Allein gegen alle

Nicht erst seit Trapattonis Wutausbruch leiden Fußballtrainer unter Spielern und dem Job an sich

Im Film "Nordkurve" von Regisseur Adolf Winkelmann zeigt eine der wichtigsten Szenen die Angst des Fußballspielers vor der letzten Chance. Die hatte er nach ziemlich vielen miesen Spielen zum allerletzten Mal von seinem Trainer erhalten, und nun war es soweit: Er sollte spielen.

Aber der Weg aufs Spielfeld ist unendlich lang, außerdem lauern da draußen schon die Fans, die im Mißerfolgsfall ganz sicher wieder pfeifen und toben werden, und daß der eintritt, das ist dem Spieler schon klar: Dies nicht sein Tag, deswegen macht er kehrt und läuft weg - raus aus dem Stadion, weg von den Fans und Journalisten und dem Trainer. Die Psyche des Spielers war damit hinreichend erklärt, obwohl im wirklichen Leben noch nie einer im entscheidenden Moment weggerannt war. Doch was ist mit der eines Trainers?

Giovanni Trapattonis Gefühlsausbruch vor den laufenden Kameras war für die deutschen Medien vor allem eins: Lustig. Verdammt lustig. Er passierte exakt an dem Tag, an dem Sport-Bild mit der Frage aufmachte: "Scala und Trap, wer fliegt zuerst?" Viel Deutsch mußte man nicht können, um den Inhalt des Artikels zu verstehen und einen riesigen Wutanfall zu bekommen.

Denn in den Monaten März und April werden traditionell die meisten Trainer entlassen, spätestens dann wird auch dem gutwilligsten Präsidenten klar, daß zur Erreichung des Saisonziels aus relativ wenigen Spielen recht viele Punkte geholt werden müssen - und die Medien haben schon angedeutet, daß das mit diesem Coach wohl nicht zu schaffen sein werde. Denn Trainer werden nicht nur von Vereinspräsidenten oder -managern gefeuert, sondern manchmal auch von Zeitungsredaktionen. So geht es auch dem Fußballtrainer oft ähnlich wie dem Spieler: Das in wenigen Minuten beginnende Spiel muß unbedingt gewonnen werden, dies ist die letzte Chance dazu. Der potentielle Nachfolger sitzt schon irgendwo im Stadion. "Die Niederlage ist schlimmer als der Tod, weil man mit der Niederlage leben muß", sagte der US-amerikanische Baseballtrainer Bill Musilman und wird seither immer mal wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen zitiert, obwohl er versäumte hinzuzufügen, daß man für den Begriff "Tod" ohne weiteres auch "Mannschaft" einsetzen könnte.

Denn die kann einen ungeliebten Trainer meistens sehr viel leichter loswerden als normale Arbeitnehmer etwa einen fiesen Vorarbeiter. Im Siegfall kann man betonen, daß man sich nicht an des Trainers Taktik hielt, den Mißerfolg kann man hingegen dem Coach anhängen, der entweder falsch eingewechselt oder falsch ausgewechselt oder ganz falsch aufgestellt oder was auch immer hat. Und selbst wenn im Spiel mehr geklappt hat, als jedermann erwartete, findet ein gewitzter Spieler eine Möglichkeit, den Trainer alle zu machen. Besonders eindrucksvoll gelang dies vor drei Wochen Jürgen Klinsmann: Nach dem von seinem Club mit 1:0 gewonnenen Abstiegsduell gegen die Bolton Wanderers stand Trainer Christian Gross erleichert und froh vor der Kabine und klatschte seine erfolgreichen Spieler ab. Dann war aber schnell Schluß mit der guten Laune, denn Klinsmann schrie Gross minutenlang an und verlangte von ihm, David Ginola künftig anstatt in der Spitze im Mittelfeld spielen zu lassen - obwohl (oder vielleicht gerade weil) der soeben den Siegtreffer von Allan Nielsen vorbereitet hatte.

Soviel spielerischer Egoismus wirft dann auch den stärksten Trainer um, selbst in der Kreisklasse haut das hin und wieder mal einen Coach mit Herzinfarkt von der Bank - und ligenübergreifend greifen Übungsleiter aufgrund des Stresses manchmal zum Alkohol. Als der neue Trainer des VfB Lübecks im Oktober 1996 gleich beim ersten Training auf dem Platz mit einem offenkundigen Herzinfarkt zusammenbrach, da war die Aufregung natürlich riesengroß. Als er später in einem Offenen Brief den wahren Grund veröffentlichte, da schrumpfte sie gleich gegen Null, denn irgendwie schien ein aufgrund zu fetten Essens, zu vieler Zigaretten und mangelnder Bewegung selbstverschuldeter Herzanfall viel mehr Anteilnahme zu bringen als die wahre Ursache: Löher, ein trockener Alkoholiker, empfand den Wiedereinstieg in den Beruf als einen unerhörten Glücksfall - sicherheitshalber nahm er die ärztlich verordneten neuen Tabletten zur Bekämpfung des Alkoholverlangens - und vertat sich mit der Dosierung. Er hatte Glück und überlebte, und dann doch wieder Pech, denn sein neuer Arbeitgeber trennte sich sofort wieder von ihm. Löher wehrte sich, wie jetzt Willi Reimann, der letzte Woche vom VfL Wolfsburg entlassen wurde. Der sei, so der Verein in einer Presseerklärung, von seinen Aufgaben im gegenseitigen Einverständnis zurückgetreten, Reimanns Dementi kam jedoch sofort: "Davon kann keine Rede sein. Ich bin nicht zurückgetreten, sondern wurde von der weiteren Ausübung entbunden."