Haideh Moghissi Mitbegründerin der demokratischen Frauenbewegung im Iran

Geschlechtertrennung als Apartheid

Im Iran machen Frauen gegen ihre Unterdrückung mobil. Im Vordergrund stehen dabei Versuche, durch eine Neuinterpretation des Koran geschlechtsspezifische Unterdrückungsmechanismen aufzubrechen. Zugleich werden seit Khatamis Wahl zum Staatspräsidenten im vergangenen Jahr vermehrt Frauen vom Regime kooptiert. Zur Einschätzung der islamischen Frauenbewegung befragte Jungle World die säkulare Feministin Moghissi, die als Soziologin an der York University in Toronto arbeitet.

Wie weit können islamistische Frauen Frauenrechte verteidigen?

Die islamistischen Frauen, die für mehr Frauenrechte kämpfen, haben ein Problem: Sie können grundsätzlich den Rahmen der islamischen Gesetzgebung nicht verlassen. Solange beispielsweise ein Gesetz existiert, nach dem für Tötung oder Verletzung von Frauen weniger "Blutgeld" gezahlt werden muß als für Männer, ist der Kampf für die Erreichung der Gleichberechtigung nur höchst eingeschränkt möglich; denn institutionell ist festgeschrieben, daß Frauen weniger wert sind.

Als eine Frau, die im westlichen Ausland lebt, kann ich natürlich anders und freier argumentieren als die Frauen, die im Iran etwas bewegen möchten. Ich sehe beispielsweise, daß die Frauen ihre eigenen Schwimmbäder haben, ihre eigenen Sportplätze, ihre eigenen öffentlichen Busse, ihre eigenen Kinos, daß die Frauen sogar ihre eigene Bank haben, wo nur Frauen Kontoinhaberinnen sein dürfen und nur Frauen Angestellte sind. Oder daß kürzlich auch die Einweihung der zweiten reinen Frauenbibliothek gefeiert wurde.

Ich denke aber, daß dies nichts mit dem Wunsch der Frauen zu tun hat, nach eigener Wahl beispielsweise eine Bibliothek zu benutzen, die nur Frauen gehört - viel aber mit dem Wunsch der Mullahs, nach ihrem Frauenbild eine Trennung der Geschlechter durchzusetzen.

Warum wird von den Mullahs die Geschlechtertrennung so rigide durchgezogen?

Für die Mullahs stellt sich das Problem, wie die Sexualität der Frauen kontrolliert werden kann.Sie bezeichnen ihr Vorgehen als die Verteidigung der Ehre der Gesellschaft und die Verteidigung der Würde der Frau. Tatsächlich geht es um die Kontrolle der Frauen und eigentlich um die Verteidigung der Macht der Männer. Es war der Prophet des Islam, der sagte, wenn ein Mann einer schönen Frau begegne, solle er schnell nach Hause eilen und sich seiner Frau nähern. D.h. der Mann wird als grundsätzlich willenlos, unschuldig und als Opfer einer Frau gesehen.

Wie also kann die Gesellschaft geschützt werden? Indem die Frauen gefesselt werden. Das ist die Philosophie der Geschlechtertrennung, der geschlechtsspezifischen kulturellen Apartheid in der islamischen Republik.

Im Westen wird versucht, die Benachteiligung der Frauen aufzuheben. In einer islamischen Gesellschaft wie dem Iran geht es nicht darum, daß die Frauen sich besser entwickeln können, sondern darum, daß die islamische Sicht der Geschlechter durchgesetzt wird.

Vor kurzem hat der Bundesaußenminister Klaus Kinkel gesagt, er könne sich nicht vorstellen, daß jemand im Iran wegen sexueller Übergriffe gesteinigt werde.

Es ist bedauerlich, da wird diskutiert, daß so und so viele Frauen wichtige Positionen im Machtapparat erreicht haben, aber das Problem der Steinigung wird in den Diskussionen kaum erwähnt. Steinigung ist als Strafe vorgesehen für Sexualpraktiken, die nicht mit den Moralvorstellungen der Mullahs übereinstimmen. Das Besondere und Geschlechtsspezifische bei dieser Strafe ist, daß Männer weniger weit eingegraben werden als Frauen und ihnen eine gewisse, eingeschränkte Fluchtmöglichkeit offen gelassen wird. Denn es ist die Sexualität der Frau, die in der Vorstellung der Muslime eine außergewöhnliche Stellung bekommt.

Viele Menschen machen aber auch mit Begeisterung mit. Auch wenn Menschen öffentlich erhängt werden, gibt es Schaulustige.

Das erinnert an Wilhelm Reich, wenn er beschreibt, welche Folgen die sexuelle Unterdrückung haben kann, wie die Masse unter der faschistischen Herrschaft in Ekstase geraten kann. Die Verantwortlichen erlegen den Menschen quasi eine Mittäterschaft für das Morden auf. Auf eine bestimmte Art wird der Bürger in einen Vollstrecker des Mordes verwandelt und damit in die entsprechenden Praktiken verwickelt und eingebunden.