Roter Teppich MAI

Der Nationalstaat ist die erste Adresse im Widerstand gegen den globalen Freihandel.

Rund 350 Milliarden US-Dollar investierten Unternehmen und Konzerne weltweit im Jahr 1996 - ob Autofabriken, Chemieanlagen, Gen-Tech-Produktionstätten, Ölraffinerien. Untereinander investierten die meisten OECD-Staaten dabei nach bereits abgesteckten Verträgen, auch ohne ein Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI).

Vom dem Abkommen versprechen sich die Verhandlungsteilnehmer weiteren Schutz vor staatlichem Einfluß in Nicht-OECD-Staaten, die dem MAI aber noch beitreten sollen. Die Auswirkungen sind bekannt. Ohne Wimpernzucken werden Produktionsstandorte verlagert, wenn die Analysten daraus Gewinne errechnen. Steuern, Lohn- und Lohnnebenkosten, Umweltstandards, Arbeitszeit, "Flexibilität" der Beschäftigten und der lokalen Genehmigungsbehörden, Schutz der getätigten Investitionen und Marktzugang bestimmen die Kostenkalkulationen.

Wie arrogant Vorstandsvertreter dem "Daumen runter" ihrer Analysten Taten folgen lassen, ist ebenso bekannt. "Die müssen noch erledigt werden", formulierte etwa der Vorstandsvorsitzende des Adtranz-Konzerns, Rolf Eckrodt, vor Wirtschaftsjournalisten in Berlin. Gemeint waren die zur Entlassung bestimmten Mitarbeiter des Konzerns. Das MAI, von WTO-Generaldirektor Renato Ruggiero großspurig als "Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft" bezeichnet, ist dabei nur ein logischer Schritt, Konzernmacht auszuweiten.

"Selten in der Geschichte ist ein Vertragswerk von dermaßen herrischer Arroganz geprägt gewesen", kritisierte Lori M. Wallach in Le Monde Diplomatique. Nicht ganz korrekt: Vertragswerke dieser Art werden seit der Gatt-Uruguay-Runde verhandelt. Interveniert aber haben nur wenige. Sichtbar war lediglich der französisch-nordamerikanische Konflikt bis Abschluß der WTO-Verhandlungen, der sich bis heute abzeichnet: Staatsmonopolisten gegen Neoliberalisten. Heute diskutiert die Linke vereint mit NGOs wie "Friends of the Earth", ob der Staat nicht zur Verhinderung des neoliberalen Abkommens beitragen sollte. "Sorry, der Staat ist gerade nicht zu sprechen", könnte die Antwort lauten, "er sitzt nämlich gerade am MAI-Verhandlungstisch."

MAI, das ist eher ein roter Teppich. Entscheidend ist darum, ob und von wem er ausgerollt und schließlich, von wem er betreten wird. Denn Konzerne investieren nicht, sobald deregulative Beschlüsse vertraglich festgeschrieben und parlamentarisch ratifiziert sind, sondern erst dann, wenn gewinnträchtige Bedingungen real vorherrschen. Diese Bedingungen aber kann die Legislative nur in Abhängigkeit vom Spielraum, den ihr die Bevölkerung läßt, durchsetzen.

Mangels Alternative sind darum die ersten Adressaten des Widerstandes gegen das MAI die Regierungen der Nationalstaaten. Sie sind es schließlich, die in der Regel im Einvernehmen mit Konzernbeschlüssen Rechtsgrundlagen schaffen. Anders gesagt: Der Handlungsspielraum von Regierungen ist nicht nur durch transnationale Kapitalinteressen bestimmt, sondern auch von der Vermittelbarkeit dieser Interessen an das Wahlvolk.

Welchen Zweck erfüllt also das MAI, und welche Strategie liegen dem Abkommen durch die Nationalstaaten zugrunde? Ein Blick in die Vergangenheit: Die Sowjetunion erlebte mit Gorbatschow 1989 den endgültigen Zerfall. Just in diesem Moment boten sich die westlichen Staaten an, dem stürzenden Staatskoloß unter die Arme zu greifen - mit Hilfe eines Vertrags zur Absicherung ihrer Investitionen.

Damals hieß es "Energiecharta", weil es in der Sowjetunion nicht mehr viel zu holen gab außer Erdöl und Erdgas. Fast wortgleich liest sich heute das MAI. 50 Staaten waren damals angetreten, alle ost- und mitteleuropäischen Staaten saßen am Verhandlungstisch. Ein Beitritt zum GATT und zur WTO wurde in Aussicht gestellt. Die USA stellten die weitgehendsten Forderungen: Freier Marktzugang, Absicherungen der Investitionen, Schutz vor zu hohen Steuern und Gewinnrückführung in die Investorstaaten. Beachtlich also, daß das MAI die gleichen Inhalte wie die der Energiecharta-Verhandlungen betrifft. Allerdings mit dem Unterschied, daß beim MAI über sämtliche Investitionen verhandelt wird.

Das MAI richtet sich vor allem an Staaten, in denen Regierungen den Deregulationsprozeß noch nicht im OECD-Sinne weit genug voranbringen konnten oder wollten. Von der Annahme ausgehend, daß weitere Deregulierung nach dem Geschmack der Neoliberalen verhindert werden müssen, stellt sich die Frage nach möglichen Koalitionen.

Die "staatsfixierten" Grünen erleben gerade das Take-or-pay-Spiel, das die Bedingungen des gewollten Mitregierens diktiert. Den Nationalstaat mit all seinen in der Vergangenheit ratifizierten Verträgen müssen sie bei Wahlgewinn repräsentieren. Atomenergie müssen sie solange zulassen, bis die Verträge auslaufen, das MAI müßten sie nachverhandeln.

Und irgendwann, wenn die neoliberale Staatengemeinschaft einer Rot-Grün-Regierung nahelegt, nicht das staatsmännische Gesicht zu verlieren, entscheiden, ob sie ihren Wählern das "ökosozialwirtschaftliche" des MAI verkaufen, um Konzern-Applaus für eine weitere Legislaturperiode zu bekommen. Hoffnung bietet also für MAI-Gegner nicht der Staat per se als Institution neoliberaler Abwehrkämpfe, sondern nur seine jeweilige Konstellation der Mandatsträger einer Regierung.