Chronologie einer Abwicklung: Das deutsche Asylrecht

Schotten dicht I

"Wir teilen nicht jenes humanitäre, naiv-rechtsstaatliche Selbstverständnis, aus dem heraus vor allem kirchliche, gewerkschaftliche und politisch etablierte Gruppen die Verteidigung des Asylrechts beschwören. Der Staat, von dem die Gewalt gegen Flüchtlinge ausgeht, taugt nicht als Adressat für Appelle und Resolutionen. Darüber hinaus beinhaltet die Beharrlichkeit, mit der der Status des politischen Asyls hochgehalten wird, die Verlängerung jener Differenzierung und Selektion von Flüchtlingen, die der Sonderbehandlung zugrundeliegt und diese erst begründet." Manchmal lohnt es sich, einen kleinen zeitlichen Sprung zurück zu wagen, um der Heftigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen bewußt zu werden. Knapp zwölf Jahre ist es her, seit die Revolutionären Zellen (RZ) mit diesen Worten ihre militante Kampagne gegen imperialistische Flüchtlingspolitik einleiteten - in der Folge wurden verschiedene Einrichtungen angegriffen, die wesentlich zur Abschiebung und Reglementierung von Flüchtilingen beitragen: Ausländerpolizei, Verwaltungsgerichte, Lufthansa.

Heute sucht man solche Positionen vergeblich. Selbst antirassistischen Gruppen ist bestenfalls radikaler Humanismus geblieben. Wer heute die internationalen Zusammenhänge bemüht, die allein schon ein Bleiberecht für jeden hierher Flüchtenden rechtfertigen, erscheint wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Niemand würde heute die Rolle des Kirchenasyls offensiv infragestellen - im Gegenteil: die geduldeten Kirchenbesetzungen kurdischer Asylsuchender erscheinen geradezu radikal. Nein, es soll nicht alten Zeiten nachgeweint werden, wenn auch heute genausowenig wie damals außer Frage steht, daß radikaler Humanismus und Appelle an die Errungenschaften des bürgerlichen Staates dem Terror gegen Flüchtlinge nur sehr begrenzt Einhalt gebieten können. Doch in der defensiven Haltung drückt sich nicht nur die Schwäche der Linken aus. Sie verdeutlicht auch, wie erfolgreich die rassistische Formierung auf institutioneller Ebene in den letzten zwanzig Jahren Stück für Stück durchgesetzt wurde.

Eine unvollständige Chronik deutscher Asylgesetzgebung soll diese Entwicklung dokumentieren.

Bis 1976 waren es vor allem Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten, die in die Bundesrepublik Asyl suchten. Jährlich wurden unter 10 000 Anträge gestellt, für Asylsuchende aus realsozialistischen Staaten gab es aber ohnehin ab 1966 ein generelles Bleiberecht. Die einfache Begründung: "Auch wenn eine persönliche Verfolgung und damit ein Asyltatbestand nicht vorliegt, haben doch die meisten illegalen Zuwanderer den verständlichen Wunsch, nicht länger unter einem kommunistischen Regime der gegenwärtigen Prägung leben."

Ab 1974 änderte sich die nationale Zusammensetzung der Flüchtenden. Zunehmend kamen Menschen aus Krisenregionen (Sri Lanka, Äthiopien, Naher Osten). Sie machen bald über die Hälfte aller Asylsuchenden aus. Gleichzeitig sank die Anerkennungsquote von 47 Prozent im Jahre 1974 über 29 Prozent 1976 auf elf Prozent 1981.

1978 beschloß das Bundesparlament das erste Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz.

1979 nutzten Politiker und Politikerinnen die Asylpolitik erstmals offensiv als Wahlkampfthema.

Schotten dicht II

1980 wurde der Visumszwang für Asylsuchende aus Afghanistan, Äthiopien, Sri Lanka, Indien, Bangladesh und der Türkei eingeführt. Zudem wurde das zweite Gesetz zur Beschleunigung der Verfahren verabschiedet. Flüchtlinge durften von nun an nach ihrer Ankunft zwei Jahre lang nicht arbeiten. Auch die Bewegungsfreiheit wurde räumlich eingeschränkt. Durch weltweite politische, soziale und ökonomische Zuspitzungen kam es ab Anfang der achtziger Jahre zu einem enormen Anstieg von Flüchtlingen, von denen aber höchstens fünf Prozent die westlichen Staaten erreichten. Dennoch überstieg die Zahl der Asylanträge erstmals die 100 000er Marke. Im gesellschaftlichen Diskurs tauchten vermehrt Begriffe wie "Asylmißbrauch, Überfremdung und Asylantenflut" auf.

1982 folgten dieser öffentlichen Debatte mit einem neuen Asylverfahrensgesetz die nächsten Verschärfungen. Die Regelung ordnete die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften und ihre teilweise Versorgung durch Sachleistungen an. Zudem wurde die Krankenhilfe in eine Kann-Leistung umgewandelt.

1985 endete ein monatelang geführter rassistischer Diskurs über "kriminelle Ausländer" oder "Schmarotzer" erneut in gesetzlichen Verschärfungen. Ganze Nationalitäten-Gruppen wurden per Gerichtsbeschluß vom Recht auf Asyl ausgeschlossen, da sie in ihrer Heimat keine Verfolgung zu befürchten hätten. Die Innenministerkonferenz beschloß, in Kriegs- und Bürgerkriegsgebiete abzuschieben. Zum ersten Mal kam es zu größeren rassistischen Angriffen gegen Asylbewerber und -bewerberinnen. 1986 fanden bereits 18 schwere Brandanschläge statt.

1991 einigten sich CDU/CSU, FDP und SPD auf den ersten Asyl-Kompromiß: Mit dem Asylbeschleunigungsgesetz sollten Anerkennungsverfahren innerhalb von sechs Wochen durchgezogen werden.

1992 verabschiedete der Bundestag das Asylbeschleunigungsgesetz. Regierungskoalition und SPD verständigten sich vor dem Hintergrund der Pogrome von Hoyerswerda und Rostock auf die Änderung des Artikel 16 im Grundgesetz.

1993: Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit änderte der Bundestag das Grundgesetz. Das Asylrecht wurde faktisch abgeschafft. Wer seither als politischer Flüchtling aus einem sogenannten sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik kommt oder aus einem in den Augen deutscher Bürokraten verfolgungsfreien Herkunftsland einreist, hat kein Recht auf Asyl. Nur wer über den Luftweg kommt, hat überhaupt Chancen, gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seine Verfolgung glaubhaft zu machen. Die Anerkennungsquote ist mittlerweile auf deutlich unter fünf Prozent gesunken. Das Asylbewerberleistungsgesetzes wurde eingeführt (siehe nebenstehenden Text).

1994 trat das Ausländerzentralregistergesetz in Kraft. Nicht-Deutsche wurden zur ersten voll erfaßten Bevölkerungsgruppe in Deutschland.

1997 wurde die Visumspflicht für Kinder türkischer, (ex)jugoslawischer, tunesischer, marokkanischer Flüchtlinge eingeführt. Zudem wurde das Ausländerrecht so verschärft, daß alle Nicht-Deutschen, die zu einer Gefängnisstrafe von über drei Jahren verurteilt wurden, abgeschoben werden können. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde weiter verschärft.

1998 soll dieses Gesetz erneut verschärft werden, um geduldeten Flüchtlingen jegliche Sozialhilfe zu streichen.