.

Vision 2000 klingt rational, sinnvoll und machbar. Deshalb haben dem Plan auch schon drei der sechs Universitätspräsidenten Neu-Englands zugestimmt. Die anderen haben sich Bedenkzeit erbeten, da mittlerweile aus dem konservativen Lager lautstark protestiert wird. Nicht nur von männlichen Professoren, die um ihre Privilegien fürchten und beispielsweise eklatante Gehaltsunterschiede von über 10 000 Dollar mit "Seniority", der Anstellungsdauer, begründen. Auch Hochschullehrerinnen wie Daphne Patai, Literatur-Professorin an der Universität von Massachusetts, geht Vision 2000 gegen den Strich. Sie wittert einen "Umsturzversuch" und spricht von einer "unglaublich imperialistischen Strategie, eine fragwürdige feministische Agenda zu etablieren. Ein Programm, das so tut als ob es um Chancengleichheit und Fairneß ginge."

Das konservative Magazin US News and World Report malt sogar die feministische Machtübernahme an die Wand: Amherst habe immer schon zu den politisch korrekten Universitäten gehört, heißt es dort. Nun habe der ohnehin linke Fachbereich Women-Studies auch noch einen Plan ausgebrütet, der offensichtlich die traditionelle akademische Freiheit bedrohe und dem gesamten Campus einen feministischen Anstrich verpasse. Denn Studenten und Professoren müßten sich einem Sensitiv-Training unterziehen, Fakultätsmitglieder hätten über ihre Unterrichtsmethoden Rechenschaft abzulegen und Campus-Gruppen, die durch sexuelle Gewalttaten auffielen, müßten sogar mit Strafe rechnen.

Ann Ferguson, Professorin in Amherst und Leiterin des dortigen Women-Studies-Programms, gibt zu, daß manche Kollegen es als Beschneidung ihrer akademischen Freiheit sehen, ihre Lehrmethoden einem veränderten Standard anzupassen. Dennoch verteidigt sie die feministische Vision: "Hier steht die Freiheit der Lehre für Professoren dem Recht aller Studenten zu lernen, gegenüber." Erst kürzlich gab es in Amherst eine Sitzung des Senats der Universität, der zu Vision 2000 Stellung nehmen sollte. Doch dieser bat sich vorerst bis April Bedenkzeit aus, da das Papier so komplex sei. Doch David Scott, Kanzler der Universität, hat, wenn auch vorsichtig, bereits seine Unterstützung signalisiert: "Wenn es die besagten Probleme auf unserem Campus gibt", sagt Scott, "bin ich hundertprozentig entschlossen, sie zu lösen. Diskriminierung gegen Frauen wird in Amherst nicht geduldet, und keine potentielle Verletzung akademischer Freiheiten wird das ändern."